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Spielen im Iran – Überblick und Spieleeindrücke

Im Rahmen der Vorbereitung auf die Spiel Digital habe ich mich mit Vertretern von Roomiz und Reality Games unterhalten. Ich dachte ich schreibe mal ein bisschen etwas was ich dabei gelernt habe, denn das ist ja eine Spielkultur über die man nicht so viel mitbekommt. Der Hauptteil des Artikels sind meine Eindrücke von den vier Iranischen Spielen, die ich bereits spielen konnte.

Backgammon war natürlich lange das Iranische Spiel schlechthin – Seit etwa einer Dekade kennt man im Iran auch deren Enkel. Etwa 2013 wurde in Shiraz das erste Iranische Brettspielcafe gegründet, zwei Jahre später wurde das erste in der Hauptstadt Teheran eröffnet. Mittlerweile gibt es wohl rund 300 Spielecafes im Iran, etwa 50 davon in der Hauptstadt. Daran sieht man schon: Brettspiele boomen. In der Anfangsphase wurden hauptsächlich Importe gespielt, dann kam eine Persische Version von Dixit auf den Markt. 2016 erschien dann vermutlich die erste Iranische Eigenentwicklung: Divan basiert auf Mafia/Werwolf ist thematisch aber in der Persischen Mythologie verortet. 2018 erschien dann mit Zaar das erste Iranische Autorenspiel, finanziert via Crowdfunding. Wer die Messeschau gelesen hat, weiß: Dieses Spiel erschien bei Reality Games, der eigentlich Farbood Engareh Vagheiat Khial (Etwa: Das Spiel der Reality mit der Vorstellungskraft) heißt und 2016 gegründet wurde. 2019 brachte Reality Games dann King Thief Minister auf den Markt, vermutlich deren erfolgreichstes Spiel. Für dieses Spiel holten sich die Entwickler Expertise bei Memory-Coaches ein. Eine Zweipersonen-Version soll die Tage erscheinen. Mittlerweile gibt es auch Kontakte zu Internationalen Spieleautoren, die dann Spiel in Iran veröffentlichen werden – einer der ersten ist Martin Nedergaard Andersen. Auch eine Partnerschaft mit Helvetiq wird den Verlag sicherlich auch bei uns bekannter machen.

Wie in vielen aufstrebenden Spieleszenen entstammt also auch die Iranische einer Kombination aus Spielecafes, die sozusagen das Spielen unter die Leute brachten und einer Online-Community. Hier ist vor allem Roomiz zu nennen, die wohl als Medienseite begannen, mittlerweile aber auch Spiele lokalisieren und auch selbst Spiele herausbringen. Hausautor Amir Salamati hat beim Hippodice Spieleautorenwettbewerb einen guten Dritten Platz gemacht und sicherlich auch so dafür gesorgt, das Land bei einigen Redakteuren auf die Landkarte zu setzen.

2019 wollten dann drei Iranische Verlage erstmalig nach Essen, was aber aufgrund von Visaschwierigkeiten torpediert wurde, auch wenn Freunde zumindest eine partielle Standpräsenz ermöglichten. Neben Roomiz Und Reality Games war Dorkehami Games der dritte im Bunde, ein Verlag mit Spielen für viele Leute, über den Hilko ein paar lesenswerte Sätze geschrieben hat. Zwei weitere größere Iranische Verlage sind Hoopa und Bahamzi. Leider habe ich dort bislang keinen Kontakt und kann keine Infos beisteuern. Ich hoffe das ändert sich noch, denn – so viel sei vorweggenommen – ich bin schon einigermaßen begeistert, wie eigenständig die Iranischen Spiele sind, die ich bislang spielen konnte.

Und damit zu meinen Eindrücken – alle hier vorgestellten Spiele sind spielbar, wenn man englisch kann. Zu  beziehen sind sie grundsätzlich über die Verlagsseiten, im Rahmen der Spiel digital gibt es eventuell auch hier und da ein paar Exemplare bei Europäischen Versendern.

Zaar (Reality Game): Auf der einen Seite könnte man Zaar in der Tradition von westlichen Dungeon Crawlern á la HeroQuest sehen: Fantasy, hoher Glücksfaktor, das Spielerlebnis (nicht das gezielte Spielen auf Sieg) steht im Mittelpunkt, umwerfendes Material. Auf der anderen Seite ist dieses Spiel so tief in der Iranischen (Spiele-)Kultur verortet, dass eigentlich keines der Elemente im Spiel irgendwelche Wurzeln in klassischen Dungeon Crawlern hat. Selbst das Material ist komplett anders umwerfend als die Miniaturenschlachten, die man hierzulanden kennt. Die Spielfiguren sind als Stahlfiguren vielleicht noch das Element, dass am ehesten an herkömliche Crawler erinnert. Darüberhinaus sind echte Münzen im Spiel, ein Stoffplan und ein Würfelapparat, in dem 4 „Würfel“ wie in einer Perlenschnur aufgebahr sind. Hinzu kommt eine Doppelseitige (!) Drehscheibe mit gegeneinanderlaufenen Rädern.

Thematisch machen sich die Spieler auf einen Dämon zu bannen. Dabei ist das Spiel in mehrere Akte unterteilt: In den ersten beiden Akten erkunden die Spieler das Gebäude, das heißt, dass Hexfelder angelegt werden können und die Spieler im Gebäude herumlaufen. Beim Anlegen können bestimmte Raumkombinationen erreicht werden, die dann Extramünzen geben (Münzen stehen je nach Sorte für Bewegungsreichweite und Kampfkraft, dienen aber auch zum Erwerb von Gegenständen und sind bei Spielende gar Siegpunkte). Auch wenn sich das kaum gezielt steuern lässt, eine interessante Verbindung aus Lege- und Fantasyspiel. Hauptsächlich geht es aber darum, den Dämon zu hauen. Das ist nur mit etwas Glück überhaupt möglich, gelingt es gibt es Boni. Gleichzeitig nimmt die Anzahld er Räume, in denen der Dämon sein kann ab. Gibt es nur noch einen Raum, in dem der Dämon sein kann und wird dieser betreten, tritt das Spiel in die Endkampfphase. Hierbei hat der Spieler, der den Raum zuerst betreten kann einen enormen Vorteil. so dass andere Spieler durchaus ein Interesse daran haben, dies herauszuzögern, wenn möglich. Das kann zu etwas langen Vor-Endspielen führen. Ansonsten ist auch hier ein Element (Mögliche Räume werden wie bei einem Deuduktionsspiel immer weiter ausgeschlossen), dass ich noch nie zuvor in einem Fantasyspiel gesehen habe enthalten. Wurde der Dämon schließlich besiegt, folgt eine Art Nimspiel, bei dem die Spieler noch einmal Münzen sammeln und sich gegenseitig den Weg abschneiden kann – eine Art Mini-Hey thats my fish! als Endspiel.

Zaar ist zweifellos etwas besonderes und lebt vom Material und dem ungewohnten Spielverlauf mit den vier Akten. Wer sich darauf einlässt muss wissen, dass das Spiel einen enorm hohen Glücksfaktor hat – eben wie HeroQuest, nur nicht kooperativ – und dass man schon so eine Partie braucht, um sich an die persischen Zahl- und Buchstabenzeichen zu gewöhnen. Alle Zeichen sind ausführlich erklärt und es gibt Übersichten, aber dennoch muss man erst einmal wissen, worauf man achten muss. Die Münzen sind sogar extrem schwer auseinander zu halten, so dass ich mit dem Gedanken spiele, die einzelnen Sorten mit verschiedenen Klebepunkten zu versehen oder gleich einfach Holzscheiben zu verwenden.

King Thief Minister (Reality Game): Selten hat mich ein Spiel so auf dem falschen Fuss erwischt wie King Thief Minister. Es gibt sechs verdeckte Rollen, für jedem Spieler eine – und bei weniger als sechs Spielern sind die verbleibenden Rollen dennoch im Spiel. Also war mein erster Gedanke „Social Deduction“. Das legt sich während der Regellektüre zu einem gewissen Grad. Den prinzipiell kann jeder jede Rolle einfach durchführen – Hegt niemand Einspruch, führt man die Rolle durch, egal wer man wirklich ist (was man übrigens auch nicht immer weiß). Wird Einspruch erhoben wird überprüft, wurde man erwischt, verliert man lediglich einen Zug. Der Anzweifler riskiert mehr: Liegt er falsch, verliert er eine Münze und die entscheiden über den Sieg (der reichste gewinnt). Das erinnert etwas an die Erben von Hoax und mit diesen Erwartungen ging ich in die erste Partie. Spoiler Alert: Es ist nicht die Erben von Hoax, denn das ist durch den hohen Einsatz (Wird man zu Unrecht angezweifelt gewinnt man) ein lupenreines lockeres Bluffspiel. Bei King Thief Minister dagegen geht es darum erst einmal herauszufinden wo am Tisch welche Rollen liegen. Da diese oft rotieren (im oder gegen den Uhrzeigersinn, um 1 oder 3 Plätze) ist dies mit mentaler Arbeit verbunden. Da die Positionen aber fast immer (es gibt eine Sonderfähigkeit die das aushebelt) relativ zueinander gleich bleiben ist dies keine unmögliche Aufgabe. Sind die Plätze bekannt, kann man gezielt darauf spielen, sich die Rollen zuzuschustern, die man zum Sieg benötigt.

Als Resultat hat King Thief Minister trotz wirklich einfacher Regeln eine brutale Lernkurve. In den ersten Partien weiß man noch nicht genau, was man eigentlich soll, erst bei wiederholtem Spiel bekommt man ein Gefühl für sinnvolles Handeln, für sinnvolles Aquirieren von Informationen, die hier das A und O sind – und gleichzeitig will man auch noch die Pläne der Mitspieler durchkreuzen. Dachte ich zuerst dies wäre eine lockerer Absacker, schätze ich King Thief Minister jetzt als originelle Gehirnmassage. Von den drei Reality Games gefällt mir dieses hier am besten und ich habe es auch am häufigsten gespielt. Auf die Zweiervariante King Thief Minister Duell bin ich zumindest gespannt. Gedächtnisbasierte Spiele sind sonst nicht so meines, aber irgendwie schafft es King Thief Minister den Focus so zu legen, dass es nicht als Gedächtnisübung, sondern als Taktikspiel wahrgenommen wird.

Gendarmery (Reality Game): Gendarmy macht sehr vieles sehr richtig. Insbesondere ist die graphische und thematische Einbindung super. Thematisch suchen wir einen Verdächtigen. Dazu müssen Zeugen gefunden und befragt werden, die dann zu neuen Zeugen führen usw. Das funktioniert aber nicht deduktiv, sondern als Sammelspiel. Jede Charakterkarte zeigt einige Symbole, die den Verdächtigen charakterisieren: Staatsangestellter, Schmuck, Brille, etc. Die Spieler können nun Karten mit ein oder zwei dieser Charakteristiken aufnehmen – quasi Spuren oder Hinweise  finden. Diese können sie aber auch wieder verschwinden lassen, wozu das Archiv dient – eigentlich nur vier verschiedene Ablagestapel, die jedoch als Schrank in der Spieleschachtel daherkommen, was cool ist. Mit seinen Spuren kann man nämlich nur dann einen Zeugen/Verdächtigen verhaften (also eine Karte nehmen, was das individuelle Spielziel darstellt), wenn alle Handkarten zusammen auf genau eine Karte passen. Diese Karte darf man dann nehmen. Ist es gar die besonders hervorgehobene Karte, gibt es mehr Punkte. Das ist spielerisch schlüssig und sorgt auch für thematische Kommentare. Allerdings ist mir das Geschehen bei Gendarmy zu tempoarm – die Kartenhand ändert sich nur marginal, das empfinde ich nicht als dynamisch genug. Auf der anderen Seite ändert sich die Hand mit mehr als vier Spielern auch deutlich langsamer als die gemeinsame Auslage, aus der sich jeder bedient. Diese ändert sich quasi wieder zu dynamisch. Dass das Archiv zudem nur mit einer 30%igen Erfolgschance angesteuert werden kann, kommt dieses Spielelement nicht so sehr zum tragen wie erhofft. Vielleicht ist Gendarmys Lernkurve noch steiler als die von King Thief Minister, aber von den drei Spielen ist dieses nach meinem persönlichen Geschmack das schwächste. Was schade ist, denn wie erwähnt ist das Spiel um den Zentralmechanismus schön thematisch und originell.

Super Team (Roomiz): Dieses Spiel habe ich bislang nur einmal gespielt und das während der Spiel digital online – aber dass ich es mir danach gleich bestellt hat, soll schon einmal als Qualitätsurteil gelten. Schon viele Autoren und Verlage haben sich an dem Thema „Fussball“ abgearbeitet, mit wechselndem Erfolg. Ein Spiel über ein Spiel zu machen ist eben nicht einfach, wenn man sich nicht in Regelstreitigkeiten verlieren will, aber dennoch das Geschehen auf dem Rasen adäquat abgebildet werden soll. Amir Salamati macht dies mit einer cleveren Mischung aus Karten und Würfeln. Ähnlich wie bei Cwalis Street Soccer ist die Mannschaft verkleinert und das Spielgeschehen vereinfacht. Die Würfel entscheiden über gelungene Pässe, Torschüsse und Tacklings, aber die Karten ermöglicheren taktische Spielzüge. Das System ist clever: Karten ermöglichen einerseits einfache Standardaktionen, vor allem aber auch geschickte Spielzüge über mehrere Stationen. Dabei hat man eine besondere Motivation diese Spielzüge tatsächlich auch durchzuführen, denn es gibt eine Belohnung in Form von Teamgeist. Der wiederrum kann eingesetzt werden, um zusätzliche Spieler zu bewegen – etwa um Konter zu unterbinden, aber auch um seine Würfelchancen zu erhöhen, was insbesondere beim Torschuss wichtig ist. Das Resultat fühlt sich trotz des Fehlens von Ecken und Elfern sehr thematisch an – unsere Partie erinnerte zwar eher an Pro Evolution Soccer /Fifa als an ein echtes Spiel  aber das ist völlig in Ordnung; man spielt halt aggressiver als der durchschnittliche Bundesligaclub, will ja Tore schießen. Dabei schafft das Spiel den Spagat zwischen Taktik und Würfeln in meinen Augen besser als Street Soccer. Ich kaufe mir nicht oft Zweipersonenspiele, aber das war es durchaus wert – auch weil es verschiedene Teams mit verschiedenen Stärken und Schwächen und Taktiken gibt, was meine Neugierde weckt.

(Update: Habe gerade erfahren, dass es wegen Cornoa wohl keine neglische Ausgabe geben wird. Der Persischen liegen dann Übersetzungsblätter für die 4 Karten pro Team, die nicht sprachneiztral sind, heraus und erscheint erst im Januar).

Bestellt habe ich mir übrigens auch Belaad: The land of Swords and quills  von Roomiz. Auch das klingt wieder extrem originell. Gut gestaltet sind die Spiele eh. Es ist schon bemerkenswert: Erst wenn man Spiele aus mit einem anderen kulturellen Background spielt, merkt man, wie festgefahren Gewohnheiten doch sind – das trifft auch auf Mechanismen und grpahische Gestaltungen von Spielen zu. Das galt vor zehn, 15 Jahren als Südostasien die Brettspiele für sich entdeckte und es gilt jetzt auch für Iran.

 

 

 

Peer Sylvester
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