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Kurswechsel?

Letzte Woche hat sich wieder eine Prophezeihung von mir erfüllt: Zooloretto wurde Spiel des Jahres. Meine Glückwünsche gehen natürlich an Michael Schacht und Abacus.

Eine Wahl zum Hauptspielepreis wäre nicht vollständig ohne die üblichen Diskussionen. Ein viel zitierter Vorwurf war: Der Kurswechsel der Jury zum leichten Spiel ist nicht gut, ja sogar gefährlich. Wenn keine anspruchsvolleren Familienspiele mehr Spiel des Jahres werden können, geht die Szene vor die Hunde und man würde bald nur noch Monopoly-Varianten kaufen können (Ja, ich übertreibe, dass soll aber den Blick für die kommenden Zeilen nicht verstellen).
Ich dachte ich versuche mal etwas neues in die Diskussion einzubringen: eine echte Analyse.
Ist vielleicht mal was anderes als persönliche Erfahrungen („Ich kenne ja zwei Caylus-Spieler, die sonst nur Skat spielen“) oder unfundierte Behauptungen.
Vorweg: Es soll hier nicht darum gehen zu diskutieren, welcher Weg denn nun der richtige ist (anspruchsvollere Spiele wie z.B. Uli Blennemann meint oder einfachere Spiele wie die Jury zum österreichischen Spielepreis letztes Jahr geäussert hat) oder ob „anspruchsvoll“ mit „Spielspass“ gleichzusetzen ist, ja nicht einmal daran, wieviel Anspruch eine Familie denn nun verträgt. Dazu wären Untersuchungen nötig, die meine Mittel sprengen.
Hier soll es nur um die Frage gehen: Werden die Spiele des Jahres tatsächlich immer anspruchsloser?

Wie misst man den Anspruch eines Spieles neutral? Eine schwere Frage. Ich habe mich auf eine bestehende Datenlage gestützt: Die „Weight“-Wertung bei Boardgamegeek (Stand: 28.06).
Dort kann jeder eingetragene Benutzer eine Schätzung des Anspruchs eines Spieles abgeben. Alle Werte werden gemittelt und ergeben die Gesamtwertung. Da die Spiele des Jahres ausreichend oft bewertet werden, ergibt sich so ein einigermassen brauchbarer Querschnitt aller Meinungen und ich muss mich nicht rechtfertigen, warum ich z.B. Elfenland für weniger anspruchsvoll als Auf Achse halte.

Einen ersten Eindruck bekommt man im folgenden Graphen. Er zeigt die Entwicklung der Weight-Wertung über die Jahre (Beginnend beim ersten Spiel des Jahres – Hase und Igel):

sdjanalyse.JPG

Man sieht, dass sich fast alles zwischen 2,3 und 1,5 abspielt. Ordnet man die Titelträger nach Weight ergibt sich folgende Rangliste:

El Grande 1996 3.18
Torres 2000 2.94
Tikal 1999 2.92
Sherlock Holmes 1985 2.71
Siedler v. C.1995 2.35
Focus 1981 2.27
Thurn & Taxis 2006 2.27
Elfenland 1998 2.15
Dampfross 1984 2.14
Alhambra 2003 2.11
Scotland Yard 1983 2.01
Hase und Igel 1979 2.00
Manhattan 1994 1.95
Drunter und Drüber 1991 1.94
Carcassonne 2001 1.91
Zug um Zug 2004 1.87
Auf Achse 1987 1.81
Um Reifenbreite 1992 1.81
Adel verpflichtet 1990 1.78
Niagara 2005 1.78
Zooloretto 2007 1.76
Rummikubb 1980 1.74
Cafe international 1989 1.73
Mississippi Queen 1997 1.71
Barbarossa 1988 1.6
Heimlich & Co 1986 1.48
Sagaland 1982 1.26
Bluff 1993 1.24
Villa Paletti 2002 1.13

Interessant vielleicht das die letzten drei jeweils einen Repräsentanten aus jedem der drei Dekaden stellen.
Insgesamt liegt der Mittelwert bei 1.984 mit einer Standardabweichung von 0.48. Ein Wert liegt über 3. Zehn weitere liegen über 2. Vier Werte liegen unter 1.5

Jetzt eine kleine Aufschlüsselung nach Jahrzehnten (dabei lasse ich 1979 außen vor):
In den 80ern lag der Mittelwert bei 1.875, bei einer Standardabweichung von 0.399. Das Spiel mit der höchsten Wertung war Sherlock Holmes Criminal Cabinet mit 2.71 und das niedrigste Sagaland mit 1.26. Vier Spiele haben eine Wertung von über 2, Zwei eine von unter 1.5

In den 90er Jahren lag der Mittelwert bei 2.10 bei einer Standardabweichung von recht massiven 0.55. Die 90er Jahre sahen den anspruchsvollsten Titelträger (El Grande) und insgesamt 4 Spiele mit einer Wertung über 2 und einem Spiel mit einem Wert unter 1.5
Interessant in den 90er Jahren ist die Verteilung des Anspruchs: In den ersten fünf Jahren lag der Weight-Durchschnitt mit 1.74 relativ deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt, in den zweiten fünf Jahren mit 2.46 deutlich darüber.

Im neuen Jahrtausend (das ich mal im Jahr 2000 beginnen lasse, auch wenn Erbsenzähler mich dafür prügeln mögen) liegt der Durchschnitt soweit bei 1.97 bei einer Standardabweichung von 0.48. Drei Werte liegen über 2, einer unter 1.5.

Kleine Interpretation: Die Werte dieses Jahrtausends liegen perfekt im Gesamtdurchschnitt – die Standardabweichung ist identisch, d.h. dass die Jury den „üblichen“ Fokus nach oben und unten walten lässt. Der Durchschnittswert liegt nur knapp unter dem Gesamtdurchschnitt. Bei einem üblichen Signifikanzniveau von 5% fällt die Abweichung unter „Zufall“. Und der Durchschnitt fällt unter dieses Signifikanzniveau.
Auch im Vergleich mit den anderen Jahrzehnten liegen die letzten sieben Jahre im Mittelfeld: In den 80er Jahren war das Niveau im Schnitt niedriger, im letzten Jahrzehnt im Schnitt höher. In beiden vergangenen Jahrzehnten gab es vier Titel oberhalb der 2.0-Grenze, in den letzten 7 Jahren gab es deren 3 (was der Jury noch 3 Jahre zeit für den vierten Titel gibt ;-) )Es gab ein Titel unter 1.5, so wie in den 90er Jahren und einer weniger als in den 80er.

Der letztjährige Titel (Thurn & Taxis) liegt auf Platz 6 des Anspruchsranking, also würde ein „Leichttrend“ frühestens dieses Jahr erkennbar sein. Zooloretto liegt recht tief auf der Anspruchsskala (nicht überraschend). 8 Titel liegen noch tiefer, darunter 5 aus den 80er Jahren, 2 aus den 90ern und einer -Villa Paletti – aus den letzten Sieben.

Insgesamt kann ich zwei Trends aus den Daten herauslesen: Mitte der 90er-Jahre gab es eine klare Verschiebung in Richtung anspruchsvoller Spiele. Diese Verschiebung wurde nach Torres wieder in die ursprüngliche Richtung korrigiert. Diese Rückkehr zu dem normalen SdJ-Anspruch fällt zusammen mit dem Ausstieg von 3 SdJ-Juroren und den sinkenden Verkauszahlen von Tikal und Torres. Der „neue Trend“ existiert also nicht – wenn überhaupt nur eine Rückkehr zum Ursprung.
Dass dieses Gerücht von der „neuen Leichtigkeit“ so wild diskutiert wird liegt also nicht an der Realität sondern zu gleichen Teilen an der doppelten Kurskorrektur 1995 und 2000 und der Jury selbst; Hätte Stefan Duksch nicht die „Einfachheit der Regeln“ angesprochen wäre niemanden etwas aufgefallen, weil es nichts gab, was einem hätte auffallen können.
Fairnesshalber muss ich aber auch sagen, dass ich den Wirbel um das entsprechende Zitat für überdimensioniert halte. Er sprach nicht zuletzt davon, dass Spiele mit leichtem Zugang beliebt sind und dass die Regelhürde oft einem Spielgenuss im Wege steht. Kaum mehr als ein Allgemeinplatz, denke ich.

Warum Zooloretto und nicht Yspahan gewählt wurde wird niemand erfahren. Nicht zuletzt deswegen, weil das Wahlverfahren eine Abstimmung ist. Warum wer nun genau abstimmt, lässt sich nicht ausklabüsern.
Immerhin stimmt es, dass Zooloretto den niedrigsten Wert der nominierten Spiele hatte (0.02 unter dem Dieb von Bagdad). Andererseits gewann im letzten Jahr das zweitanspruchsvollste Spiel mit Thurn & Taxis (Blue Moon City hat ein Wert von 2.31, Aqua Romana 2,22, Seeräuber und Just 4 Fun deutlich unter 2). Und bei einer Wahl von einem Trend zu sprechen ist nicht gerade professionell ;-)
(Übrigens konnte ich alle SdJs aus dem Kopf nennen, aber die nominierten des letzten Jahres musste ich nachschlagen – so viel zur Bedeutung des Hauptpreises…)

ciao
peer

Peer Sylvester
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5 Kommentare

  • Ich bin noch nicht so lange dabei, um dieses „Alle Jahre wieder“-Gefühl zu haben. Deshalb kann ich mich über die vollkommen unbelegten Scheinargumente beider Lager noch amüsieren. Trotzdem finde ich deine Herangehensweise super, weil damit ausnahmsweise mal Fakten herangezogen werden. Vielleicht würden Auszüge aus diesem Artikel mal im Spielboxforum gut tun :-)

    Andreas

  • Danke peer für diesen sachlichen Beitrag. Hier zählen mal Fakten und nicht das Gefühl. Bzgl. Zooloretto: Wieviele eingetragene Benutzer haben denn bereits (im Vergleich zu den früheren SdJ-Preisträgern) ihre Einschatzung das „Weight“ betreffend gegeben? Ist eine Änderung dieses Wertes nach mehreren Partien und in ein paar Monaten noch möglich?

    Klaus

  • Hallo,
    Zooloretto wurde bislang von 244 Usern bewertet. Das ist im Verhältnis zu anderen Titelträgern noch relativ wenig (Thurn & Taxis hat 2585 Bewertungen, Adel verpflichtet 1741). Insofern kann sich der Wert durchaus noch ändern. Allerdings glaube ich nicht, dass die Änderung wirklich viel ausmachen wird.

  • Ich kann mir auch gut vorstellen, dass dieses Gefühl, dass das SdJ als einfacher empfunden wird, daher kommt, dass der oder ein Großteil der „Spieler“ eher komplexere Spiele bevorzugen – sich also immer wieder ein komplexeres Spiel wünschen würden…

    ode.

    P.S. Sehr interessanter und guter Artikel! Weiter so!

  • […] das ganze mit Zahlen bildlich widerlegt, so wie auch Peer Sylvester dies schon vor sechs Jahren hier gemacht hat. Was unterm Strich bleibt ist auf der einen Seite das Gefühl von vielen Menschen […]