In seinem Buch „Wie Musik wirkt“ beschreibt Talking-Heads-Sänger David Byrne im ersten Kapitel wie sich die Musik durch den technologischen Wandel verändert hat. Dabei beschränkt sich dieser Wandel niemals auf die qualitative Ebene. Die Technologie beeinflusst vielmehr auch immer den künstlerischen Schaffensprozess an sich: Etwa die Länge der Stücke, welche Höhen- und Tiefen gut gespielt werden, wie laut oder leise etwas aufgenommen werden kann, etc. Auch der größte Rebell erfindet das Rad (bzw. die Musik) nicht neu, sondern orientiert sich am verfügbaren.
Es ist nicht schwer, hier die Brücke zu Spielen zu schlagen. Auch wenn sich Brett- und Kartenspiele ja nun gerne als Gegensatz zu „technologieabhängigen“ Videospielen verstehen („analoge Spiele“), muss man nicht lange nachdenken um festzustellen, dass moderne Technologien (inkl. Produktionstechniken) Spiele ermöglichen, die noch in den 70er Jahren nicht möglich gewesen wären; Hybridspiele (also Spiele mit einer Appunterstützung) sind da natürlich an erster Stelle zu nennen, aber auch Miniaturenspiele oder viele Legacies basieren auf modernen Drucktechnologien. Beschreibbare Oberflächen wie bei Make the Difference oder auch einfach besondere Teile wie der Drehteller bei Planet Unknown wären noch vor nicht allzu langer Zeit nicht bezahlbar in größerer Auflage zu produzieren. Alleine schone farbig gedruckte dicke Kampagnenbücher hätten in prä-digitalen Zeiten so manches Budget gesprengt, ähnliches gilt für diffizile Stanzwerkzeuge, die heutige Pappausdrückschlachten á la Descent 3 erst ermöglichen.
Natürlich ist es nicht so, dass die Verlage diese Technologien einzig und allein nutzen, um klassische Spiele aufzuhübschen. Vielmehr lassen sich auch Kreative von den neuen Möglichkeiten inspirieren. Nicht nur werden vorher unproduzierbare (oder zumindest nicht finanzierbare) Ideen plötzlich möglich, auch Spieleschaffende leben nicht in einem Vakuum, sondern lassen sich von bereits existierenden Spielen inspirieren: Oh, die Methode, die in Spiel X genutzt wird, könnte man doch auch für Eigenidee Y nutzen!
Doch es sind nicht nur Meilensteine, die das Schaffen neuer Spiele beeinflusst, auch gesellschaftliche Trends inspirierten Ideen, die sich vervielfältigen: Ein typisches Beispiel sind die japanischen Kartenspiele, die dem geschuldet sind, dass die japanischen Wohnungen kleiner sind und große Spiele zu viel Platz wegnehmen – also konzentriert man sich darauf, das Maximum aus einem Kartendeck herauszuholen. Aber auch das hierzulande Umweltthemen im Trend liegen, ist so eine Entwicklung; Vor knapp zwanzig Jahren lehnte ein größerer Verlag eines meiner ersten Prototypen mit der Begründung ab, dass Umweltthemen „ja gar nicht gehen“. Dasselbe Spiel wurde dann bei einem anderen Verlag abgelehnt, weil „Wenigspielende große Probleme haben, mit Pentomimos zu arbeiten“ Beides ist mittlerweile etabliert und neue Spiele nutzen diese Konventionen. Auch die Kosmos-Zweipersonenreihe dürfte die Entwicklung von thematischen Zweipersonenspielen (im Gegensatz zu den bis dahin dominierenden abstrakten Vertreter) ganz entscheident voran getrieben haben: Eine Idee, für die es vorher keine Zielgruppe gab und die deshalb nicht weiter verfolgt wurde, ist plötzlich gefragt. Eigentlich befruchtet sich die gesamte Spielegeschichte sich ständig selbst: Was gut läuft, inspiriert andere, ähnliches zu tun: Negative Elemente fallen eher weg, positive werden häufiger genutzt. Das Ergebnis nennen wir „Trend“.
Doch Byrne stellt noch eine weitere Ebene fest: Auch die Wahrnehmung ändert sich. Opern waren im 19. Jahrhundert noch eine sehr öffentliche Angelegenheit, bei denen auch getanzt und mitgesungen wurde. Durch die Möglichkeit Musik aufzunehmen, wurde Livemusik zu etwas, dass man passiv aufnahm – wie man die Musik einer Schallplatte eher passiv aufnimmt. Vor allem aber eröffnete die Schallplatte die Möglichkeit der Kommerzialität Enrico Caruso (Der Enrico Palazzo des frühen 20. jahrhundert) hatte als erster so etwas wie „Hits“. Im Gegenzug ging die Debatte um Kunst vs Kommerz los, E-und U-Musik wurden begründet und voneinander abgetrennt. Was kommerziell war, würde den wahren Musikfreund nicht erfeuen können! Eine Entwicklung die alle Medien in irgendeiner Form durchgemacht haben.
Ein Schelm wer da an Brettspiele denkt.
Natürlich gibt es auch hier Debatten, welche Spiele die „richtigen“ sind. Diese Debatten sind auch nicht neu: Sei es das Gegenüberstellen von „unnötig komplizierten Ameritrash“ und „seelenlosen Euros“ in den 80er, 90er Jahren , ob das Hervorheben überkomplexer Euros gegenüber einfacheren Spielen, die dann als „Kinderspiele“ bezeichnet werden. Aktuell sind es nach meiner Wahrnehmung besonders Spiele mit historischen Hintergrund oder narrative Spiele, die über abstraktere oder -erneut – seelenlose Euros gehoben werden, weil man da so viel lernen kann und weil die so kulturell viel mehr Werte vermitteln. Aber auch das „Schwimmende Inseln“-Syndrom gibt es noch; Damit bezeichne ich schwer oder gar nicht zu bekommene Spiele, die als „besser“ wahrgenommen werden, als verfügbares (Der N
ame stammt von einem ehemaligen heiligen Gral der Spielekenner, dessen Neuauflage eher wenig Beachtung fand, weil das Spiel gar nicht so wahnsinning gut war). Mainstream schafft Snobismus. Snobismus kann dazu führen, dass die Schere auseinanderklafft, dass sich ein Teil der Szene vom Rest entfremdet und isoliert wird. Vor allem aber schafft es eine Form von Gatekeeping.
Wer heutzutage eine Oper besucht, sollte nicht mitsingen oder tanzen und auch eine gewisse Kleiderordnung wird zumindest erwartet. Damit richten sich Opern -gewollt oder ungewollt – heute nur an eine sehr kleine Gruppe an Menschen. Es wäre schade, wenn das für Brettspiele eines Tages auch gelten sollte.
Ich glaube der Weg dahin, wurde schon einmal zumindest angeschritten. Es gab in der Hochphase der komplexen Euros eine Phase, wo sich nur wenige Spiele an Wenig- wie Vielspielende richteten, wo die Anzahl verschiedener Genres, die produziert wurden, überschaubar blieb. Glücklicherweise nahm die Internationalisierung des Hobbys enorm zu und damit kamen automatisch mehr Genres auf den Spieltisch und dadurch wurden Gruppen wieder zusammengeführt. Hinzu kam der Aufstieg der kooperativen Spiele. Eine große Spielevielfalt bedeutet eben, dass alle Spiele finden, mit denen sie sich identifizieren können. Da diese Durchmischung auch dafür sorgt, dass neue Ideen, Trends, Möglichkeiten durchmischt werden und sich so selbst gegenseitig befruchten können, wird die Vielfalt größer und Grenzen werden durchlässiger. Lassen sich Spiele -oder Leute – nicht klar voneinander abgrenzen, dann wird es auch schwerer Linien zu ziehen, die Spiele – oder Leute – ausgrenzen. Kreative haben ein größeres Repertoire zur Auswahl, wenn etwa Genres oder Mechanismen nicht per se ausgeschlossen werden, weil die keine Zielgruppe haben oder „zwischen den Stühlen sitzen“. Zwischen den Stühlen sind jetzt weitere Stühle. Das ist im Moment eine komfortable Situation.
Doch wenn mich eines die Musikgeschichte nach Byrne gelehrt hat, dann, das alles im Fluss ist.
ciao
peer
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