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Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht?

Bernd Eisenstein und ich haben ein mittelkleines Versteigerungsspiel namens Chrome X erfunden. Das Ablehnungsschreiben eines größeren Verlages möchte ich mal zitieren:

CHROME X hat uns an sich recht gut gefallen; es ist „frisch“, originell und ungewöhnlich …CHROME X habe ich abgelehnt, weil es „frisch“, originell undungewöhnlich ist. ;o)

Tja, was soll man da machen? :-)

Im ernst: Wollen Spieler (auch Vielspieler!) tief in ihrem Herzen gar keine originellen Spiele?

Der Verlag basiert seine Ablehnung darauf, dass sich entsprechende Spiele aus der Vergangenheit recht schlecht verkauft hatten. Das ist für die These dahinter natürlich eine etwas schwache Basis, denn diese Verkaufszahlen können ja auch in anderen Dingen begründet sein. Doch so ganz von der Hand zu weisen ist die Theorie nicht. Vielspieler planen gerne von Anfang an was sie machen wollen. Sie wollen gerne Zielorientiert spielen. Und das ist naturgemäß schwieriger wenn der Spielmechanismus unbekannt und die Verknüpfungen nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Originelle Spiele erfordern oft originelle Herangehensweisen und das stellt eine gewisse Hürde dar. Ein bekanntes Spielprinzip – etwa ein Aufbauspiel mit Aktionspunkten und Arbeitern die verteilt werden – erschließt der erfahrene Spieler sofort und kann sich quasi von Sekunde 1 an auf das Ziel konzentrieren. Er fühlt sich zurecht und vertraut. Bei einem zu ungewöhnlichen Mechanismus wird er est einmal herumprobieren müssen – das Gefühl der Vertrautheit und der damit verbundenen Kontrolle fehlt. Besonders kritisch ist die Lage wenn die Herangehensweise, die man von anderen Spielen her gewöhnt ist hier versagt und womöglich gar für ein verkorkstes Spiel sorgt. Ein solches Spiel wird schnell in eine Schublade gepackt (wörtlich wie sinngemäß) und nicht mehr herausgeholt. Vielspieler haben oft keine Zeit (oder lust) einem Spiel eine zweite Chance zu geben – sie haben genug damit zu tun, all die anderen Spiele zu spielen, die sie sich täglich so kaufen ;-)

Umgekehrt bedeutete dies aber der Tod jeglicher Kreativität. Würde man oben stehende Argumentation bis zu ihrem extrem folgen hieße dass, das die bei Vielspielern beliebtesten Spiele diejenigen sein müssten, die überhaupt nichts neues mehr böten sondern zu 100% von bekannten Spielen abgekupfert sind. Doch das ist nicht der Fall – eher im Gegenteil: Spiele die zu wenig (oder gar nichts ) neues bieten überleben i.A. nicht langen auf dem Markt. Ist ja auch klar: Wenn Spiel A wie Spiel B ist und ich Spiel B besitze -wozu brauche ich dann noch A?

Ich bin nun ein Autor der generell an neuen Ideen und Konzepten interessiert ist und dem es Spaß macht, neue Wege auszuprobieren und zu erforschen. Daher mag ich nicht ganz neutral sein, wenn ich sage: Spiele können nicht nur originell sein, sie müssen es! Zum einen ist klar, dass ohne originelle Ideen keine Entwicklung geben kann. Viele Spiele aus den 80er Jahren wirken heute nur halb so gut. Das erscheint paradox, denn was einmal Spaß gemacht hat, sollte auch später noch Spaß machen. Nur sind viele Dinge mitlerweile echt verbessert worden. Mechanismen wie Sieg oder Aktionspunkte, Rollenwahl und Mehrheiten oder auch das Einsetzen von Arbeitern sind etabliert worden und sorgen für einen verbesserten Spieldurchlauf. Natürlich gibt es immer noch gute alte Spiele, aber so manches Spiel hätte gegen moderne Vertreter desselben Genres keine Chance mehr. Ein Atlantis wirkt beispielsweise heutzutage trotz originellem Turm ziemlich bieder – eher wie eine vertanene Chance als wie ein gutes Spiel…

Wichtig bei originellen Spielen ist aber eine gewisse Intuitivität: Die Regeln und der grundsätzliche Spielablauf sollten trotz Originalität gut zu erfassen sein. Man sollte zumindest eine Ahnung haben, was man probieren könnte. Und Spiele bei denen der naheliegenste Ansatz zu einem untypischen Spielverlauf führt sollten vermieden werden. Beispiel: The Circle. Hier führt der erste Ansatz ganz klar in eine Sackgasse. Erst nach mehreren Partien stößt man auf eine Möglichkeit das Anfangsdilemma zu überwinden und entdeckt das Potential des Spieles. Zu diesen mehreren Partien kommt es aber in der Regel nicht (wenn es nicht gerade jemand als Herausforderung ansieht, das Spiel zu verstehen). Und natürlich gelten auch bei originellen Spielen alle Regeln des normalen Spieldesigns. Insbesondere: Zumindest nach einer Partie sollten die Spieler spüren „Auch wenn ich viele Fehler gemacht habe – In dem Spiel steck was drin und ich hab schon mehr verstanden als am Anfang. Ich möchte es noch einmal spielen“

Darüberhinaus ist alles möglich!

In diesem Zusammenhang sei auf die Geeklist http://www.boardgamegeek.com/geeklist/31317 hingewiesen. Wer sich gerne inspierieren lässt und gerne auch mal ungewöhnliche Konzepte erprobt findet bei Boardgamegeek ein sehr interessantes Hilfsmittel: Welche Mechaniken (oder Themen) wurden bislang noch nie verknüpft? Wie wäres es mit einem Kriegs-Stichspiel oder einer Mischung aus 1000 KM und Quizspiel (Letzterer Ansatz mündete übrigens in einem Spiel an dem ich gerade arbeite, dass allerdings mit den Urgedanken nichts mehr zu tun hat)?

Es wäre jedenfalls schade, wenn die frischen Ideen der Marktfähigkeit geopfert werden würden!

ciao

peer

Peer Sylvester
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3 Kommentare

  • Moin Peer,
    wie du selber schon sagst: Nur noch aus altbekannten Mechanismen ein Spiel im wahrsten Sinne des Wortes zusammensetzen kann nicht das Ziel eines Autors sein. Und es kann auch nicht der Wunsch der Spielerschaft sein :-) Zum Glück, denn sonst bräuchte es den Autoren letzendlich gar nicht mehr.

    Aber der Mensch ist eben auch ein Gewöhnungstier. Er mag bekannte Mechanismen, weil er sie wiedererkennt und weiß, wie er mit ihnen umgehen muss. Das erzeugt die Vertrautheit. Nur wenn es nichts Neues zu entdecken gibt, wird das Spiel, wie du selber auch schon gesagt hast, schnell langweilig. Alles schon gesehen, alles schon gehabt.

    Also müssen wir als Autoren einen Mittelweg finden. Aus dem Bauch heraus würde ich mal in den Raum stellen, dass vielleicht ein Drittel bis die Hälfte des Spiels neu sein sollte, damit es was zu entdecken gibt. Der Rest sollte altbekannt sein, damit man sich schneller zurecht findet.

    Interessant wäre da vielleicht dann mal eine Spieleserie. Man fängt mit einem Spiel an, dass 1/3 neu ist, übernimmt dann dieses Drittel für die nächste Iteration als altbekannt und fährt dann so fort, bis man bei einem Spiel angekommen ist, dass ohne die vorherigen Iterationen der Entwicklung der Serie zu 100% aus neuen Mechanismen besteht. So haben dann die Spieler merhere Spiele „Zeit“, sich an das neue Konzept zu gewöhnen. Könnte mal spannend sein ;-)

    Andreas

  • Hallo Peer,
    ein schöne Beitrag. Beim lesen musste ich an das Spiel Alchemist von Amigo-Spiele denken. Hier werden den Spielern auch ungewöhnlich viel Freiheiten gelassen. Die Partien können sich jedes Mal total unterschiedlich entwickeln und es gewinnt schon eher derjenige, der diese Entwicklung frühzeitig erkennt und seine Spielweise anpasst. Leider können viele nichts mit dieser Freiheit anfangen – ich habe nur wenige Spieler gefunden, die sowas toll finden. Aber die Spieleszene könnte durchaus mehr von diesen Freiheiten vertragen! Viel Erfolg für Dich!
    Björn