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Der Autor oder das Ei?

Vielleicht trügt mich mein Gefühl, aber ich glaube das „typische Vielspielerspiel“ hat sich in den letzten 15 Jahren stark gewandelt. Dominierten vor einer Dekade eher geradlinige Spiele mit trickreicher Wertung so sind es jetzt eher komplexe Aufbauspiele wo am Ende alles in Siegpunkte umgewandelt wird (das klingt vermutlich weniger wertneutral als ich es meine).

Die Frage: Natürlich kann diese Einschätzung falsch sein – vielleicht verzerrt einfach die exponentiell gestiegene Masse an Vielspielerspielen das Bild. Aber ich glaube schon, dass ich nicht völlig falsch liege. Woher kommt dieser Trend? Liegt es daran, dass im Moment andere Autoren dominieren? Autoren wie Feld oder Rosenberg, die eben jene komplexeren Aufbauspiele bevorzugen, während es vor einer Dekade eher Schacht, Knizia oder Kramer/Kiesling waren, die eben einen anderen Stil pflegten? (Ja , die Auotren sind noch aktiv, aber eher im Familienspielsegment) Oder ist es umgekehrt: Die Verlage haben sich an den vergrößerten Vielspielermarkt angepasst und  wählen jetzt eher auch komplexere Spiele aus, also Spiele von Autoren die damals weniger Chancen auf Veröffentlichung gehabt hätten? Selbst wenn man meiner Hypothese nicht zustimmt bleibt die Frage:

Wer hat mehr Einfluss auf die Spiele am Markt – Autoren oder Verlage?

Für beide Möglichkeiten gibt es gute Argumente:

Die Autoren bestimmen die Spiele auf dem Markt:

Nicht der Verlag konstruiert Spiele, Autoren erfinden Spiele. Kein Verlag kann ohne passenden Autoren eine bestimmte Stilrichtung bedienen oder gar erfinden.

Die Top-Autoren, die gerade besonders fleißig sind, bestimmen natürlich mit ihren Spielen was gespielt wird und damit auch was als „Vielspielerspiel“ gilt. Und Autoren haben (meistens) einen bestimmten Stil, zumindest aber ein bestimmtes Genre, dass sie bevorzugen. Insofern bestimmen Sie auch die Spiele, die gerade zu haben sind. Das ist auf dem Buch- oder Musikmarkt nicht anders: Kommt ein neues Talent mit einem ganz eigenen Stil, werden bevorzugt weitere Bands mit diesem Stil gesucht. Man denke nur an Grunge (ja, ich bin alt), die Hamburger Schule oder den Berliner Hiphop.

Kommen ein Rosenberg oder ein Feld auf den Markt und produzieren ein Agricola oder Burgen von Burgund so inspiriert das Nachwuchsautoren ähnliche Spiele zu machen („ähnlich“ im Sinne von „gleiche Art von Spielen“ nicht im Sinne von „abgekupfert“). Und nicht nur Autoren werden inspiriert: Wer diese Spiele macht, wird vielleicht sogar Kleinverleger für diese Art von Spielen, vorrausgesetzt er kennt einen enstprechenden Prototypen. „Sowas wollen wir auch machen!“, Verlage sehen den Erfolg und hängen sich an.  Wenn neue Top-Autoren ihren Durchbruch mit bahnbrechenden Werken feiern, die einen ganz anderen Stil pflegen, so wird der Vielspielermarkt eine neue Richtung nehmen. Dass das ganze so funktioniert sieht man auch an anderen Ländern, wo andere Spiele imMittelpunkt stehen: Die Franzosen mögen mehr Fun&Zock in ihren Spielen, die Amerikaner mehr Thema, die Japaner möglichst verschiedene Charaktere, die Italiener verwinkelte Wertungen, bei denen alles wichtig ist. Diese Szenen sind eben von anderen Autoren (Ludovic, Greenwood, Kawasaki, Mori) inspiriert.

Die Verlage bestimmen die Autoren:

“ Doch halt!“ wird jetzt so mancher aufschreien, „gerade das letzte Beispiel zeigt doch, dass die Spielgewohnheiten zuerst dagewesen sein mussten!“ Tatsächlich, umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Autoren sind teil des Marktes in dem sie sich bewegen und haben – wie oben schon geschrieben – ihre eigenen Vorlieben, die sich aber meistens innerhalb der Vielspielerszene (zu der sie in der Regel gehören) bewegen. Diese Seite kann man so oder so sehen. Aber Autoren alleine bewegen nichts. Die meisten Spiele werden ja nicht veröffentlicht und ein Teil auch, weil sie den formalen Ansprüchen nicht genügen – die falsche Zielgruppe bedienen oder zu lang oder zu speziell sind.

Ein Verlag muss her und der richtet sich eben nach dem Markt – kein Verlag, der Bestand haben will veröffentlicht aus Eigensinn Spiele am Markt vorbei, sondern richtet sich zumindest partiell nach den Wünschen der Kunden. Gibt es einen Markt für komplexe Aufbauspiele, so wird der bedient. Gibt es keinen (oder keinen ausreichend großen) dann werden entsprechende Spiele nicht produziert. Nur die Autoren bestimmen das Bild, die in das Suchraster der Verlage passen. Waren die Verlage vor zehn Jahren der Ansicht nur geradlinige Spiele á la Knizia haben ausreichenden Erfolg, werden auch nur entsprechende Spiele auf dem Mark zu finden sein. Hinzu kommen noch Auftragsarbeiten, die gezielt an die Autoren vergeben werden, dessen Arbeit in das Beuteschema des Verlages passt. Hat ein Spiel wie Agricola bei einem (mehr oder minder) Eigenverlag großen Erfolg, ziehen die Verlage nach und „signen“ andere Autoren mit passenden Spielen. Der Markt bestimmt, der Verlag zieht mit, die Autoren folgen…

Die Antwort…wird weder A noch B sein, sondern liegt irgendwo dazwischen. Aber wo? Autoren, Verlage und Spieler bilden ein komplexes dynamisches System, aber wer hat mehr Einfluss? Verlag oder Autor? Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Seit ich mir die Frage zum ersten Mal gestellt habe, änderte ich meine Antwort fast stündlich.Weswegen ich sie jetzt schnell an den Leser weitergebe…

ciao

peer

Peer Sylvester
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14 Kommentare

  • Vermutung meinerseits: Es ist Autor-gesteuert. Die meisten Verlage versuchen weiterhin eher Familienfreundliche Spiele rauszubringen und die meisten Vielspielerspiele erscheinen zum größten Teil fast nur noch in Kleinverlagen (Trajan, Tourney, etc…). Nominierungslisten wie die vom Spiel des Jahres zeigen auch ein anderes Bild von der Spielelandschaft wie sie von Verlagen gesteuert wird.

  • Grundsätzlich eine wirklich spannende Frage, die Peer hier aufgreift. Bei den Vielspielerspielen lässt sich die vielleicht noch am ehesten beantworten: hier haben nach meiner Einschätzung die Vielspieler und ihre Präferenzen einen erheblichen Einfluss. Das dies nicht unbedingt für Innovationen sorgt, zeigt die Masse relativ ähnlicher Spielsysteme und Themen. Aber der Vielspielermarkt ist sowieso zunehmend eine extra Kiste.
    Ansonsten ist die Kennzeichnung als „komplexes dynamisches System“ schon ziemlich zutreffend. Wobei immer wieder wirklich innovative Impulse letzlich von den Autoren kommen, die dann natürlich auch den mutigen Verlag finden müssen, der Neues wagt … und das dann hoffentlich die Spieler annehmen und damit auch die Nachfrage für eine neue Welle vergleichbarer Spiele schaffen. Als Beispiel seien abstrakte Spiele genannt, die vor gar nicht so langer Zeit kein Verlag anfassen wollte. Dann kamen Spiele wie Blokus, Einfach genial und Quirkle – und plötzlich war der Markt voll davon.

  • Auch Familienspiele brauchen neue Innovationen, das gilt nicht nur für Vielspielerspiele, vielleicht andere, aber auch neue Ideen. Wahrscheinlich müssen sie mehr High-Concept sein als Vielspielerspiele.

    Oft weiß der Kunde erst, was er will, wenn er sieht, was er bekommen kann. Verlage sollten auch mal mutig sein. Ich finde,man sollte weniger auf me too gehen, sondern schauen, ob man mal was eigenes wagen kann. Das Original verkauft sich immer am besten.

  • Natürlich gilt das gesagt auch für Familienspiele, doch da sehe ich die Trends (und Veränderungen) nicht so stark wie bei den Vielspielerspielen. Aber natürlich gilt alles gesagt für die gesamte Spieleszene.
    Und mit den Innovationen ist es ja auch nicht so einfach – es gibt eine ganze Reihe innovativer (guter) Spiele, die sich nicht so gut verkauft haben wie erhofft (man denke z.B. an Amigos Versuch RobaRally für den Familiensmarkt zu erschließen).
    Siehe übrigens auch :
    https://www.spielbar.com/wordpress/2008/05/10/306

  • Originalität ist ja nicht das einzige Kriterium für den Kauf.

    Ich glaube, für originelles braucht es manchmal mehr Zeit, um sich durchzusetzen.

  • Allgemein ist in der Gesellschaft ein Trend auszumachen, der zu Extremen führt. Beispiele:
    – Die Schere Arm/Reich wird immer größer.
    – Menschen kaufen entweder möglichst billig in Discountern ein oder suchen hochwertige Waren in Fachgeschäften, was das klassische Kaufhaus mit Waren im mittleren Preissegment wie Karstadt oder Kaufhof zum Einsturz bringt.
    – Mittelständische Unternehmen haben es immer schwerer, während Großkonzerne den Markt aufteilen und Kleinunternehmen immer wieder neue Nischen für sich entdecken.

    Es lassen sich weitere Beispiele finden. Egal wo man hinschaut, die Mitte nimmt in vielen Bereichen ab.

    Ähnlich sehe ich das bei der Komplexität von Spielen. Die Menschen wollen möglichst einfache Spiele (Beispiel Qwirkle), während der Vielspieler immer neuere und größere Herausforderungen braucht (Beispiel Vinhos). Deshalb werden die Aufbauspiele immer komplexer. Erst wenn neue Spielmechanismen wie in Dominion oder 7 Wonders auftauchen, werden auch Spieler mit mittlerer Komplexität für den Vielspieler kurzfristig wieder interessant. Doch schon bald sucht er auch zu diesen Mechanismen neue Herausforderungen, deshalb werden auch Klone von Dominion und 7 Wonders meines Erachtens von Jahr zu Jahr immer komplexer werden.

    Zum eigentlichen Thema: Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Überwiegend geben die Verlage vor, welche Art von Spiel sie veröffentlichen wollen und suchen entsprechend innerhalb ihrer Suchrasters. Trotzdem können Autoren über innovative und originelle Ideen in allen Bereichen neue Impulse setzen, die die Verlage sicher gerne aufgreifen.

  • Ich weiß nicht, ob die Behauptung, dass die Gesellschaft generell immer mehr zu den Extreme verfällt, so stimmt.

    Ein Spiel, was einfache, überschaubare Regeln hat, muss nicht gleich leicht zu spielen sein. Ich weiß auch nicht, ob ein Partyspiel beispielsweise weniger geistige Herausforderung stellt als ein taktisches Spiel. Natürlich sind es ganz andere geistige Herausforderungen.

  • Ich habe auch nicht behauptet, dass die Menschen keine geistige Herausforderung wünschen. Aber heutzutage will kaum jemand erst lange Regeln lesen, um ein Spiel zu lernen, sondern möglichst schnell losspielen können. Darum ging es mir. Die Regeln müssen leicht sein, nicht unbedingt der Denkaufwand.

  • Wollte früher die meisten Menschen lange Regeln lesen, bevor sie losspielen konnten? Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit. Ein Spiel mit vielen Regeln ist nicht komplexer als ein Spiel mit begrenzten Regeln: ergo ein komplexes Regelwerk ist noch kein komplexes Spiel, ein komplexes Spiel braucht nicht unbedingt ein komplexes Regelwerk.

  • Offenbar hast du mich nicht verstanden. Es geht nicht darum, wie komplex ein Spiel ist. Es geht nur darum, wie kurz oder lang die Anleitung dazu ist. Spiele mit zu langen Anleitungen landen bei ungeübten Spielern leider oft ungespielt in der Ecke und werden nie wieder hervorgeholt. Das ist eine Tatsache der heutigen Gesellschaft.

    Die Gesellschaft hat sich verändert. Früher waren Filmszenen oft lang, heute sind sie meist sehr kurz geschnitten, ähnlich wie Musikvideos. Früher ging man abends in eine Kneipe, heute macht man einen Bummel durch mehrere Bars und bleibt oft nur für einen Drink, um dann schon wieder weiterzuziehen. Früher hat man sich viel Zeit genommen für verschiedene Dinge, heute muss alles immer schnell gehen. Die Menschen haben das Gefühl, wenig Zeit zu haben, weil das Leben heute sehr viele angenehme Möglichkeiten bietet, seine Zeit zu gestalten.

  • Was erwartest du? Dass man stundenlang vor der Spielanleitung hockt, um ein Spiel spielen zu können. Übrigens war das früher nicht anders, aber damals gab es kaum Spiele mit einer längeren Spielanleitung. Ich denke, da hat sich nicht so viel verändert.

    Es gibt auch heute Filme mit längeren Szenen, Spielfilme der Berlinere Schule und Serien von AMC (Breaking Bad/ Mad Men) Dieses Musikvideoartige ist ein Mythos. Zu Kneipenbummel kann ich nichts sagen. Aber ich denke nicht, dass heute alles schnelllebiger geworden ist.
    Wenn man sich anschaut, welche 1000-Wälzer-Schwarten heute alles in den Bestsellerlisten landet, kann von kultureller Schnappatmung keine Rede sein.
    Manchmal wünschte man sich, die Autoren würden sich nicht so ausmehren und mal wieder etwas mehr auf den Punkt kommen, was nämlich auch eine Qualität ist, nämlich kurz und prägnant zu formulieren.

  • […] Letztes Jahr hatte ich mich gefragt, wer wohl mehr Einfluss auf die Spielelandschaft hat, die Autoren oder die Redakteure, die was für ihre Verlage riskieren. Während ich denke, dass bei Brettspielen innovative Ansätze schon veröffentlicht werden, wenn das Spiel überzeugt (zumindest hoffe ich noch für die originelleren meiner Protos ) so gibt es bei Kartenspielen schon deutliche No-Gos, die heutzutage wenig Chancen haben, bei etablierten Verlagen zu landen: […]

  • […] Regeln und großer Wirkung, nur eben prozentual weniger. Das liegt an Autoren, Verlagen, Markt, was weiß ich? Auf jeden Fall ist das keine unumkehrbare Entwicklung. Ein Streit um Worte hilft hier nicht weiter […]

  • […] einmal vorweg: Ich will niemanden die Schuld geben: Wie schon einmal festgestellt, bilden Autoren, Spieler und Verlage ein dynamisches System, aus dem die landestypische Spieleszene […]