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Zum Unterschied zwischen Simulation und Praxis

Das Thema eines Spiels, also das was man im Spiel sieht und wie man es nennt, wird oft als Abbild verstanden. Egal ob es dabei auf Realität oder Fiktion verweist, werden die Regeln genutzt, um eben diese Dinge am Spieltisch nachzustellen. Das Spiel ahmt seinen Hintergrund mit Hilfe der Regeln: das ist Mimesis.

Ein Spielthema so zu begreifen, hat seine Vorteile. Es verleiht dem Thema eine Funktion, die über reine Ästhetik hinausgeht. Mehr noch, es weist dem gemeinsamen Spiel einen konkreten, fassbaren Zweck zu. Es geht beim Spielen nun um die Erforschung und Entdeckung des Themas bzw. seiner Darstellung so wie es sich die kreativen Personen hinter dem Spiel erdacht haben.

Der Traum vom bedeutsamen Spielthema ist unsterblich

Anders gesagt, das Spiel funktioniert hier ähnlich wie ein Buch oder ein Film. Wir tauchen in die Gedankenwelt der Personen ein, die das Spiel gemacht haben, und lernen was sie uns darüber vermitteln wollten. Das Spiel als durch Spaß geförderte Lehrstunde über eine durch das Spielthema umrissene Fragestellung. Sei es eine Militärschlacht im zweiten Weltkrieg, ein geopolitisch geführter Konflikt zwischen zwei Supermächten oder das Ringen um die politische Vorherrschaft in einem südamerikanischen Land. Wir spielen, damit wir etwas lernen.

Dabei ist es kein Zufall, dass das Kriegsthema in jedem meiner Beispiele durchscheint. Denn der Ansatz reale Konflikte in einem Spielkontext abzubilden, hat seine Ursprünge im Kriegsspiel. Es diente dem Ziel den Spielenden vorausschauendes Planen, das Abwägen von Risiken und das Analysieren einer komplexen Situation zum eigenen Vorteil zu vermitteln.

Damit wird das Spiel wird als Beschäftigung mit einem didaktischen Auftrag verstanden. Seine einzelnen Elemente sind diesem Ziel untergeordnet. Das Spiel belehrt die Spielenden, und diese haben zu viel Spaß dabei, um sich daran zu stören.

Mir fällt auf, dass dieser Ansatz auch zunehmend in der Analyse und kritischen Auseinandersetzung mit einem Spiel Fuß fasst. Das Regelsystem und seine Verflechtungen mit dem Spielhintergrund werden in den Mittelpunkt der Betrachtung gesetzt. Die Simulation des Hintergrundes durch die Regeln wird gedeutet und die damit entstehende Aussage der Macher bewertet. „Welche Position nimmt das Spiel zu seinem Thema ein?“ ist eine typische Fragestellung für diese Herangehensweise, die ich Simulationskritik nenne.

Man mag sich nun zu Recht die Frage stellen, ob diese Fragestellung auch für Spiele mit Hintergründen gilt, die sich weniger direkt auf reale Umstände übertragen lassen. Was will uns Schatten über Camelot sagen? Welche Aussagen trifft Hanabi? Welche Erkenntnisse über das Nordamerikanische Schienennetz vermittelt Zug um Zug?

Die Simulationskritik kommt hier ins Straucheln. Ihre Anwendbarkeit auf Spiele stößt an ihre Grenzen, wenn die Simulation nicht klar gekennzeichnet ist. Zumindest muss man zunehmend zu rhetorischen Kniffen und Gedankensprüngen greifen, um etwa zu erklären was genau ein Quacksalber von Quedlinburg oder ein MicroMacro durch seine Regeln über den gewählten Hintergrund kommuniziert. So sehr Kriegsspiele oder Simulations-Designs diese Form der Spielanalyse einladen, so unzureichend bleiben sie, wenn ein Spiel den derart eingezäunten Bereich verlässt.

Meidet die Kritik nun jene Spiele, die dem Simulations-Paradigma nicht entsprechen, so unterstellt sie ihnen indirekt Irrelevanz und Aussagelosigkeit. Es wird, womöglich unabsichtlich, eine Grenze gezogen zwischen Spielen, die durch Kritik an Wert gewinnen und solchen die im reaktionärsten Sinne überhaupt „nur ein Spiel“ bleiben: eine von Sinn und Konsequenzen befreite Beschäftigung.

Spielkritik muss daher eine umfassendere Perspektive einnehmen. Sie muss so flexibel und vielfältig sein, wie es die eigene Spielkompetenz ist. Sie muss in der Lage sein jedes Spiel inhaltlich und analytisch zu durchleuchten, unabhängig davon welcher Ansatz von den Machenden verfolgt wurde. Kurz gesagt: sie muss sich damit beschäftigen was am Spieltisch passiert.

Die Simulationskritik analysiert Regeln, Thema und Material. Die Spielgruppe wird als notwendiger Motor verstanden, um eben diese Dinge anzuwenden und ihr Zusammenspiel zu veranschaulichen. Der wiederholte Spielakt ist damit lediglich eine beliebig lange Testreihe mit der die Aussagekraft der Simulation ermittelt wird. Ein Spiel gilt als gut, weil es selbst nach wiederholtem Einsatz noch „thematisch“ und „stimmungsvoll“ ist.

Erst die Praxis, dann das Vergnügen

Dieser Perspektive steht eine Praxiskritik entgegen. Eine Herangehensweise an das Spiel, in der die realen, zwischenmenschlichen Interaktionen betrachtet und bewertet werden. Anstatt zu fragen was das Spiel aussagt oder erreichen will, stellt man die Frage was das Spiel mit uns macht.

Die Summe der Anreize, Belohnungen und Einschränkungen eines Spiels erzieht Spielende zu bestimmten Verhaltensweisen und Denkmustern. Genau diese Dinge gilt es im Rahmen einer Praxiskritik zu erfassen, sie zu benennen und auch kritisch zu hinterfragen. Regeln, Thema und Material dienen in der Praxiskritik als notwendiger Motor, um die spielerische Interaktion überhaupt stattfinden zu lassen.

Es ist genau hier, dass die kulturelle Relevanz und Aussagekraft eines Spiels zu Tage tritt. Erst wenn wir die Spielpraxis beurteilen, beginnen wir uns das Potential des Spiels als eigenständiges Medium zu erschließen. Die spannende Frage, die ein Spiel aufwirft ist eben nicht, was uns jemand mit einem Spiel sagen will; sondern was wir durch unser Spielverhalten innerhalb des Spiels aussagen.

Eine Praxiskritik betrachtet das Zusammenspiel zwischen dem Spiel (Regeln, Thema, Material) und den Spielenden. Sie beschäftigt sich damit welche Motivationen das Spiel uns zuschreibt; welche Verhaltensweisen es belohnt; welche Denkmuster es antizipiert, usw.

Die Wertschätzung eines Spiels findet eben nicht in der Beurteilung darin statt, wie gelungen das Thema sich in den Regeln wiederfinden lässt, sondern im Spielakt selbst. Eine Spielkritik muss sich an erster Stelle mit dem Spielen beschäftigen.

Georgios Panagiotidis
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