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Wer will denn DAS lesen?

Na gut, na gut, so ganz geht es natürlich doch nicht: Irgendwie muss die Wahl der Jury doch kommentiert werden. Immerhin habe ich hier geschrieben, ich wäre fast sicher, dass Stone Age gewinnen würde. Vor Scham im Boden versinken muss ich aber nicht, denn Keltis war mein Tipp beim Spiel des Jahres Toto gewesen… Allerdings nicht, um mich hier für den Fall der Fälle doch doppelt abzusichern, sondern weil ich Stone Age damals noch nicht gespielt habe. Aber egal, um meine Präferenzen soll es hier nicht gehen.

Niemand kann in die Jury hineinschauen und nach außen dringt nur, dass die Abstimmung anscheinend knapp war. Den Auschlag für Keltis dürfe vor allem gegeben haben, dass die Einstiegshürde bei dem Kniziaspiel doch deutlich niedriger ist, als die bei Stone Age (Ich glaube nicht, dass er den Preis bekommen hat „weil es mal Zeit war“, dafür sind die Beteiligten zu sehr Profis). Die Regeln bei Stone Age sind insgesamt in der Anwendung nicht schwierig und auch in sich schlüssig, aber das Gesamtpaket muss eben erst einmal geschluckt werden, bevor das Spiel losgehen kann und hier könnte es tatsächlich zu Problemen kommen. Als verlässliches Barometer hat sich meine Frau herausgestellt: Die hat die letzten 3 Titelträger richtig vorrausgesagt und meinte diesmal: „Ja, Stone Age ist gut, aber es sind so viele Regeln! Ich glaue, es wird Keltis.“

Prinzipiell wird durch den Zweikampf Keltis vs. Stone Age (*) ein klassisches Jurydilemma deutlich: Soll man eher Spiele auszeichnen, die vom Niveau her niedrig liegen, um das Zielpublikum nicht zu überfordern oder soll man eben genau das tun: Die Zielgruppe fordern nämlich, um zu zeigen, dass Spiele eben kein Kinderkram sind, sondern sinnvolle Erwachsenenbeschäftigung. Die Befürworter der „Nicht zu kompliziert“-These haben ein gutes Argument: Ein SdJ das zu schwierig ist verstaubt im Schrank oder wird gar nicht gekauft und nützt so niemandem. Und dieses Argument wird durch die meisten Verkaufszahlen gestützt. Torres war das SdJ das sich bislang am schlechtesten verkauft hat. Tikal oder Sherlock Holmes hatten auch nicht gerade starke Verkaufszahlen. Dauerbrenner wie Scotland Yard, Sagaland oder Hase und Igel, die sich auch nach nunmehr 20 Jahren noch verkaufen gehören mehr (Sagaland) oder minder (Hase & Igel) zu der „seichteren“ Sorte.  Immerhin haben die Siedler gezeigt, dass auch ein anspruchsvolleres Spiel erfolgreich sein kann, wenn es denn angenommen wird. Und mehr noch: Ein anspruchsvolles Spiel, DASS angenommen wird, vermag es viele neue Schichten anzusprechen und sorgt so für einen größeren Schub als es ein einfacheres Spiel vermag (wobei Siedler natürlich auch ein seltener Geniestreich war, dass sollte man bei solchen Aussagen berücksichtigen). Die Frage bleibt also: Wie könnte man den Massen ein etwas komplexeres Spiel schmackhaft machen (Wir wollen vielleicht nicht gleich mit Advanced Squad Leader anfangen, aber ein Stone Age wäre schon schön)?

Was gerne übersehen wurde: Siedler war nicht nur ein außergewöhnliches Spiel, es wurde auch mit einer außergewöhnlichen Regel präsentiert: Auf einer Seite war alles übersichtlich erklärt, man konnte sofort einsteigen. Das eigentliche Regelheft diente nur zum Nachschlagen. Ich glaube dass diese Regel einen nicht unerheblichen Anteil an dem Erfolg der Siedler hatte, denn dadurch konnte auch vielen Nicht-Spielern das relativ komplexe Siedler nahe gebracht werden. Überraschend ist dabei dass dieses System heute praktisch nicht mehr verwendet wird. Es ist sicherlich nicht für alle Spiele geeignet (bei Morgenland war dieses Prinzip sogar kontraproduktiv, erschien das Spiel doch viel komplizierter, als es letztlich war – das lag aber auch einer schwachen Umsetzung), aber wenn eine gute Redaktion hier Arbeit investiert, wird sie vielfach belohnt werden. So ein Blitzeinstieg ist ja das was die Leute wollen – Sie wollen möglichst schnell spiele, Details interessieren nur dem Vielspieler vor dem ersten Zug.

Professor Easy war ein weiteres Experiment des Kosmos-Verlages, dem hier für seine innovative Arbeit an neuen Regeln ein Lob gebührt. Auch hier konnte man in die Spiele einsteigen, zumal war das System auch auf Spiele anwendbar, die man mit der Siedler-Regel nicht hätte ausstatten können. Allerdings sind diese Hefte natürlich zum einen nicht billig in der Produktion (so ein zweites Regelheft muss ja erst mal bezahlt werden) und zum anderen hatten die Prof. Easy Hefte immer etwas kindliches an sich, so als wären sie nicht für Erwachsene gedacht. Und sie waren nicht auf das eigene Lerntempo anpassbar, auch wenn man das meiste verstanden hatte und es nur an ein paar Details hing, musste man den ganzen Weg mitgehen. Da war die etwas weniger führende Siedlerregel angenehmer.

Ein ganz anderer Punkt sind virtuelle Regelerklärungen mittels Film (auf Webseite oder DVD). Mal von den Produktionskosten ab (und die sind entweder nicht unerheblich oder die Gefahr besteht, dass der Eindruck einer „Billigproduktion“ entsteht, die wiederrum auf das Spiel abfärbt): Ich persönlich glaube nicht, dass sie wirklich etwas bringen. Na Gut, ganz so stimmts nicht: Ich finde Videoerklärungen gut – bei komplexeren Spielen. Und damit meine ich Spiele, die ich für komplexer halte! Indonesia, Fury of Dracula und Reef Encounter habe ich mir von Scott Nicholson erklären lassen. Hier hängen einfach viele Regeln zusammen und ihr Zusammenspiel lasse ich mir lieber erklären, als dass ich sie mir selbst erarbeite. Bei Space Dealer hab ich erst durch die Videoproduktion verstanden, worauf es beim Spiel ankommt- was hier allerdings eher der schwachen Regel als dem Spiel geschuldet sein dürfte. Wenn dem so ist, wieso glaub ich dann, dass Filmchen nix bringen? Nun Ottonormalspieler will ja eigentlich sofort losspielen und die Regel möglichst aussen vor lassen. Sie ist eine notwendige Hürde, die sich zwischen ihm und dem Spielspass stellt und er will sie nicht länger als nötig beachten. Daher glaube ich nicht, dass er noch extra ins Internet oder auch nur zum Videorekorder geht und sich dort einen 5-Minütigen Film ansieht, bevor er dann doch in die Regel gucken muss, weil er nicht alles behalten hat. Er würde vielleicht erst die Regel ansehen und dann – wenn er das Gefühl hat, die Regel ist ihm zu kompliziert – zum Video übergehen, doch das setzt schon einmal ein Grundinteresse vorraus. Und wenn die Regel zu kompliziert erscheint,ist der Schluss, das Spiel sei zu kompliziert nicht weit – und damit ists vorbei mit dem Interesse und die Schachtel wird in den Schrank gelegt. Zu Pessimistisch? Vielleicht. Aber ich hab zu oft die Sätze „Bitte nix kompliziertes“ und „Das verstehe ich sowieso nicht!“ von Wenigspielern gehört, um nicht zu wissen, dass keine Angst beim Spielen so ausgeprägt ist, wie die ein Spiel nicht zu verstehen und sich daher womöglich dumm anzustellen. Ergo glaube ich nicht, dass Videos bei der SdJ-Zielgruppe viel Verwendung finden – Das Ziel muss eher sein, den Eindruck zu erwecken, das Spiel sei nicht kompliziert und der Einstieg sei ganz einfach. Dann klappts auch mit dem Nachbarn. Das Spielen jedenfalls.

Wie sich Keltis letztlich machen wird bleibt abzuwarten. Es ist leider weder so schön erweiterbar wie Carccassonne noch hat das typische Spielgefühl von Klassikern wie Scotland Yard oder Hase & Igel. Daher glaube ich nicht, dass hier ein „außergewöhnliches SdJ“ vorliegt- Eher „Gutes Spiel, mäßiges SdJ“. Es besteht aber die vage Chance, dass es als lockeres Kartenspiel den Durchbruch schafft, quasi als Rummikubb des 20. Jahrhunderts. Zu hoffen wäre es ja. Nicht für Knizia, nicht für die Jury, sondern einfach für die Spieleszene.

ciao

peer

(*) Ob es den wirklich gab weiß niemand. Das offizielle Statement ging eher in die Richtung „Jeder hätte gewinnen können, alle waren gleich stark.“ Das darf nicht überraschen, denn das ist ja die Idee der Nominierungen. Hier sollten nur Titel genannt werden, die allesamt Chancen auf den Hauptpreis haben. Aber was solls, ich denke es hätte den Zweikampf geben können, ja sollen :-)

Peer Sylvester
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