Brettspiele können die unterschiedlichsten Spielerlebnisse bieten. Das gilt als eine ihrer Stärken. Wenn man jedoch genug unterschiedliche Brettspiele probiert hat, fällt auf, dass diese Erlebnisvielfalt auch eine Hürde sein kann. Denn Brettspiele sind partizipativ, nicht nur interaktiv. Wie wir am Spiel teilnehmen ist, trägt viel dazu bei wie das Spiel erlebt wird. Wenn wir uns allein darauf konzentrieren, wie wir die Regeln möglichst effizient anwenden, bleibt selten Raum für das Thema des Spiels. Wenn wir wortarm und ausdruckslos unsere Züge machen, dann empfinden wir Spiele eher als Puzzle, statt als erinnerungswürdige Erlebnisse. Konfliktscheues Spielen nimmt einem auf Konfrontation ausgerichteten Spieldesign oft viel von seiner Dynamik. Gleichermaßen kann konfliktreiches Spiel für Unzufriedenheit und Unmut sorgen, wenn man sich nicht früh genug darauf einstellen konnte.
Diese Unterschiede zwischen dem was ein Spiel ermöglicht und dem wie wir es nutzen, trüben nicht nur den Ersteindruck, sondern vermitteln auch ein falsches Bild über die Stärken und Schwächen des Spiels. Mehr noch, es kann der falsche Eindruck entstehen, ob dieses Spiel oder sogar diese Beschäftigung das Richtige für uns ist.
Erwartung und Realität zusammen zu bringen ist eine Frage der Kommunikation. Es geht im Kern darum den emotionalen Raum des Spiels zu umreißen. Aber da uns gerade in diesem Bereich oft die Begriffe und Konzepte fehlen – es gibt noch nicht genug Lyrik zu Brettspielen – orientieren wir uns an Verhaltensweisen bzw. Spielstilen. Anders gesagt: wir müssen vermitteln wie das Spiel gespielt werden soll.
Angefangen wird dabei oft mit der Frage wie viel Aufwand und Anstrengung von den Spieler*innen eingefordert wird, damit das Spiel zielgerichtet gespielt werden kann. Wie viel Arbeit muss man in ein Spiel stecken, damit die Regeln sicher angewandt werden können und Spielsituation begriffen werden. Wie viele Hürden muss man nehmen, bis man Entscheidungen vorsätzlich fällen kann, statt aus einer Position der Ahnungslosigkeit. Dabei geht es nicht darum zu wissen, wie man jede Situation zum eigenen Vorteil drehen kann. Ein Spiel verstanden zu haben heißt Spielsituationen, Aktionen anderer Spieler*innen und die eigenen Möglichkeiten einordnen zu können. Noch behelfen wir uns damit, dass wir Spiele nach ihrer Zugänglichkeit unterscheiden und von Familien-, Kenner- und Expertenspielen sprechen.
Der Lernaufwand lässt sich damit gut anreißen. Aber die Intensität des Spielerlebnis lässt sich damit so gut wie überhaupt nicht erfassen. Ist jedes Familienspiel entspannt und konfrontationsarm? Ist ein Kennerspiel immer ein hartes Ringen um den Sieg? Muss man bei Expertenspielen davon ausgehen, dass wir nur Abläufe berechnen und optimieren? Ganz davon zu schweigen, dass unsere Rolle im Spiel und unser Beitrag zu einem gelungenen Spielerlebnis davon noch nicht einmal angedeutet wird.
Der Podcast Spielend Subversiv behandelt vorrangig das Thema Live-Action Rollenspiele (LARPs). Hier ist diese Frage noch sehr viel zentraler als im Brettspiel. Denn zum einen müssen alle Teilnehmer*innen wissen und verstehen worauf sie sich bei einer solchen Veranstaltung einlassen. Aber da LARPs ja gerade die emotionale Wirkung und das Erlebnis als Teil ihrer Daseinsberechtigung verstehen, setzt man sich im Vorfeld stärker damit auseinander. In Folge Vier des Podcasts wird kurz auf das Konzept eines „Design Documents“ eingegangen. Dabei handelt es sich um ein schriftliches Ausformulieren der Rahmenbedingungen und Zielsetzungen des Spiels. Zwar können hier auch Fragen der Sicherheit besprochen werden (d.h. wie geht man damit um, wenn eine Situation emotional überfordert), aber es werden auch die Prioritäten für das Spielen genannt. Steht der Plot im Mittelpunkt des LARPs, oder dient dieser als Kulisse für Konflikte zwischen den Spieler*innen. Ist das individuelle Charakterspiel und Eintauchen in die fiktive Welt das Ziel des gemeinsamen Spielens? Wie auch immer diese Fragen im Design Document beantwortet oder ausgehandelt werden, dient den Spieler*innen als Grundlage für das gemeinsame Spielen. Entsprechend groß ist daher auch der Unmut, wenn dieser Text nicht von allen Teilnehmenden gelesen und verstanden wurde.
Ich denke nicht, dass Brettspiele ein entsprechendes Dokument benötigen. Gerade weil Emotionen und das gemeinsame Spielerlebnis nicht den gleichen Stellenwert einnehmen wie im LARP. Aber der große Feind einer guten und erfolgreichen Spielrunde bleibt die Annahme, dass es eine unausgesprochene Einigung darüber gibt wie man Spiele spielt. „Einfach spielen“ ist das Ortsschild der Komfortzone für Menschen, die nur von Gleichdenkenden umgeben sind. Oder sich auf der sozialen Kompetenz ihrer Mitspieler*innen ausruhen können, die ihr Spielverhalten anpassen. Wie stark sollte man ein Spiel auf Konfrontation spielen? Wie performativ sollte unser Spielverhalten sein? Wie viel Theater braucht es, um alles aus dem Spiel herauszuholen? Kann das Spiel so intensiv werden, dass wir unsere Rolle gelegentlich deutlich machen müssen, um für ein gutes Spielerlebnis zu sorgen?
Auch in Brettspielen ist es wichtig, dass Teilnehmende wissen auf was für ein Spielerlebnis sie sich einlassen und was für ein Spielverhalten von ihnen erwartet wird. Statt sich dabei auf indirekte Kommunikation wie Spielthema und Genre zu verlassen, muss man vielleicht den unüblichen Schritt gehen und diese Dinge aussprechen. Die Frage wie man ein Spiel spielt, lässt sich eben nicht allein durch Spielmechanismen beantworten.
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