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Hart am Limit – Wie steil darf eine Lernkurve sein?

Ich attestiere Spielen gerne, dass ihr Design zu wünschen übrig lässt, weil ihre Lernkurve zu steil ist. Es ist ein Punkt, den ich weiterhin vehement verteidigen werde auch wenn es immer wieder Gegenstimmen gibt, die betonen, dass es ja genau diese steile Lernkurve ist, die sie am Spiel so reizt. Es ist eine Erkenntnis, die für mich in etwa so unerwartet kommt wie der Hinweis, dass Clark Kent und Superman ein und dieselbe Person sind.

Im Kern liegt das Problem nämlich nicht darin, dass manche Leute gerne ein Spiel lernen und andere „gleich los spielen“ wollen. Diese Trennung ist nicht nennenswert ausschlaggebend dafür, ob man eine Lernkurve als zu steil empfindet oder nicht. Das ist das erste große Missverständnis, wenn es um Kritik an Lernkurven geht. Denn auch wenn manche Menschen felsenfest behaupten, sie würden nicht gerne lernen, sieht die Wahrheit anders aus. Wir alle eignen uns unentwegt neues Wissen und neue Erkenntnisse an. Der Kniff guten Designs besteht darin, Spieler*innen dazu zu bringen etwas zu lernen ohne ihnen das Gefühl zu geben, dass es mühsam und öde ist.

Gutes Design zeichnet sich dadurch aus, dass es Konzepte und Zusammenhänge derart vermittelt, dass es sich das Verständnis intuitiv anfühlt.

Das ist, zugegeben, eine sehr große und schwierige Aufgabe. Nicht jedes Spielkonzept lässt sich derart aufbereiten, dass man es spielen kann ohne vorher einen 20 Minuten langen Monolog über sich ergehen zu lassen. Manchmal ist es unvermeidlich, die Spieler*innen vor einen steilen Einstieg zu setzen, bevor man sich an das eigentliche Spiel machen kann.

Was Menschen aber tatsächlich dazu treibt sich in komplizierte und nicht immer einfach verfasste Inhalte einzuarbeiten, ist ein lohnenswertes Ziel am Ende ihrer Mühen. Mit anderen Worten: es muss den Spieler*innen klar sein, warum sie diesen Aufwand betreiben. Da reicht es nicht aus, ein Spiel im Abschluss einfach nur spielen zu können. Man muss auch wissen oder zumindest darauf vertrauen, dass am Ende ein Spielerlebnis wartet, welches die Anstrengung das Spiel zu erlernen auch wert war.

Dieses Ziel laut auszusprechen, fällt in letzter Zeit meist Kritiker*innen, Kontent-Schaffenden und enthusiastischen Fans einzelner Spiele zu. Es ist ihre Begeisterung, die andere dazu ermutigt, die Lernkurve eines Spiels zu erklimmen. Inwiefern diese Aufgabe hier gut aufgehoben ist und nicht vielleicht durch das Marketing des Verlags erfüllt werden sollte, ist ein Streitpunkt für ein anderes Mal.

Das andere Missverständnis an der Kritik einer steilen Lernkurve, findet sich in der Vermengung zweier unterschiedlicher Konzeptionen des Begriffs. Im Rahmen des Erlernens eines Spiels werden zum einen Abläufe, Einschränkungen und Strukturen erklärt. Welche Aktionen kann man innerhalb des Spiels ausführen? Was ist nicht erlaubt und worauf muss geachtet werden, wenn Aktionen ausgeführt werden? Was muss genau getan werden, um eine Aktion innerhalb des Spiels umzusetzen? Aber es gibt auch eine weitere Ebene der Lernkurve, welche auf dieses erarbeitete Wissen aufbaut. Hier geht es um grundlegende Taktiken und umfassendere Strategien des Spiels. Während der erste Teil abdeckt „wie“ man das Spiel spielt, beantwortet der zweite Teil wie man das Spiel „gut“ spielt. Zugegeben, diese beiden Abläufe sind nicht immer sauber zu trennen. Dennoch muss man Kritik am ersten Punkt, nicht mit Kritik am zweiten verwechseln.

Einfach ist der Einsteig hier nicht

Denn selbstverständlich wird das Spielerlebnis aufgewertet, wenn man sich spürbar verbessert. Es kommt Spielfreude auf, wenn man fühlt wie die eigene Kompetenz sich kontinuierlich steigert. Wenn man das frisch Erlernte anwenden kann und dafür mit Fortschritt bzw. Verbesserung belohnt wird, spornt das an. Man will sich weiter mit dem Spiel beschäftigen. Durch dieses positive Feedback fühlen wir uns aber auch dem Spiel stärker verbunden. Es entwickelt den „Sog“, der uns immer wieder antreibt das Spiel noch mal zu spielen.

Aber das ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil man die Strukturen und Regeln des Spiels verinnerlicht hat. Je aufwändiger, umständlicher und sperriger es ist sich dieses Verständnis anzueignen, umso unwahrscheinlicher ist es, dass man das darauf aufbauende Spielerlebnis entdecken wird.

Die Kritik an einer steilen Lernkurve bezieht sich also nicht darauf, dass ein Spiel einen solchen Sog hat; sondern auf den Aufwand der notwendig ist, um diesen Sog selbst zu erleben. Der Begriff „Expertenspiel“ verkommt hier leider oft zum Feigenblatt, um die Hürden beim Einstieg als Vorliebe der Zielgruppe zu verklären. Natürlich stimmt es, dass es innerhalb der Szene auch Spieler*innen gibt, die den hohen Lernaufwand gerne in Kauf nehmen. Aber Spielspaß misst sich selten am Lernaufwand, den man sich vorher gemacht hat. Wir erfreuen uns an einem Spiel und verfallen in seinen „Sog“, unabhängig davon wie schwer es war dorthin zu gelangen.

Die ausgewiesene Zielgruppe der Expert*innen mag man durch eine steile Lernkurve nicht abschrecken. Aber effektiv werden viele Menschen abgeschreckt, die nicht weniger Gefallen am Einarbeiten in Strategien und Taktiken hätten. Wenn die Lernkurve dahin besser aufbereitet ist und nicht einer Felsenwand ähnelt, an der man sich hochkraxeln muss um irgendwann die Aussicht genießen zu können.

Die Kritik an der Lernkurve ist darum keine Kritik am Spielspaß, der sich aus dem selbst erarbeiteten Lernerfolg speist und der uns in den Bann eines Spiels zieht. Es ist eine Kritik an der Abschottung, die erfolgt, wenn wir solche Erlebnisse hinter sperrigen und umständlichen Spieleinstiegen verstecken.

Georgios Panagiotidis
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