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Von der Bedeutungslosigkeit von Spielen

Kluge Menschen haben schon viele verschiedene Dinge über Spiele gesagt. Eine wiederkehrende Bemerkung ist, dass Spiele ja im Kern bedeutungslos sind. Manche Personen sind sogar der Überzeugung, dass es diese Bedeutungslosigkeit ist, die Spiele von anderen Dingen unterscheidet. Der Reiz und das süße Versprechen eines Spiels liegt in ihren Augen in der Tatsache, dass Spiele keine Konsequenzen haben. „Ernsthafte“ Beschäftigungen (was auch immer das sein mag) zeichnen sich dadurch aus, dass sie eben Folgen haben. Ein Spiel – so das Urteil belesener und welterfahrener weißer Männer – kommt ohne solche Ärgernisse aus. Gerade das ist es, was ein Spiel so schön macht. Ohne seine Belanglosigkeit würde ein Spiel sein Wesen verlieren. Man würde das leichtfüßige Spiel kaputt machen, wenn man ein ernsthaftes Thema darauf setzt. Spieler*innen würden die Magie des Spielens entzaubern, wenn sie anfingen es zu etwas Wichtigem zu erheben.

Spätestens an diesem Punkt sollten die meisten Leser*innen hier das Gesicht verziehen. Wer historische Spiele schätzt, kann hier nicht zustimmen. Diverse und inklusive Darstellungen von Figuren in Spielen kann man nicht wirklich zu schätzen wissen, wenn das Spiel gleichzeitig als trivial und bedeutungslos versteht. Spätestens hier wird deutlich, dass diese Sichtweise nicht aufgeht. Man kann sich nur dann inhaltlich mit einem Thema auseinandersetzen (so problembehaftet dieser Ansatz im Medium Spiel auch sein mag), wenn man akzeptiert, dass das Spiel gerade nicht bedeutungslos ist. Wenn die Darstellung von bestimmten Kulturen und Personengruppen in unseren Spielen eine Bereicherung für unseren Vorstellungsraum ist, wenn wir dadurch mit Neuem in Kontakt kommen können, dann muss das Spiel dafür ein Mindestmaß an Bedeutung für uns besitzen.

Spiele, die durch ihr Thema auf Narrativen des Kolonialismus verweisen wurden oft und auch zu Recht dafür kritisiert. Denn wenn wir als Spielende diese Narrativen aufnehmen und wiederholen müssen, um am Spiel teilzunehmen, so ist das Problem. Vorausgesetzt, dass das Spiel irgendeine Bedeutung und Konsequenzen hat. Wenn das Spiel mit all seinen Ideen und Inhalten folgenlos verpuffen würde, wenn wir das Ende erreicht haben, würde niemand diese Diskussionen führen.

Das Medium Spiel (und damit indirekt auch das Kulturgut Spiel) kann eben nur deshalb funktionieren und ernsthaft besprochen werden, wenn wir eine offensichtliche Tatsache beim Namen nennen: Spieler*innen schreiben dem Spiel eine Bedeutung zu.

Trolle mögen hier von Wahnvorstellungen oder Realitätsverlust sprechen. Ein Spiel – welches augenscheinlich nicht die Realität ist – darf doch keinen Wert haben? Es kann doch keine Bedeutung haben, wenn es nur zum Spaß gemacht wird? Schließlich muss man doch den Wert einer Aktivität an anderen Fragen festmachen: ist es überlebenswichtig oder bringt es uns Geld ein? Diese Ansicht empfinde ich als erschütternd in ihrem Nihilismus und erschreckend in ihrer Hoffnungslosigkeit. Ich kann nicht anders als sie mit Nachdruck und ohne Einschränkung abzulehnen.

Kultur – und das hat schon Johan Huizinga verstanden – lebt gerade davon, dass wir dem Gewöhnlichen eine weitere Bedeutung zuschreiben. So machen wir aus dem Alltäglichen einen Brauch. So wird aus dem Brauch eine Tradition. Aus der Summe unserer Traditionen erwachsen Kulturen. Aber alle diese Dinge sind nur dann möglich, wenn wir uns erlauben den ersten Schritt zu machen. Sie sind erst möglich, wenn wir unseren Handlungen eine Bedeutung zuschreiben.

Wir können in einem Film erst dann Immersion erfahren, wenn wir daran glauben etwas Reales zu sehen. Wenn wir den ausgedachten Dialogen, dem einstudierten Schauspiel und der arrangierten Erzählform zuschreiben etwas Wahrhaftes zu auszudrücken. Wenn wir unseren „disbelief suspenden“ (d.h. unsere Zweifel an der Echtheit unterdrücken), kann ein Film erst Kultur sein. Wir können erst in die fantasievolle Welt eines Buches eintauchen, wenn wir dem Gelesenen zuschreiben einen Funken Wahrheit zu beinhalten. Erst wenn wir den sorgsam gewählten Worten eines Buches zugestehen etwas Wertvolles in sich zu tragen, kann uns ein Buch in seinen Bann nehmen.

Es ist die gleiche Zuschreibung von Wert und Bedeutung, die auch den Grundstein für das Spiel legt. Das willkürlich gesetzte Ziel, die aus der Luft gegriffenen Regeln und das aus wirtschaftlichen Gründen gewählte Material fügt sich erst dann zu einem richtigen Spiel zusammen, wenn wir dieser Zusammenstellung einen Wert zuschreiben. Erst wenn wir im Kreis der Gruppe akzeptieren, dass ein Spiel eben nicht belanglos ist und eben doch Konsequenzen hat, können wir die Magie des gemeinsamen Spielens erleben. Das Ziel des Spiel muss von uns einen Wert zugeschrieben bekommen, damit wir es auch erreichen wollen. Wir müssen den Regeln eine Form der Bedeutsamkeit zuschreiben, damit wir sie als einzige Möglichkeit akzeptieren, um das Ziel zu erreichen.

Natürlich wissen wir alle, dass nichts davon „real“ ist. Aber wir müssen es so behandeln, damit wir Spielen können. Ein Spiel hat nicht deshalb Bedeutung, weil es uns Spaß macht. Sondern es kann uns nur deshalb Spaß machen, weil wir ihm eine Bedeutung zuschreiben.

In diesem Sinne frohe Weihnachten!

Georgios Panagiotidis
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