Nachdem ich jahrelang davon gehört hatte, habe ich es nun tatsächlich selbst erlebt. Während einer Spielrunde kam es zu einem derart unerfreulichen Rückschlag für einen Spieler, dass die Tränen flossen. Zugegeben, es handelte sich dabei um meine Tochter, die noch einige Jahre im Kindergarten vor sich hat, aber dennoch. Das Spiel hatte derart starke Emotionen geweckt, dass nur Tränen dem inneren Druck Luft machen konnten.
Natürlich ist die emotionale Entwicklung von Kindern in diesem Alter noch nicht vollständig abgeschlossen. Wenn sie mit einer unerwarteten oder unbekannten Situationen konfrontiert werden, ist die Kontrolle über das eigene Gefühlsleben nicht immer gegeben. Aber wer die eine oder andere Folge von Sendungen wie Queer Eye gesehen hat, wird auch wissen, dass Tränen als Reaktion auf einen unerwarteten Anblick auch jenseits des Kindesalters noch möglich sind. Selbst als Erwachsener ist emotionale Kontrolle nicht selbstverständlich.
In meinem Fall war meine erste Reaktion natürlich meine Tochter zu trösten. Aber es war mir auch wichtig ihre Gefühle ernst zu nehmen und die Ursache für ihre Tränen nicht klein zu reden. Natürlich ist es „nur“ ein Spiel, aber das ändert nichts daran, dass es echte Gefühle sind. Im Kreis ihrer Familie kann und darf sie zeigen, was sie empfindet. Dabei ist es egal wie wichtig ich die Gründe dafür halte. Das hat nichts damit zu tun, ihr keine Grenzen aufzusetzen. Als Brettspieler ist mir durchaus klar, dass Grenzen auch formgebend sein können. Aber es ist mir auch wichtig, dass sie sich in der Familie sicher und geborgen fühlt. Sie muss sich für ihre Gefühle weder schämen, noch entschuldigen.
Neben Freude und Spaß kann ein Spiel auch immer Ärger und Frustration wecken. Warum sollte man das verbergen müssen? Sich an einem Erfolg zu erfreuen ist schließlich auch kein Tabu. Das Hobby wäre sicherlich ärmer, wenn wir von unseren Spielpartnern erwarten würden sich jede Emotionsregung zu verkneifen. Stattdessen verlangen wir von unseren Mitspielern nur bestimmte Emotionen zu unterdrücken, zu überspielen oder am Besten gar nicht erst zu empfinden.
Diese Forderung Gefühle zu unterdrücken, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ist ein Problem. Sie blendet einen essentiellen Bestandteils des Spielerlebnis aus. Das kann unter Umständen dazu führen, dass Spielern der Blick fehlt, um toxische Verhaltensweisen zu erkennen. Dann fehlen dem einzelnen Spieler wie auch der Gruppe oft die Mittel und Techniken, um aufgeladenen Situationen ihre Schärfe zu nehmen. Dabei ist genau das nötig, um auch besonders emotionale Spielerlebnisse als positive Erfahrung in Erinnerung zu behalten.
Gelingt das nicht, so kann es im harmlosesten Fall dazu führen, dass einzelne Spiele und Spielgenres in Zukunft ohne Wenn und Aber abgelehnt werden. Es kann dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Spielenden Schaden nimmt. Selbst wenn sich die Personen außerhalb des Spiels hervorragend verstehen. Gerade beim Spiel unter Paaren kann das ein wiederkehrendes Thema sein. In manchen Fällen kann es auch dazu führen, dass negative Interaktion oder jede Art des direkten Konflikts als unangenehm und spielstörend empfunden wird. Wenn ein neuer Spieler in eine Spielrunde gelangt, die Toxisches nicht zu bekämpfen weiß, sollte es auch nicht verwundern, wenn das gesamte Medium Spiel danach gemieden wird.
Eine der größten Schwierigkeiten im Umgang mit toxischen Spielerlebnissen besteht darin sie überhaupt als solche zu erkennen. Denn entgegen der Erwartungen, die der Begriff weckt, ist das Erlebnis nicht für alle Spielteilnehmer gleich. Ob eine Spielsituation toxisch ist, hat wenig mit dem eigenen Wohlempfinden zu tun. Sie entsteht, wenn das Spielen gezielt und wiederholt negative Emotionen bei den Spielenden auslöst, aber die Gruppe nicht den sozialen Zusammenhalt besitzt, um Spielern Raum zu geben diese negativen Emotionen zu verarbeiten. Das Toxische wird sogar noch verstärkt, wenn deutlich wird, dass das Eingestehen solcher negativen Empfindungen – ob verbal oder non-verbal – auf Ablehnung trifft. Sei es, weil das Empfinden klein geredet wird, oder weil der Rest der Gruppe mit Verlegenheit und peinlich berührtem Schweigen darauf reagiert. In beiden Fällen wird klar kommuniziert, dass das Eingestehen von negativen Gefühlen in diesem Umfeld nicht akzeptabel ist. An Stelle von Solidarität und Mitgefühl, wie wir es etwa bei den eigenen Kindern üben würden, reagiert man mit Abstand und einem schnellen Themenwechsel.
Erschwert wird das Erkennen solcher Situationen allerdings, wenn uns klar wird, dass das Spiel mit negativen Erlebnissen auch Spaß machen kann. Genauso wie Horrorfilme Spaß machen können, obwohl sie gezielt Ängste wecken. Oder wie ein extrem scharfes Chili Genießer findet, obwohl es erst mal Schmerzen verursacht. Nur weil etwas unangenehm ist, hießt das nicht, dass es keine Freude bereiten kann.
Spiele arbeiten bewusst mit negativen Erfahrungen, Rückschlägen und auch Frust, um Spaß zu machen. Es liegt in den Händen der Spielgruppe darauf zu achten, dass diese Freude erhalten bleibt und nicht von extremen, negativen Reaktionen übertönt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn wir als einzelne Spieler dafür verantwortlich sind wann und in welcher Form diese Momente im Spiel entstehen. Gerade hier wird der Gruppenzusammenhalt am deutlichsten auf die Probe gestellt.
Prinzipiell kann natürlich jedes Spiel in eine toxische Situation führen. Aber es ist auch klar, dass es Spiele gibt, die solche Dinge stärker begünstigen als andere. Sogenannte Ärgerspiele, Nullsummenspiele oder Spiele, die das Ausscheiden von Spielern als zentralen Mechanismus nutzen, sind hier die üblichen Verdächtigen. Aber auch Spiele mit geringer bzw. indirekter Interaktion sind davon nicht gefeit. Das liegt daran, dass die problematischen und toxischen Elemente nur in seltenen Fällen essentieller Bestandteil des Spiels sind. Vielmehr ist es ihre Umsetzung in der Spielrunde, die den Unterschied zwischen einem toxischen und intensiven Spielerlebnis ausmacht.
Das ist die eigentliche Herausforderung, die Spiele an uns als Gruppe stellen. Sie konfrontieren uns mit negativen Erlebnissen und Erfahrungen, die wir entweder alleine oder gemeinsam verarbeiten können. Wenn Spiele vor allem mit der Einschränkung empfohlen werden sie mit guten Freunden zu spielen, dann hat das einen einfachen Grund. Hier ist die Wahrscheinlichkeit noch am Höchsten, dass Empathie, Umsicht und Vertrauen konsequent genug ausgeübt werden, um toxische Situationen zu verhindern. Es reicht nicht sich einfach nur gut oder lange zu kennen. Man muss auch gewillt sein aktiv zum Gruppenzusammenhalt beizutragen.
Im Spiel – insbesondere dem kompetitiven Spiel – geht es darum das soziale Miteinander ein klein wenig zu strapazieren, um das daraus resultierende Erlebnis gemeinsam genießen zu können. Das Gemeinschaftliche am Spiel ist nicht nur die Notwendigkeit Gegenspieler zu haben, die einen fordern; es besteht auch darin die guten, wie auch die schlechten Erlebnisse zu teilen.
Der amerikanische Filmkritiker Roger Ebert hat gesagt, dass Filme für ihn wie Maschinen sind, die Empathie erzeugen. Wenn das so ist, dann sind Spiele der Rahmen, in dem wir diese Empathie üben können.
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