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Darf die Kritik Spiele entschlüsseln?

Jetzt da das Jahresende sich langsam am Horizont abzeichnet, kann man ja mal anfangen einen Blick in die Kristallkugel zu werfen. Zur Zeit frage ich mich, welche Form die Brettspielkritik in Zukunft annehmen könnte.

Dabei geht es mir gar nicht so sehr um die historische Altlast, dass Kritik immer noch primär als Kaufberatung verstanden wird. Ihre Ursprünge finden sich zweifelsfrei in der Frage, ob sich ein bestimmtes Spiel „lohnt“ oder nicht. Die zentrale Aussage, ob ein Spiel Spaß macht wird in den meisten Fällen unter der Annahme getroffen, dass ein positives Urteil zum Kauf anregen wird. Mit anderen Worten, die Brettspielkritik sieht sich immer noch dafür verantwortlich, ob ihr Publikum mit einem potentiellen Spielkauf zufrieden sein wird.

Dass das Resultat oft einer umfassenden Spielevorstellung mit eingstreuter Beurteilung gleichkommt, mag auch nicht zwingend der Idealfall sein. Aber in dieser Form ist die Kritik vielen Spieler*innen verständlich und damit auch verwertbar.

Schwierigkeiten sehe ich vielmehr darin, dass sich ein Format anbahnt, welches auf eine andere Art kundenorientierter ist und auf den ersten Blick wie eine wertvollere und anspruchsvollere Form der Kritik wirkt. Ein Format, welches tiefer in das Thema eines Spiels eintaucht und sowohl die Verbindungen zwischen Regeln und Thema ausformuliert, als auch das Thema mit zusätzlichen Inhalten erweitert.

Dabei geht es nicht darum aus dem Spiel einen Lehranspruch oder ein Lehrangebot abzuleiten. Diese Eigenschaft wird zwar vielen Spielen, gerade solchen mit historischen Hintergründen, zugesprochen; aber mein Eindruck ist, dass das tatsächliche Potential eher gering ist. Ein Spiel kann als Veranschaulichung dienen – wenn es bestimmte Zusammenhänge mechanisch zu umreißen versucht. Dafür benötigt man jedoch ausreichend Hintergrundwissen, um eben diese Zusammenhänge zu erkennen und sie richtig einzuordnen.

Traditionell wurde ein solches Wissen bei Spieler*innen schlicht vorausgesetzt. Erst wenn man dieses Hintergrundwissen an den Tisch brachte, konnte man sich eine umfassendere und differenziertere Wertschätzung für das Spiel erschließen.

Gerade bei Spielen, mit ausreichend dokumentierten Themen (sei es durch Sachbücher oder Romane) wird einem die eigenen Wissenslücke am Spieltisch beinahe schmerzhaft bewusst. Man bemerkt, dass Feinheiten, Anspielungen und auch größere Zusammenhänge einem verwehrt bleiben, weil man zu wenig über die Hintergründe versteht auf die sich das Spiel bezieht.

Die derart geweckte „Neugier“ auf das Thema hat meiner Meinung nach ihren Ursprung oft in dem Gefühl, dass man das Spiel nicht wirklich begreifen kann bis man sich in das Thema eingelesen hat. Oder anders formuliert, das Spiel zeigt eine Möglichkeit auf in der spezielles Wissen Anwendung findet und das Spielerlebnis vertiefen und bereichern kann. Der Reflex sich dieses Wissen anzueignen ist so naheliegend wie natürlich.

Die thematische Tiefe eines Spielerlebnis speist sich zu einem großen Teil aus der Vorstellungskraft und damit auch dem Vorwissen der Spieler*innen. Je umfangreicher das Vorwissen ist, umso mehr kann unsere Vorstellungskraft beim Spielen arbeiten und umso thematischer empfinden wir das gemeinsame Spiel.

In klassischen, d.h. nicht-interaktiven, Medien diente die Kritik hier als Wegbegleiter für die Auseinandersetzung mit einem Werk. Interpretationen konnten aufgezeigt werden. Alternative Lesarten präsentiert oder das Werk (in Schrift, Bild und/oder Ton) einem kulturellen Kontext zugewiesen, welcher die eine oder andere Aussage des Werks nach vorne stellte.
Nun ist das Spiel aber kein Medium wie alle anderen. Es ist kein Medium, das Inhalte trägt oder vermittelt; sondern eines welches Spielenden lediglich Angebote macht, welche diese wiederum konfigurieren, deuten und mit Aussagekraft füllen.

Die Spielkritik kann nun versuchen weiterhin der inhaltliche Wegbegleiter zu sein. Sie kann sich als content verstehen, der die Themen eines Spiels für ihr Publikum erweitert und vergrößert. Sie könnte die historischen Verweise und Vorgänge offenlegen. Sie könnte die Eigenheiten der Kultur (real oder fiktiv) erläutern, auf die sich das Spiel beruft. Sie könnte sich als Hilfstext verstehen, der die Vorstellungskraft der Spieler*innen bereichert und so für ein facettenreiches und immersives Spielerlebnis sorgt.

Manche Kritiker*innen arbeiten bereits mit ähnlichen Ideen unter dem Deckmantel der „Spielkritik“ in dem sie das eigene Wissen oder Recherche zum Thema darlegen. Kanäle wie Space-Biff oder No Pun Included füllen zum Teil (manchmal unabsichtlich) die Leerstellen in der thematischen Auskleidung der Spiele auf, damit Spieler*innen das nicht mehr selbst tun müssen. So als würde man anderer Leute LEGO-Sets zusammenbauen, damit sie es nicht selbst tun müssen.

Denkt man diesen Ansatz konsequent weiter, landet man bei der Kritik als eine Spielerklärung für die Aspekte des Spiels, welche keine Regeln sind. Das Spiel wird aber damit inhaltlich erweitert und die thematische Wirkung auf die Spielenden so gelenkt.

In meinen Augen schmälert man damit die besondere Eigenschaft von Spielen. Denn es ist gerade die individuelle Auseinandersetzung mit dem Spiel, die es als interaktives Medium ausmacht. (NACHTRAG: Hier geht es nicht um Spielspaß, sondern darum was wir im Rahmen des Spielakts tun. Oder in einem solchen Fall, nicht mehr tun.) Mehr noch als eine Interpretation, legen wir am Tisch einen eigenen Bedeutungsrahmen auf das Spiel an. Von „das ist alles nur ein Spiel und was wir sagen und tun ist belanglos“ bis hin zu „wir nehmen Teil an einem kulturellen Akt in dem wir Fiktion schaffen und als real behandeln“. Oder unzählige andere Arten und Weisen wir wir am Tisch auf ein Spiel schauen und mit seinen Inhalten umgehen.

Dieser Bedeutungsrahmen speist sich, wie bereits erwähnt, aus dem Wissen, das wir als Spielende an den Tisch bringen. Dieses Wissen kann auch Kritiken beinhalten, welche thematische Verweise und Zusammenhänge ziehen oder eigene Bedeutungsrahmen anlegen. Gefühlt geht die Kritik damit zu weit. So als würde man einem Roman ein eigenes Kapitel oder einem Film weitere Szenen hinzufügen, damit eine bestimmte Aussage klar hervortritt.

Aber vielleicht ist genau das, was ein bestimmtes Spielklientel sucht. Spiele, zu denen Content-Macher erklärende Texte und Videos liefern, die einen an die Hand nehmen. Denn sich mit Kulturgütern oder sogar Kunst selbst auseinanderzusetzen, läuft immer Gefahr sich zu verzetteln. Oder schlimmer noch: sich lächerlich zu machen.

Georgios Panagiotidis
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