Sätze ohne Kontext sind selten sinnvoll.
Aber was ganz anderes:
Gelegentlich liest man folgenden Satz in einer Rezension: “X ist kein Spiel sondern eine Beschäftigung”. Dieser Satz ist etwas fragwürdig, denn JEDES Spiel ist eine Beschäftigung. Spiele sind nun einmal eine Untergruppe von Beschäftigungen – der Satz ist also so sinnvoll wie “Das ist kein Elefant, sondern ein Tier.” Aber OK, ich kann etwas semantische Ungenauigkeit verzeihen, wenn aus dem Kontext eine Begründung für den Satz zumindest impliziert wird. Leider ist dieser Kontext meistens: “Ich möchte deutlich machen, wie doof dieses Spiel ist, in dem ich es das ´Spielsein´abspreche; X ist nicht nur schlecht, es ist nicht einmal mehr ein Spiel!” Dieser Diss wird dann oft noch mit einigen Definitionen des Spielbegriffes belegt, die sehr genau darauf ausgerichtet sind, dieses Spiel nun genau nicht zu beinhalten. Das ist in den wenigsten Fällen interessant, denn die Beschäftigung mit der Sache beschränkt sich dann auf das recht persönliche Urteil: “Ich mag X WIRKLICH nicht!”
Dabei ist durchaus beachtenswert, was mit dem Satz eigentlich ausgedrückt werden soll: Was ist der Grund für die Trennung von “Beschäftigung” und “Spiel”? So wie ich den Satz verstehe -und auch das Verb beschäftigen” verwende – ist die fehlende Unterhaltung. Ein Spiel kann mich beschäftigen, ohne mich zu unterhalten. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ich keinerlei emotionale Bindung zu meinem Tun aufbaue. Nehmen wir zwei fiktive Kartenspiele: In beiden werden Karten von der Hand gespielt und gespielte Karten auf dem Tisch bewegt, angeordnet und wieder auf die Hand genommen. Das sind alles operative Handlungen, die vorgenommen werden. Ich tue etwas. Doch etwas tun ist nicht dasselbe wie unterhalten werden. Eines der beiden Spiele schafft es, mich zu unterhalten, das andere nicht – woran könnte das liegen? Offenkundig, schafft es eines der Spiele eine emotionale Bindung aufzubauen und das andere nicht. Doch wieso?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten wie ein Spiel diese Bindung aufbauen kann: Da wäre einmal die thematische Variante – Bietet ein Spiel etwa genügend narrative Anker an, damit die Spielenden wissen was sie auf Spielnarrativer Ebene tun, so erhöht das die Identifizierung und damit die emotionale Bindung. Wir sind Geschichtenerzählende Wesen, Narrativen, auch wenn sie so einfach getsrickt sind, wie in den meisten Spielen, faszinieren uns. Wir haben die Fähigkeit Empathie auch mit fiktionalen Charakteren aufzubauen – weswegen es uns trifft, wenn etwa aufgebaute Spieldörfer verloren gehen.
Aber natürlich sind auch rein mechanische Möglichkeitend denkbar: Die Mechanismen müssen derart sein, dass es “um etwas geht”, also dass die Entscheidungen von den Spielenden mit Bedeutung aufgeladen werden können. Push-Your-Luck-Elemente sind da ein eindeutiges Beispiel: Hier bedeutet jede Entscheidung eine klare Abwägung zwischen möglichem Ertrag und möglichem Verlust. Stehen diese in einem günstigen Verhältnis, dann sind die Entscheidungen interessant und emotional. Ein Push-Your-Luck-Spiel, bei dem sich Gewinn und Verlust dagegen kaum unterscheiden, ist entsprechend uninteressant und beliebig. Auch die Transparenz der Wirkung spielt eine Rolle: Wenn es so wirkt, als hätte die eigene Entscheidung keinerlei Auswirkungen gehabt, findet auch keine Identifizierung mit dieser statt. Umgekehrt bewirkt das Umsetzen eines Planes eine emotionale Bindung: Das ist MEIN Plan und ICH will, dass der klappt!
Greift ein Spiel weder auf thematischer noch mechanischer Ebene, dann gibt es immer noch die Mitspielenden: Auch über Theater und Interaktion kann noch eine Bindung zum Handeln aufgebaut werden, aber hier hat das Spieldesign nur noch sehr begrenzten Einfluss – es kann quasi ein paar Stichwörter geben, aber die Spielenden müssen ggf hart arbeiten, sich gegenseitig zu unterhalten. Die Wortwahl war beansichtigt: An dieser Stelle unterhält das Spiel nur noch sehr mittelbar, das Spieldesign hat seine Grenzen oft bereits erreicht.
Die Frage, warum ein bestimmtes Spiel nicht unterhält ist daher eigentlich sehr komplex. Der Satz “Dieses Spiel ist eine Beschäftigung, kein Spiel” wird dadurch nicht besser – aber die modifizierte Version “Dieses Spiel unterhält nicht, sondern beschäftigt uns nur” kann durchaus am Anfang einer kritischen Auseinandersetzung stehen. Die dahinterstehende Frage ist ungemein interessant und kann der Kernpunkt einer Kritik sein. Diese Chance sollte genutzt werden.
ciao
peer
- Keine Beschäftigungstherapie - 13. April 2025
- Ehre wem Ehre gebührt (?) - 23. März 2025
- Stich um Stich - 9. März 2025