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Kartenspiele mit Zwangsjacke

Vorab: Ich habe das Erscheinen von 10 Tage durch Deutschland genutzt, um mich mal mit der gesamten 10-Tage-Serie zu befassen.

In den letzten 12 Monaten haben mir drei Verlage gesagt, dass sie Kartenspiele für ihr Verlagsbprogramm suchen. Hinzu kommen die bekannten Reihen von Amigo oder Adlung. Nun sind reine Kartenspiele (ohne Zusatzmaterial) nicht so mein Designding, aber auf den ersten Blick siehts ja gut aus für ambitionierte Autoren.  Kleiner Einschub:

Letztes Jahr hatte ich mich gefragt, wer wohl mehr Einfluss auf die Spielelandschaft hat, die Autoren oder die Redakteure, die was für ihre Verlage riskieren. Während ich denke, dass bei Brettspielen innovative Ansätze schon veröffentlicht werden, wenn das Spiel überzeugt (zumindest hoffe ich noch für die originelleren meiner Protos ;-) ) so gibt es bei Kartenspielen schon deutliche No-Gos, die heutzutage wenig Chancen haben, bei etablierten Verlagen zu landen:

(Kurze Anmerkung: Das klingt im folgenden ein bisschen nach „Die Trauben sind sauer“, aber tatsächlich habe ich nur ein einziges reines Kartenspiel „im Programm“, ich schreibe also nicht aus „frustrierter Autor“, sondern eher als „frustrierter Kartenspieler“ – dazu unten mehr)

Keine Versteigerungen: Versteigerungen sind mittlerweile ein sbsolutes Tabu bei den meisten Verlagen – oftmals wird beim V-Wort nicht einmal die Regel angesehen. Die Kritik: Versteigerungen sind Anfängerfeindlich. Da ist natürlich auch etwas Wahres dran. Um versteigern zu können, muss man den Wert einer Sache einschätzen können und das ist bei den ersten Partien schwierig. Und Wenigspieler mögen das offene Bieten auch nicht so, sondern haben lieber etwas, an dem sie sich festhalten wollen. Auf der anderen Seite stehen Spiele wie Kuhhandel oder For Sale (vielleicht auch High Society), die sich trotz Versteigerungen gut verkauft haben müssen, bedenkt man die lange Marktpräsenz. Auch sehe ich (als Nicht-Redakteur) Unterschiede in den verschiedenen Versteigerungstypen – nicht jede Versteigerung ist das übliche „Wer bietet mehr?“ , Anlegetypen wie z.B bei Evo geben Wenigspielern etwas vor, an dem sie sich orientieren können oder die gar nicht als solche Wahrgenommen werden (Poker-Kombinationen sind ja auch eine Art Versteigerungen, wenn man sich damit gegenseitig überbietet, vor allem bei „einmal rum. Geschenkt ist noch zu teuer wäre ein weiteres Beispiel). Doch auch innovative Versteigerungen sind primär uninteressant für die meisten (wenn nicht alle) Verlage zur Zeit.

Keine Stichspiele: Mitte der 90er Jahre entdeckten die Verlage die Kartenspiele und fluteten den Markt mit einer riesigen Menge innovativer (und weniger innovativer) Produkter. Viele meiner Lieblingskartenspiele stammt aus dieser Zeit, z.B. 6 nimmt, Comeback (ein Versteigerungsspiel) oder Sticheln (ein Stichspiel). Schnell war der Markt übersättigt – denn wie viele Stichspiele braucht man denn so? Viele später erschienen Stichspiele gingen in der Flut und in den darauffolgenden satten Jahren unter und die Verlage lernten: Stichspiele verkaufen sich nicht. Das ist als Stichspielfan schade und ich weiß nicht inwieweit das stimmt. Innovative Stichspiele könnten durchaus noch stechen, wenn sie ab und an mal rauskommen – die Flut ist ja fast 20 Jahre her und mittlerweile gibt es eine neue Spielergeneration. Aber Stichspiele haben wenig Lobby und ich habe das Gefühl, das bei Stichspielen eher herausgestellt wird, dass es ein weiteres Stichspiel ist, anstelle dass etwas originelles, eigenständiges ist. Aber das mag spielerische Verblendung sein…

Keine reinen Zweier: Hugh, der Markt hat gesprochen! Spiele müssen möglichst von 2-20 alle Spielerzahlen abdecken. Auch diese Regel kommt nicht von ungefähr: Außer Kosmos hat es kein ein Verlag geschafft eine beständige Zweipersonenkartenspielreihe aufzubauen. Und es haben vielen versucht, denn Kosmos Erfolg wollte ja kopiert werden. Woran es liegt, weiß ich nicht, aber reine Zweier werden von Verlagen nur in homeopathischen Dosen und nur mit feuerfesten Handschuhen angefasst.

Nichts Komplexes: Kartenspiele müssen einfach sein, dass gilt bei Kartenspielen noch mehr als bei Brettspielen, denn reine Kartenspiele richten sich viel stärker an Wenigspieler als an Vielspieler aus (siehe auch Stichspiele). Wer gerne soziologische Forschungen betreibt kann sich mal mit der Frage auseinandersetzen warum das so ist: Haben Vielspieler gelernt, dass Kartenspiele selten komplexe Optimierungsdinger sind oder erscheinen Vielspielerspiele nicht in Kartenspielformat, weil Vielspieler die gar nicht beachten würden?

Aus dem gesagten ergibt sich, dass Kartenspiele keine Versteigerungen enthalten dürfen, für möglichst viele verschiedene Spielerzahlen geeignet sein müssen, nicht zu regelkomplex sein dürfen und Stichspiele scheiden eh aus. Als Resultat darf es da kaum verwundern, dass neuartige Kartenspiele selten sind. Die meisten sind entweder Sammelspiele (Sätze sammeln) oder 6-nimmt-mäßige Ablegeaufgaben, die sich alle eher ähnlich spielen und sich qualitativ wie spielerisch im Kern recht wenig unterscheiden. Originelle Vertreter wie The City oder Hanabi sind selten. Das ist als Kartenspielfan etwas frustrierend – waren früher z.B. Amigo-Spiele immer ein Blick wert, so gucke ich heutzutage nur gezielt mal eines an. Zu viele Spiele erscheinen, die durch die eben erwähnten regeltechnische Zwangsjacken zu ähnlich sind, als dass sie Platz in meiner Sammlung finden würden (das gesagte gilt für Kartenspiele im allgemeinen, nicht nur für Amigo im speziellen).

Auf der anderen Seite könnte eine sehr restriktive Kartenspielpolitik auch dafür sorgen, dass kreative Spiele erscheinen müssen – warum geschieht das nicht? Vermutlich weil hierzulande entsprechende Autoren dann eben andere Spiele machen, vollwertige Brettspiele oder aufgemotzte Kartenspiele für die kleinen Brettspielschachteln. In Japan sieht die Lage anders aus: Hier klappt die Beschränlung und sorgt für Spiele wie Love Letter, R-Öko oder Grimoire. Dort haben Brettspiele nämlich keine Veröffentlichungschance.

ciao

peer

Peer Sylvester
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11 Kommentare

  • Zuletzt hat mir „Der Hobbit – Das Kartenspiel“ von Kosmos recht gut gefallen.
    Ich denke mal, dass es – obwohl es ein Stichspiel ist und im Team(!) gespielt wird – sich ganz gut verkaufen wird.

  • Stich-Meister war echt klasse und ist noch nicht so lange her. Ansonsten weiß ich das manche Verlage auch Kartenspiele mögen, weil diese günstig herzustellen sind. Nur eine Materialkomponente. Dafür darf es gerne mehr sein als nur 100 Karten, wie Dominion.Überhaupt wurden Deckbauspiele als eine Flut ausgelöst, wegen der einfachen Tatsache das nur Karten benötigt werden.

  • Bei Deckbauspielen sind es schon wieder so viele Karten, dass es als Brettspiel durchgeht – große Schachtel und so (außer dem genialen Master Merchant natürlich). Ich bezog mich mehr auf die kleinen Schachteln, die Verlage mögen, weil sie potentielle Mitnahmeprodukte sind. Dominion-große Spiele kauft man ja wieder nur, wenn man sie kennt oder so. Ein kleines Kartenspiel nimmt man auch so mal mit.
    Außer Stich-Meister gab es auch Null & Nichtig (Amigo bringt immer noch mal ein Stichspiel heraus), das imho sogar besser war – Stich-Meister ist ja eher ein Party-Stichspiel :-) sowas muss man mögen. Aber schön wenn ein Verlag auch sowas mal rausbringt!

  • Interessant. Tja und mein Proto mit dem Stichspiel Mechanismus kloppe ich nun in die Tonne xD
    Egal. Denn so leid mir das tut aber gerade bei Kartenspielen gibt es schon fast alles. Handeln, bieten, werfen, drehen, Kombinationen ablegen, Geschwindigkeit, Geschichten erzählen. Es gibt nur noch Abwandlungen aber man wird das Gefühl nicht los, das kenne ich. Ich denke gerade 60 – 120 Kartenspiele wurde wirklich alles schon ausgelohtet. Kartenspiele entstehen eher als Nebenprodukt. Ich hätte aber keine Lust mich größer damit zu beschäftigen weil man sich wie auf einer Autobahn bewegt. Es gibt kaum noch freie, nicht erkundete Fläche bei den einfachen Kartenspielen.

    Kartenspiele an sich sind aber noch lange nicht am Ende. Karten haben etwas faszinierendes.

  • Manuel, vielleicht sind es nur Abwandlungen, aber die Abwandlungen können so stark sein, dass sie als eigenständig gelten.
    Es gibt sicherlich hunderte von Schlupflöchern, sie zu finden, ist das schwierige, denn wir sind zu blind dafür.

  • Ich gaube nicht, dass es irgendwo fast alles gibt – Master Merchant, Love Letter oder Dazzle beschreiten neue Wege (alles japanische Spiele), ebenso wie die erwähnten The City und Hanabi.
    Allerdings ist es so, dass die Beschränklung auf Karten weniger Variation _eines Themas_ zulässt als ein Brettspiel; Zwei Worker Placement – Spiele ähneln sich in der Regel deutlich weniger als etwa zwei Ablegespiele oder zweimal Set-Collection oder zwei Cant Stop Variationen. Auch dadurch wirken viele Kartenspiele als More of the same – einen einzelnen Mechanismus zu variieren ist nicht so flexibel wie das Zusammenspiel von vielen. Und Kartenspiele konzentrieren sich nunmal meistens of einen Kernmechanismus (siehe auch der letzte Punkt).

  • Also der Mechanismus von Hanabi (ich sehe die Karten der anderen nur meine eigenen nicht) nur nicht Kooperativ gab es schonmal. Ich habe nur vergessen wie das Spiel hieß. The City die Mechanismen sind ganz klar woher sie kommen (RftG, San Juan). So bietet für mich The City wirklich nichts neues. Allein die Einsteigshürde wurde stark gesenkt. Ich habe auch nicht geschrieben das es überhaupt kein Potentail mehr gibt. Bei Kartenspielen wird es nur extrem schwer noch eine Nische zu finden. Love Letter setzt da meiner Ansicht nach wirklich Maßstäbe. Das spiel super schnell, man hat pro Zug gerade mal 2 Optionen, und dennoch entfaltet das Spiel mit nur 16 Karten ein unheimliches Potentail. Das ist wie ein Juwel, der von unheimlichen Wert ist, obwohl er nur ganz klein ist. Nur dieses Spiel würde, glaube ich, auch keinen Deutschen Spieleverlag finden.

  • Peer,

    das ist eine gute Beschreibung des IST-Zustandes. Als Spieleautor hinkst du jedoch damit hintennach.

    Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass 2012 massig Würfelspiele auf den Markt kommen? Wenn du heute auf diesen Zug aufspringen willst, ist er vermutlich schon wieder abgefahren, da ein Spiel, dass du heute entwickelst wohl erst 2014 rauskommt.

    Ausgesprochen gute Spiele sind natürlich davon ausgenommen.

    Die Frage lautet vielleicht: Was liegt momentan nicht im Trend, könnte aber interessant werden. Wo traut sich ein (mutiger) Spieleredakteur drüber?

    Johannes

  • @Manuel: Bei Janus z.B. sah man nur die Karten eines anderen. Aber die Verbindung mit einem kooperativen Spiel macht etwas völlig neues draus, dass sich ganz anders spielt. Originalität heißt ja nicht nur, dass alles völlig neu ist, sondern dass das Gesamtwerk sich anders spielt, als alles andere am Markt. Das ist hier der Fall.

  • Was sind zukünftige Trends? Wenn ich das wüsste ;-) Das hängt davon ab, was die Autoren demnächst präsentieren bzw. wo es einen „Gamechanger“ gibt, so wie es das mit Pandemie (Kooperativ), 7 Wonders (Drafting) oder Dominion (Deckbau) gegeben hat. Gerade sowas ist aber im Vorfeld unmöglich zu erkennen. Vielleicht entdecken die Spielemacher nach Karten und Würfeln demnächst Dominosteine? Oder Chips, die man aus einem Beutel zieht (auch wenig Material!)

    Wenn ich einen Tipp abgeben müsste, würde ich denken, dass storybasierte Spiele einen größeren Raum einnehmen werden.

  • Bei Janus hat man nicht wirklich die Karten der anderen gesehen. Die Karten waren beidseitig bedruckt mit verschiedenen Symbolen. Wenn Spieler A, Spieler B eine Karte genommen hat haben alle anderen Spieler beide Seiten gesehen. Was vom Gefühl her näher an Hanabi ist, ist Code 777, aber das ist weder Kartenspiel (obwohl das Materialmäßig möglich wäre), noch Kooperativ.