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Der Luxus des Notwendigen

Es gibt einige Themen, die in Spielerkreisen immer wieder an die Oberfläche kommen. Wie ein alter Filmklassiker, ein falscher Fuffziger, oder halt ein großes Mißgeschick im Freibad. Eines dieser Themen, welches erfahrene Spielefans schon bei der ersten Andeutung die Augen verdrehen lassen, sind Spielepreise. Wie viel kostet ein Spiel? Wie viel darf ein Spiel eigentlich kosten und warum? Ist es Wucher wenn ein Spiel eine bestimmte Preisgrenze überschreitet? Ich bin zwar der Ansicht, dass die Branche einen gesunden Umsatz erreichen sollte, damit Menschen die darin arbeiten auch davon leben können; bin aber auch der Meinung, dass Spiele zugänglich sein müssen und damit auch immer innerhalb eines bestimmten Preissegmentes bleiben sollten. Aber das ist heute nicht das Thema. Viel bemerkenswerter fand ich einen Kommentar, den ich schon oft gehört habe und den viele Spieler mittlerweile schon präventiv in den Raum werfen, nur um sich in ihren Meinungsäußerungen nicht gleich wieder rechtfertigen zu müssen.

Spiele sind Luxusgüter.

Es ist ein mittlerweile gut abgenutzter und auch vielseitiger Holzhammer, mit dem man jeglichen Versuch einer Debatte schnell und effizient zerschlagen kann. Spiele sind Luxusgüter, also ist schon der Ansatz differenziert darüber zu reden, vermessen und lächerlich. Wie jedes Argument, das Menschen einsetzen um anderen den Mund zu verbieten, steckt ein Funken eines Splitters eines Hauchs einer angemessenen Beobachtung darin: wer über Spiele spricht, sollte sie auch in den richtigen Kontext setzen. Über diesen angemessenen Kontext sollten wir vielleicht mal sprechen.

Der Begriff Luxus trägt bereits vielerlei Annahmen und unausgesprochen Wertungen mit sich. Die vielleicht offensichtlichste ist, dass ein Luxusobjekt im Kern etwas Überflüssiges ist. Man würde von heute auf morgen sofort darauf verzichten, wenn etwas irgendwie bedeutsameres daherkommen würde. Mehr noch, Luxus steht für etwas latent Dekadentes und Verschwenderisches. Wer seinen Luxusgüter zu viel Bedeutung beimisst, legt ein beinahe schon anstößiges Verhalten an den Tag. Diese Dinge hat man sich zu gönnen. Sie haben neben und unter der täglichen Schufterei und den schweren Lasten des Alltags zu existieren. Die Nähe zum Eskapismus bedeutet auch, dass ein Spiel etwas frivoles und Unsittliches mit sich trägt, wenn man wagt es nicht als triviale Nichtigkeit abzutun.

Ich fühle mich bezüglich Spielen eher Bill Shankly verbunden, der mal über den Fußball sagte:

Manche halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann ihnen versichern, dass es viel ernster ist.

Meine Sicht auf Spiele ist stark von Johan Huizinga geprägt, und ich halte die enge Verbindung zwischen Spiel und Kultur für absolut nicht anzweifelbar. Das Verspielte ist ein Grundbestandteil des menschlichen Wesens. Das macht es zu einem wichtigen Einfluß in unserer Kultur und in unserer Gesellschaft. Man muss sich nur anschauen wie sehr das Konzept des Spiels sich durch alle Facetten unserer Gesellschaft zieht. Angefangen bei den allgegenwärtigen Aufgaben vor die uns digitale Spiele auf Handy und Konsolen stellen. Über die stark formalisierten und ritualisierten Formen wie wir sie in verschiedenen Fiktionsmedien im Theater oder Film genießen. Bis hin zu den unterschiedlichen Rollen in die wir schlüpfen, wenn wir uns von einer sozialen Gruppe in die nächste bewegen. (Sorry to Bother You greift diese Idee des Code-Switching auf und nutzt das als zentrale Metapher.)

Der Grund dafür ist, dass Spielen eben nicht nur daraus besteht Ziele gesetzt zu bekommen und diese dann zu erfüllen. Auch wenn unreflektierte Gamification-Ansätze versuchen das so in den Alltag zu quetschen. Das Spiel ist auch eine Art Gemeinschaften zu bilden. Der Magic Circle (Huizinga) trennt nicht nur das Spiel vom Alltag. Es verwandelt die einzelnen Spielenden für kurze Zeit in eine eingeschworene Truppe die zusammengehört, gemeinsam handelt und in der Gruppe erlebt. Das Spiel gibt uns eine Form der Gruppenzugehörigkeit und damit eine weitere Facette unserer Identität. Wir sind Spieler. Wir sind Teil der Spielgruppe. Wir sind Teil eines größeren Hobbies. Wir „gehören dazu“. Genau das ist und genau so entsteht Kultur.

Hier abgebildet: spät-römische Dekadenz

Wenn Menschen als Spiele als dekadente Luxusobjekte abtun, dann wirkt das auf mich immer zutiefst lust- und kulturfeindlich. Wenn leidenschaftliche Spieler diese Begrifflichkeiten übernehmen und ihr Hobby so unter den Scheffel stellen, dann mutet es schon fast an Selbstgeißelung. Als müsste man sich dafür entschuldigen, die Verbindung mit anderen Menschen zu suchen und zu pflegen. Als wäre es schamvoll die Zugehörigkeit zu anderen Menschen zu benötigen, statt jeden wachen Moment mit Arbeit und Produktivität zu verbringen.

Spielen ist in meinen Augen ein menschliches Grundbedürfnis, welches überall eine Gelegenheit sucht ausgelebt zu werden. Auf unseren Handys, mit unseren Freunden oder in den kleinen Momenten auf der Arbeit, wenn wir den zerknüllten Notizzettel von der Drei-Punkte-Linie hinter dem Schreibtisch in den Papierkorb werfen wollen. Aber auch Grundbedürfnisse kann man über lange Zeit hin ignorieren, bis sie evtl. sogar verkümmern. Das beweist nicht, dass sie lediglich Luxus sind, sondern nur dass wir Menschen enorm anpassungsfähig sind. So kann man zum Beispiel auf eine vielfältige Ernährung, regelmäßigen Sport und menschlichen Kontakt verzichten. Das ist nicht gesund, aber man bleibt dennoch am Leben. Spiele sind da nicht anders. Man kann sie von heute auf morgen aus seinem Alltag entfernen. Das ist nicht gesund. Aber man wird es überleben. Vermutlich.

Daher überzeugt mich das Argument Spiele wären Luxus aus dieser Richtung mit Sicherheit nicht. Es hat meiner Meinung nach nur den Zweck eine nähere oder leidenschaftlicher Betrachtung des Themas abzuwiegeln. Aber auch der profit-orientierte Ansatz stößt bei mir aus ähnlichen Gründen auf wenig Gegenliebe. Der Versuch Spiele als Luxusgüter zu präsentieren, um so Preiserhöhungen dem Käufer schmackhaft zu machen *husthustasmodeehusthust *stößt mir auf ganz eigene Art auf. Das einzig Dekadente an diesen vermeintlichen Luxusobjekten ist der Preis. Es scheint viel mehr darum zu gehen Menschen dazu zu verführen mit ihren Errungenschaften zu prahlen. Die Kickstarter-Welle der letzten Jahre hat dieses Phänomen leider maßgeblich beschleunigt und nach vorne gebracht. Die Vorbestell-Boutique für Brettspiele hat den freien Investorenmarkt für ungewöhnliche und unerprobte Spieleideen mittlerweile so gut wie abgelöst.

Jetzt da die Convention-Saison langsam losgeht, wird auch vielerorts gestöhnt, dass es jedes Jahr zu viele neue Spiel gibt. Dass man sich gar nicht alles anschauen kann. Aber darin sehe ich eher die Chance Spiele endlich als alltägliche Gebrauchsgegenstände zu etablieren und nicht mehr ulkige Kuriositäten mit Kindercharme. Ich wünsche mir Spiele würden weniger als wertvolle Kunstobjekte für den Kenner oder kultiges Indie-Kleinod für den hippen Individualisten gelten. Stattdessen könnten wir Spiele doch auch als Hilfsmittel für Gemeinschaftlichkeit nutzen. So wie ein Ausflug mit der Familie, ein Abendessen mit Freunden oder ein Kinobesuch mit Kollegen.

Nichts davon sollte Luxus sein.

Georgios Panagiotidis
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