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Die Zukunft des Spielens

Prophezeihungen sind ja bekanntlich schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Deswegen warten erfolgreiche Propheten mit ihrer Vorhersage auch bis nach dem Ereignis . Dennoch will ich mich an einem kleinen Ausblick versuchen, wie es mittel- und langfristig in der Spielewelt nach 2020 weitergehen könnte. Kurzfristige Prognosen sind in der Tat fast schwieriger, da nicht klar ist, wann welche Maßnahmen beschlossen werden und ob und was die bewirken. Doch die Chance ist hoch, dass zumindest einer der beiden Impfstoffe, die vor der Zulassung stehen, hält, was er verspricht. Und auch wenn es noch mindestens bis zum Sommer dauert, bis der für die Gesambevölkerung zur Verfügung steht, erkennt man zumindest Licht am Ende des Tunnels. Doch welche Langzeitfolgen der Corona-Krise werden die Spieleszene plagen?

Das erste Quartal wird relativ normal verlaufen – mit der Ausnahme, dass die Nürnberger Messe erst im Sommer stattfinden wird. Ist das schlimm? Meiner Einschätzung nach erst einmal nicht. Die Bedeutung für die Brettspielwelt ist überschaubar. Die meisten dort vorgestellten Spiele waren sowieso nicht fertig. Was wegfällt sind Kontakte zwischen Autoren und Verlagen, aber auch da spielte die Messe nach meiner Einschätzung keine so große Rolle wie Göttingen oder die Spiel und nicht zuletzt werden die Autoren, die dort ihre Kontakte haben, sich mittlerweile weitestgehend mit digitalen Kontakten arrangiert haben.

Der beliebte Erscheinungstermin im Frühling wird vermutlich nach wie vor bedient. Die Spiele die dort erscheinen, sind seit einem Jahr oder länger im Vorlauf – das ist die übliche Zeit zwischen „Vertragsunterzeichnung“ und „Veröffentlichung“. Mit anderen Worten: Bereits vor dem Lockdown im Märzt 2020 hatten Verlage größtenteils ihre Planung für 2021 fertig, zumindest für die erste Jahreshälfte. Ich weiß auch von mindestens einem großen Verlag, dass er ein paar diesjährige  Essen-Neuheiten auf das Frühjahr verschoben hat, eben genau um sicherheitshalber bereits fertig geplante Spiele über einen längeren Zeitraum zu strecken.

Auch die Spiel des Jahres Jury wird vermutlich an ihrer Terminplanung festhalten und das bedeutet, dass die Deadline „Ostern“ für Berücksichtigungen erhalten bleibt. Auch deswegen werden Verlage versuchen, diesen Termin zu halten.

Schwierigkeiten kann es allerdings geben, wenn die Spiele nicht komplett in Deutschland (etwa von Ludofakt) produziert werden, weil Lieferketten durch lokale Maßnahmen unterbrochen sind. Das betrifft insbesondere China – wenn dort zwischen unserem Neujahr und dem chinesischen Neujahrsfest es zu Ausbrüchen kommt, so dass Schiffe nicht losfahren können, kann das erhebliche Verzögerungen mit sich bringen. Freilich ist das auch ohne Corona aus diversen Gründen (z.B. Abfertigungsstopps an den großen Häfen) möglich. Man muss für diese Probleme auch nicht nach China gucken – Renault z.B. warnt bereits dass ihr neues Hybrdidauto verzögert ausgeliefert wird, weil in Frankreich gerade massive Lockdowns herrschen. Ähnliches ist auch in der Spieleszene denkbar. Je später das Jahr, wird diese Gefahr jedoch wegen des Impfstoffes eher kleiner. Allerdings hat sich doch die diversen Verzägerungen jetzt ein größerer Rückstau ergeben und der beeinflusst natürlich auch gerade die erste Jahreshälfte. Weniger Schiffe können fahren (auch wegen Krankheiten etc.) und so dauert es länger bis der aufgearbeitet ist. Das betrifft vor allem Kickstarter und alles mit Miniaturen, aber nicht nur.

Damit wären wir im Sommer. Und der ist Grauzone: Wird der Impfstoff da bereits weitläufig verfügbar sein? Darauf setzt nicht nur das IOC, sondern auch diverse Veranstalter. Innerhalb kürzester Zeit soll die Nürnberger Messe und die Berlin Con stattfinden und vielelicht auch die Spiel doch, sollte eine entsprechende Veransataltung im März noch nicht möglich sein (was ich für eher ausgeschlossen halte, außer die Verteilung des Impfstoffes geht schneller als geplant). Das ist eine riskante Wette, nicht nur weil es vermutlich nach wie vor Einschränkungen geben wird (wenn auch ggf. nicht so harte), sondern auch, weil es gerade für kleine Verlage eben durchaus nicht so einfach ist, in kurzer Zeit auf viele Messen zu gehen. Ähnliches gilt auch für Besucher. Und es ist auch nicht gesetzt, dass nach einem Jahr der Kontaktveschränkungen alle Brettspieler unbedingt viel Kontakt mit Fremden haben wollen. Ich gehe davon aus, dass die lokaleren Veranstaltungen sehr viel mehr Concharakter haben werden, als bisher – sofern sie stattfinden können. Ich halte es jedenfalls für nahezu ausgeschlossen, dass im Sommer bereits Messen ohne starke Hygienebeschränlungen sttatfinden können – auch die Olympischen Spiele setzen auf massives Impfen und Schnelltests (ob das eine kluge Strategie ist, sei dahingestellt).

Wie sieht es mit einer Spiel im Jahre 2021 aus? Wir alle hoffen, dass die wie gewohnt stattfinden kann. Aber ich sehe das ehrlich gesagt nicht. Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen, aber ich denke, dass die Messe nächstes Jahr mit deutlich weniger Internationalität auskommen muss. Selbst wenn Publikumsmessen wieder normal stattfinden dürfen, dann wird mehr Abstand zwischen den Ständen eingeplant werden müssen und das heißt: Weniger Stände oder mehr Hallen. Letzteres dürfte zu teuer sein. Vor allem aber ist es unwahrscheinlich, dass alle internationalen Besucher einfach so wieder problemlos reisen dürfen. Das ist wohlgemerkt (Impfstoff sei dank) nicht unmöglich, aber auch nicht unbedingt wahrscheinlich. Ich kann mir eher vorstellen, dass dies eine Europäische Messe wird, vielleicht in der Größenordnung von vor 20 Jahren. Dafür allerdings mit einer verbesserten digitalen Anbindung, quasi eine Kombination aus Präsenz – und Digitalmesse, wo außereuropäische Verlage primär virtuell vertreten sein werden, aber auch internationale Messebesucher ein Onlineprogramm vorfinden. Ich hoffe der Merz-Verlag sitzt da bereits an Ideen, wie das dieses Jahr erreichte verbessert werden und mit dem „Realteil“ kombiniert werden kann.

Kommen wir zur längerfristigen Planung: Der Spieleentwicklung.

Dieses Jahr war es aus offensichtlichen Gründen schwierig Prototypen zu testen (und nicht nur das: Auch die Rezensionsspiele zu spielen wirft Rezensenten vor Probleme, zum Glück gibt es noch ein paar halbfertige Rezis aus der Vor-Lockdown-Zeit so dass potentiell noch ein paar Rezis 2020 auf der Spielbar erscheinen könnten). Das gilt sowohl für Autoren als auch für Verlage, die ja auch Redakteursarbeit verrichten müssen und dafür auch Testrunden brauchen. Wie oben schon erwähnt ist die Vorlaufzeit für ein Spiel recht lange – Wie lange genau hängt vom Verlag ab – 2021 ist jetzt bereits ziemlich geplant, höchstens Verschiebungen sind möglich (wobei ich ein Spiel habe, dass eventuell noch in den Herbst reinrutscht). Einige Verlage dürften bereits die Planung 2022 abgeschlossen haben. Da alle Verlage etwas zeitversetzt arbeiten kann es sein, dass die Probleme etwas geglättet werden, also die Anzahl der Neuerscheinungen nicht allzu stark sinkt. Vorstellbar ist das aber definitiv. Vor allem wird es eine Verschiebung auf Spiele geben, die sich virtuell testen lassen, sowie auf Solo- und Zweierspiele. Einfach ganz aus praktischen Gründen – viele Verlage testen bereits per Tabletopia oder Tabletop Simulator. Das begünstigt wiederrum Autoren, die sich mit sowas auskennen und die Spiele entsprechend vorstellen können. Partyspiele sind aber tatsächlich auch möglich, sofern sie sich per Discord (oder Zoom oder ähnlichem) spielen lassen. Und letztlich sind in Fernost die Beschränkungen nicht so stark wie hier und es finden Spieleveranstaltungen unter Hygieneauflagen statt – Theoretisch könnte das bedeuten, dass wir in den nächsten Jahren verstärkt Neuheiten von Autoren aus Südostasien, Taiwan, Japan und Korea sehen würden. Bin gespannt, ob das so kommt.

Interessant auch, wie sich Spielegewohnheiten ändern werden – es wird sicherlich mehr virtuell gespielt werden. Ich videochatte mehr mit Spielern aus anderen Ländern und würde das vermutlich auch nach der Pandemie weiterführen. Spiele könnten das in Zukunft noch mehr unterstützen. Wo wir bereits immer mehr Spiele mit Soloversionen sehen, könnten in ein paar Jahren Spiele mit Varianten fürs virtuelle „Remote Play“ folgen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass verstärkt Hybridspiele (also appunterstützte Brettspiele) entwickelt werden, jetzt wo sich Autoren eh mehr mit digitalen Komponenten vertraut machen.

Mal sehen!

ciao

peer

Peer Sylvester
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