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Die Gegenbewegung

Ein neues Jahr. Und auch wenn es dieses Mal keinen Jahresrückblick gab (nicht zuletzt wegen des Quizspielpreises), will ich doch zumindest einen kurze Blick ins kommende Jahr wage,-

Ein Gespenst geht um in der Autorenszene und zwar das Gespenst der Microgames.

Es ist doch so: Ursprünglich verband man mit „Eurogame“ regeltechnisch eher einfache Spiele und mit „Ameritrash“ eher komplizierte (mit aber stärkerem Thema). Langsam wandelte sich das Bild: Amerikanische und Europäische Spielephilosophien vermischten sich zunehmens. Andere Autoren betraten die Bühne. Nicht zuletzt statt zunehmender Internationalisierung konnten mehr und mehr Kleinverlage mit der Nische der komplexen Vielspielerspiele expandieren. Heute ist das typische „Eurogame“ sehr viel komplexer als vor 15 Jahren. Statt Eleganz ist eher Komplexität gefragt. Ein Großteil der Vielspielerspiele stellt nicht mehr einen Mechanismus in den Mittelpunkt, sondern eher eine Möglichkeit zahlreiche Entscheidungsstränge zu bündeln. Die gestiegene Komplexität schlägt sich in der Regel auch in den Wertungssystemen nieder, bei denen bündelweise Siegpunkte vergeben werden. Auch das Material wird kleinteiliger. Spiele wie Nauticus erfordern vor und nach Spielbeginn eine zehnminütige Arbeitsphase um alles einigermaßen ordentlich zu verstauen. Dabei ist die Materialschlacht aus der Notwendigkeit geboren, die verschiedenen Entscheidungsstränge zu verwalten und durch Belohnung dafür zu sorgen, dass auch alle Stränge ihre Berechtigung haben (eine thematische Berechtigung bei Euros ist ja eher selten).

Und dann tritt plötzlich eine neue Designphilosophie die Bühne: Japanische Mikrogames. Einerseits aus der Not geboren, möglichst preisgünstig zu produzieren, andererseits auch aus der Neugier entstanden, wie viel Material sich tatsächlich einsparen lässt. Dass diese Philosophie einen Nerv getroffen hat, sah man bereits Ende 2012 mit dem Erfolg von Love Letter und der für die kurze Zeit bemerkenswerten Anzahl  von qualitativ hochwertigen Nachahmern aus aller Welt im letzten Jahr. Ganz offensichtlich gibt es einen Platz für Spiele, die im Anspruch zwischen den im Anspruch immer weiter auseinanderdriftenden Zielgruppen „Familie“ und „Vielspieler“ stehen. Bereits letztes Jahr in Essen kamen wieder mehr Stich- und Legespiele auf den Markt, als in den Jahren zuvor – und das sind ebenfalls Genres, deren Komplexität deutlich unterhalb der Vielspielerspiele der letzten Jahre liegen.

Meine Vorhersage für dieses Jahr ist daher: Der Vielspielerbereich wird im Spektrum so groß werden wie noch nie. Neben Familien- und Partyspielen werden verstärkt „elegante Euros“ (wie es sie Ende der 90er gab) neben den komplexen Vielspielerspielen (die in den letzten zehn Jahre dominierten)  unterschiedlichster Genres geben. Und ich lehne mich weiter aus dem Fenster: Als Essenhit werden wir sowohl einen komplexen als auch einen eleganten Vertreter der Euros unter den Top-3 finden.

Wohlgemerkt: Das sagt nichts über die Qualität der Spiele an sich aus. Das wird man abwarten müssen. Aber ich blicke positiv ins kommende Jahr!

ciao

peer

P.S.: Eine neue Rezi ist online.

Peer Sylvester
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