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Der heiße Scheiß von früher – Das Jahr 2000

Jürgen hat es ja schon im Brettspielradio verkündigt; Dieses Jahr feiert die Spielbar 20jähriges Jubiläum. Im Februar 2000 ging die Seite online – noch ganz anders (und ohne mich, Matthias oder Georgios) aber online, sie ging.

2000 war das letzte Jahr, woe die Unschuldigkeit der 90er Jahre noch mit ins neue Jahrtausend gerettet werden konnte, bevor am 11.09.2001 sich der Weltfokus auf den Internationalen Terrorismus richtete, was sicherlich auch eine große Rolle für das Wiedererstarken der Rechten und Populisten in den letzten 10 Jahren spielte. Doch 2000 war diese Entwicklung noch in weiter Ferne. Im Jahr 2000 hatte Deutschland seinen ersten BSE-Fall und die CDU-Spendenaffaire war im vollen Gang. Die Klitschkos erboxten sich die wichtigsten Titel. Al-Assad wird Staatsoberhaupt Syriens, was aber damals niemanden wirklich interessierte. Über die Deutsche Fussballnationalmannschaft sprach man lieber nicht. Und Anton aus Tirol war der Hit des Jahres. In Enschede explodierte eine Feuerwerkfabrik und der vierte Harry Potter erschien.

Doch was war mit den Spielen?

Ende der 90er Jahre gab es eine Reihe von Verlagsschließungen und-Aufkäufen und damit verschwanden Marken oder wechselten den Besitzer. So ging FX Schmid in Ravensburger auf. Blatz kaufte Schmidt Spiele und verzichtete fortan auf das eigene Logo. Huch kam einige Jahre später hinzu, Goldsieber lag in den letzten Zügen. Asmodee war noch gar kein Faktor – Überhaupt war die Spielelandschaft überschaubarer – es gab weniger Verlage und vor war der internationale Markt kleiner: Osteuropa war noch nicht „erschlossen“, ebenso wenig Spanien, Großbritannien oder Skandinavien. Italien begann sich erst langsam zu räkeln. Südkorea und Japan stellten erst etwa 6 Jahre später in Essen aus – aber immerhin gab es seit 1999 in Japan die erste Spielemesse – den Tokio Game market. Frankreich, das war vor allem Jeux Descartes, aber hier war die Spieleszene schon kräftig an wachsen. Dasselbe galt für die USA – nicht zuletzt dank German Games wie „Settlers of Catan“.

Das Spiel des Jahres

FX Schmid verabschiedete sich damals in die ewigen Jagdgründe mit einem Spiel des Jahres: Torres wurde prämiert, gerüchteweise nicht zuletzt in der Hoffnung die Marke FX Schmid doch noch zu erhalten. Das gelang nicht – Torres war das letzte Spiel mit diesem Logo. Torres war auch eines der schlechtverkauftesten Spiel des Jahres überhaupt gewesen, eines der wenigen, das es nicht in die (damals noch relevante) Spielebestsellerliste von Karstadt schaffte. Am Marketing lag es nicht – Ich habe sogar noch eine Hörspielkassette mit einer Torres-inspirierten Geschichte. Torres war auch in anderer Hinsicht interessant: Es war Teil eines Kurswechsels innerhalb der Jury, etwas anspruchsvollere Spiele zu prämieren. Es folgte auf das andere Bewegungspunktoptimierspiel Tikal, im nächsten Jahr ging kein Weg an Carccassonne vorbei. 2002, so will es die Geschichte, zerbrach der Jury über die Diskussion ob das leichte Trans-America oder das „Kennerspiel“ Puerto Rico Spiel des Jahres werden sollte, mit Kollateralschaden Villa Paletti als Preisträger (und einiges an Nachgetrete von Michael Knopf in Richtung Jury in der Spielbox).

Ich selbst bin ein großer Fan von Torres und habe mich damals sehr gefreut, als es den Titel holte. Im Nachhinein sehe ich das anders. Ich mag Torres immer noch sehr, aber die (für ein SdJ) niedrigen Verkaufszahlen kommen nicht von ungefähr. Hörspiel hin oder her: Torres ist ein abstraktes, ja fast schon staubtrockenes Spiel. Zudem ist es ein absoltes Grübelspiel: Man versucht seine Züge zu optimieren – was ich gerade in der Profivariante als spannenden Denksport bezeichnen würde, ist eben genau das: Denksport. Torres fehlt die Lockerheit, die ein SdJ auszeichnen sollte, es ist ein Spiel für Tüftler. Hinzu kommt, dass Tikal (das ich persönlich schwächer finde, weil weniger auf den Punkt und potentiell länger von der Spieldauer) doch ähnlich angelegt ist – SdJs sollten aber schon eine gewisse Variabilität haben, so dass auch die „Nur SdJ-Käufer“ eine diverse Sammlung ihr eigen nennen können.

Gewinnen hätte damals wohl Ohne Furcht und Adel sollen (was das erste Kartenspiel gewesen wäre). Der Erfolg gibt dem Spiel recht, es ist als Citadels immer noch im Programm. Muss ich das Spiel hier noch groß vorstellen? Ich denke nicht. Es gehört zu den Klassikern, die jeder sicherlich zumindest grob einordnen kann.

Ebenfalls nominiert war Carolus Magnus, das große Spiel von Winning Moves Deutschland, die in diesem Jahr erst so richtig auf den deutschen Markt drängten (nicht zuletzt mit Cartagena) – ein großer Erfolg für den Verlag. Das Spiel ist jedoch heutzutage nicht zu unrecht vergessen; Es funktioniert nicht in allen Besetzungen richtig und zwar ist es irgendwo originell, für ein abstraktes Spiel aber viel zu swingy – Ich habe mehrmals die Partnerversion ausprobiert (Ich liebe ja Partnerspiele) und alle Partien gingen durch pures Glück so stark in eine Richtung, dass eine Seite absolut chancenlos unterging. Im Prinzip ist Carolus Magnus ein Mehrheitenspiel, mit der netten Idee, das Landteile kombiniert werden. Ich glaube, man kann aus der Idee noch jede Menge rausholen, aber warum es nominiert wurde, ist mir schleierhaft.

Übrigens galt 2000 ein relativ neues (erst im Vorjahr eingeführtes) System: Erst wurde die gesamte Nominierungsliste vorgestellt, DANN daraus 3 Titel nominiert und dann der Hauptpreis gekürt. Das System wurde spätter noch zweimal geändert, vor allem wohl auch, weil einige Titel aus der Nominierungsliste sowieso nicht für den Titel in Frage kamen und so die erhoffte Spannung eh nicht wirklich aufkam. 2000 waren auf der Liste Kardinal & Koenig, Kardinal, La Citta, Metro, Port Royal, Tadsch Mahal, Vinci, Zertz und  Zoff im Zoo. Zoff im Zoo hatte als Stichspiel sicherlich keine Chancen auf eine Nominierung, auch wenn es ein ganz ausgezeichnetes (von Tichu inspiriertes) Stichspiel ist. Auch Zertz war als reines Zweierspiel chancenlos, aber als Vertreter der ausgezeichneten Gipf-Reihe ist der Ehrenplatz natürlich verdient gewesen. Vinci war wohl mein Lieblingsspiel des Jahrgangs, hatte aber mit einers sehr schlechten Regel zu kämpfen, die eine Nominierung verhindert haben dürfte. Wenn ich aus heutiger Sicht einen Titelanwärter (statt Carolus Magnus)  wählen würde, wäre es wohl Kardinal & König von Michael Schacht gewesen: Nicht umsonst wurde das Spiel mehrmals wieder aufgelegt: Als Web of Power in den USA und hierzulande als China und als Han und dieses Jahr wohl als Iwari. K&K ist ein typischer Schacht: Wenig Regel, sehr auf den Punkt – aber natürlich eher abstraktes Siegpunktgelöte ohne viel Chrome. Es hätte die Vielspieler aber angesprochen, ohne die Wenigspieler zu überfordern- Ohne Furcht und Adel wäre sicherlich immer noch der bessere Preisträger gewesen, aber K&K hätte zumindest unter die ersten drei gehört. Als einzigen Nachteil empfinde ich, dass es zu fünft trotz Schachtelaufdruck m.E. sehr unbefriedigend verlaufen kann (ob sich das in späteren Versionen geändert hat, weiß ich nicht).

Auch an Tadsch Mahal erinnert man sich natürlich, aber dazu gleich mehr. Die anderen Spiele sind in der Geschichte verloren gegangen. Zu Kardinal kann ich gar nichts sagen, das kenne ich nur vom Titel her. Port Royal war ein durchaus interessantes Stichspiel, das aber sehr viel Material benötigte und daher in einer zu großen Schachtel unterwegs war. Und dafür war es dann nicht spektakulär gut genug – So manches einfacheres Stichspiel ist besser (Zoff im Zoo z.B.). Die Nominierung war eher eine Überraschung. Metro,ein weiteres Queen Spiel, ist ein einfaches Linienlegespiel, wie sie immer mal wieder auf den Markt kommen. Sicherlich nicht schlecht, aber als dann Carcassonne auf den Markt kam, wurde Metro einfach überfüssig. La Citta ist dagegen ein interessanter Fall: Bei Kosmos erschienen ist dies ein thematisches Vielspielerspiel, bei dem ich mich wundere, dass es (meines Wissens) keine Neuauflage gab. Ziel war es seine Städte zu vergrößern, dazu bedient man sich auch bei den Nachbarn: Hat man von einem Gebäudetyp mehr als die Nachbarstadt so wird abgewandert. Das Spiel ist recht brutal (insbesondere für die Spieldauer), aber auch nicht mehr als ein Agricola. Ich habs leider ewig nicht mehr gespielt (jaja), würde es aber jederzeit nach wie vor mitspielen.

Der Deutsche Spielepreis und die komplexen Euros

In der Spieleszene gab es im Jahr 2000 einen großen Skandal: Die Pöppel Revue, ein Spielemagazin unter der Leitung von Matthias Hardel, gab zu,bei der Wahl zum Deutschen Spielepreis falsche Stimmanzahlen veröffentlicht zu haben; Die Anzahl der abgegeben Stimmen war so klein, dass eine Manipulation sehr einfach gewesen wäre. Um das zu verschleiern, wurde die tatsächliche Stimmanzahl mit einem bestimmten Faktor multiplitziert. 2001 wurde der DSP auf eine breitere Basis gestellt, mit mehreren Abstimmungsmöglichkeiten. Die Pöppel Revue wurde eingestellt, Matthias Hardel ging zur Spielbox, die auch mich dann als PR-Abonommenten übernahm.

Gewählt wurde damals Tadsch Mahal von Knizia, grob zusammengefasst eine Mischung aus Poker und Mehrheitenspiel – wie bei Knizia üblich sehr schön kombiniert und spannend (wenn auch natürlich abstrakt). Alea war sowieso damals auf seinem ersten Höhepunkt (der zweite war die Zeit, der Feldspiele) und hatte nicht unerheblichen Anteil daran, dass mehr und mehr Spiele sich direkt an Vielspieler richteten. Das wiederrum sorgte im Laufe der Nuller Jahre (nicht zuletzt durch Caylus) für eine immer weitere Öffnung der Schere zwischen Familien- und Vielspielerspielen. Die Euros wurden immer komplexer, die Familienspiele blieben einfach, dazwischen tat sich eine Lücke auf, die erst in den Zehnern wieder langsam gefüllt wurde. Im Jahre 2000 stand diese Entwicklung aber noch in den Startlöchern – insbesondere auch mit Die Fürsten von Florenz, ebenfalls bei Alea erschienen und auf dem dritten Platz gelandet. Die FvF ist ein Versteigerungsspiel, dass die klassischen German Game-Charakteristiken (damals sprach man noch nicht von „Eurogames“, das kam erst ein paar Jahr später, als mehr und mehr Französische und Italienische Spiele auf den Markt kamen) „Einfache Regeln“ und „Hohe Interaktivität“ zugunsten einer höheren Komplexität aufgab. Es wird oft als erster „komplexer Euro“ bezeichnet, was sicherlich auch eine Frage der Definition ist. Sicher ist, es stand am Anfang einer Entwicklung, ist aber auch immer noch ein gutes Spiel. Es stand auch am Anfang einer Reihe von Spielen, die als Balancin einen Versteigerungsmechanismus verwendeten, was aber einige Jahre später wieder aus der Mode geriet – Gerade weil, Versteigerungen eben bedingen, dass man den wert einschätzen können muss, erhöhen sie die Einstiegshürde. Dummerweise hat die damalige Mode dafür gesorgt, dass Versteigerungsmechanismen immer noch recht geächtet sind, insbesondere in Deutschland. Jemand der Versteigerungen mag, ist daher  traurig (ich).

Um den viel zu langen Post noch abzurunden: Zweiter beim DSP wurde Torres, auch die anderen beiden Nominierten fanden sich in der Top-10, was aber eben auch den geringen Stimmenanzahl geschuldet sein dürfte, so dass SdJ-Spiele schon aufgrund der Namenspräsenz eigentlich immer auf den Listen zu finden waren. Einziges Spiel in den Top-10, das ich nicht vorher erwähnt habe war Morgenland, ein Blind Bidding -Legespiel, dass immer mal wieder in verschiedenen Versionen hochpoppt. Bekannt wurde es damals vor allem wegen des gewagtem Regelkonzeptes, bei dem es (wie bei Siedler) ein Regelalmanach gab, aber keine echte Spielregel. Was in Catan gut funktionierte, war hier eine Katastrophe, denn die „Einstiegsregeln“ waren unvollständig, so dass man wie bei einer Schnitzeljagd ständig im Almanach blättern musste.

Und sonst so? Erwähnen würde ich noch, das Babel (eines der besten Zweipersonenspiele von Kosmis), Blokus und Cartagena 2000 erschienen sind, aber erst im nächsten Jahr irgendwie berücksichtigt wurden. Wenn meine Aufzeichnungen stimmen, dann brachte Amigo auch Diskwars heraus. Das war eines der vielen Versuche eines Einsteigers-Miniaturenspiel, nur dass die Miniaturen hier Pappscheiben waren- Bewegung und Kampf und auch das Ausheben der Armeen war sehr pfiffig gelöst und es hätte ein cooles Zwischendurch-Spiel werden können, so wie X-Wing heutzutage. Dummerweise waren die Fernkampfregeln absolut bekloppt – es spielte keine Rolle wie dicht die Schützen am Ziel standen (so lange die Reichweite stimmte), die Trefferchancen waren exakt gleich – und frustrierend klein. Und zum anderen unterschieden sich die einzelnen sets nicht stark genug voneinander. Insbesondere die Drachen waren enttäuschend schwach. Ich habe das Sammeln nach anfänglicher Begeisterung dann nach den Grundboxen sein gelassen, denn die paar Nachfolgeboxen brachten nicht wirklich neues. Schade.

Und ach, ich würde gerne noch mehr erzählen – vom weißen Lotus und TM-Spiele, von „meiner“ Messeentdeckung Hive oder den Spielen aus Timbuktu, Cwalis Morisi oder Facklers Troia, von Kill Dr. Lucky oder Hossa… Aber irgendwas muss ja noch für das 50. Jubiläum übrig bleiben.

ciao

peer

 

 

 

Peer Sylvester
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