Wie so oft in den ersten Monaten des neuen Jahres kreisen meine Gedanken um Spielkritiken. Jedoch weniger um eine einzelne, sondern eben die Textart und die Praxis als solches. Welche Formen hat eine Spielkritik und welche Herangehensweise geht mit der kritischen Auseinandersetzung einher?
Die vermutlich trivialste Form der Spielkritik ist und bleibt in meinen Augen die Spielempfehlung. Sie ist jedoch nicht deshalb trivial, weil sie belanglos ist, sondern weil sie keine weitere Ausführung benötigt. Es gibt nur wenig Raum für Reflexion, wenn man Kritik darüber definiert, ob sie ein Spiel empfiehlt oder davon abrät. Jemand mit ausreichend Verständnis der Materie bzw. dem Talent die eigenen Empfindungen in Worte zu fassen, muss dafür lediglich feststellen, ob das Spiel nun Spaß gemacht hat oder nicht. Der Zweck einer solchen Spielkritik ist klar umrissen. Der Aufbau ist dabei allein eine stilistische Frage und der Unterhaltungswert der Kritik ist eine Folge der eigenen Wortgewandtheit. Diese Seite des Themas Spielkritik stellt in meinen Augen keine Fragen mehr. Das erkennt man unter anderem auch daran in welcher Frequenz in den letzten Jahren neue Stimmen auf den unterschiedlichen Plattformen Spielkritiken veröffentlichen. In diesem Kontext halte ich auch die Unterscheidung zwischen „Influencer*in“ und „Spielekritiker*in“ für reine Makulatur. Der Unterschied zwischen „Das macht mir Spaß!“ und „Das macht Spaß, weil..“ scheint mir für das Publikum keinen inhaltlichen Unterschied zu machen. Wenn eine Spielempfehlung mit einer Erklärung daher kommt, hilft das allein dabei die eigene Kaufentscheidung zu rationalisieren. Aber es ist das Urteil selbst, welches maßgeblich ist, nicht die Art oder Länge der anschließenden (oder vorangestellten) Erklärung. Es kommt nicht von ungefähr, dass so vielen Spieler*innen Punktewertungen oder ein abschließendes Fazit in einer Spielkritik wichtig sind.
Die Spielempfehlung ist ein wichtiger und kaum zu entfernender Teil der Spielkritik. Aber es ist nicht der Teil der Spielkritik interessant macht.
Vor einigen Jahren habe ich mir auf einer Urlaubsreise das Zimmer mit einem leidenschaftlichen Metal-Kenner geteilt. Abends unterhielten wir uns ausgiebig über unsere jeweiligen Steckenpferde. Aus seiner fein säuberlichen Unterscheidung von unerwartet vielen Metal-Untergenres nahm ich zwei Erkenntnisse mit. Erstens: Metal ist ein Musikgenre welches mir sehr viel fremder ist als ich bis zu diesem Zeitpunkt wusste. Aber vor allem erkannte ich, dass die Begeisterung für ein bestimmtes Thema damit einhergeht, dass man feiner und genauer differenziert. Mit anderen Worten, wer für ein Thema brennt, sucht sich die Sprache und auch die gedanklichen Strukturen, um dem ganzen auf den Grund zu gehen. Wenn man diese Dinge nicht finden kann, dann macht man sie sich eben selbst. Eben diesen Antrieb darf und sollte man sich meiner Meinung nach auch für die Spielkritik zu Nutze machen.
Abseits der Algorithmus-konformen Einheitsstruktur einer Spielkritik und den vermeintlichen „Kernfragen, die jede Spielkritik beantworten sollte“ zeichnet sich eine wertvolle Kritik vor allem dadurch aus, dass sie aus einem authentischen Interesse am Spielen selbst entsteht. Sie ist angetrieben von einer persönlichen Begeisterung für die Sache, die ihren Ausdruck darin findet, dass man sich mit dem Spiel kritisch auseinandersetzen will. Das gilt für das Meer an Untergenres der Metalmusik; und es gilt auch für Spiele.

Dieses Streben nach wertvollen Kritiken (ob zum Lesen, Hören oder Anschauen) führt aber auch schnell dazu, dass man der Form mehr Aufmerksamkeit zukommen lässt als dem Inhalt. So gibt es viele gute Kniffe, um einen Text unterhaltsamer zu schreiben, um einen Podcast frischer zu präsentieren oder um ein Video einnehmender zu gestalten. Alles das hilft, um Interesse zu wecken; aber kann auch Selbstzweck werden. Ansprechender Content ist kein Garant für gute Kritik. Die alte Kamelle, dass ein schönes Thema nicht über ein schlechtes Regelwerk hinwegtäuschen kann, lässt sich auch auf Kritiken übertragen. Diese vermeintlichen „Blender“ fallen schnell durch, heißt es. Aber auch hier widerspricht die Praxis regelmäßig der Theorie. Es gibt erfolgreiche Spiele, deren Spieler*innen durch das Thema begeistert werden, auch wenn das restliche Design eher durch seine Lücken auffällt. Ebenso gibt es erfolgreiche Kritiken, die gerade weil sie sich schön lesen, entspannt hören oder ansprechend inszeniert sind, ihr Publikum in ihren Bann ziehen.
Denn auch die Umkehrung des vorhin erwähnten Satzes ist wahr: eine gute Kritik ist keine Notwendigkeit für gut laufenden Content. Damit drängt sich unweigerlich die Frage auf: muss sich Kritik überhaupt verändern? Wenn das Ziel Reichweitenstärke und Zugriffszahlen ist, dann ist eine gute, fundierte oder anspruchsvolle Kritik lediglich ein Mittel von vielen. Schöne Bilder, eine sympathische Stimme oder auch einfach nur markige Sprüche, führen genauso ans Ziel. Wenn es darum geht eine Community aufzubauen und zu pflegen, dann ist die Kritik bzw. die Spielbesprechung eher eine Tradition, die man aus historischer Verpflichtung weiterträgt. Es ist das vertraute Format, über das man die eigene Persönlichkeit, Nahbarkeit und Verbundenheit zum Publikum etabliert und bespielt. Wenn es allein um kreative Selbstentfaltung geht, dann muss Kritik sich allein daran messen, ob sie einem selbst gefällt. Sie ist lediglich der Beleg für die eigene Schöpfungskraft, welche von anderen wahrgenommen und – je nach Veranlagung – bewundert werden soll.
Es gibt genau genommen nur einen einzigen Grund, um die Spielkritik zu verändern, sie zu verbessern: weil sie von der Leidenschaft getrieben ist sich kritisch mit Spielen auseinanderzusetzen. Weil der kritische Blick auf Spiele sich mit jeder neuen Idee, mit jedem neuen Gespräch und mit jedem neuen Erlebnis erweitert und verändert. Weil die Begeisterung für Spiele eben nicht nur im Ringen um Sieg und Niederlage ihre Erfüllung findet oder in der Gemeinsamkeit mit anderen Spieler*innen. Die Spielkritik muss sich für die Menschen verändern, die nicht nur den Konsumgegenstand Brettspiel oder die Hobbybeschäftigung „Spielen“ sehen, sondern eben die schemenhaften Umrisse einer Kultur wahrnehmen. Sie muss sich ändern, um das Kulturgut und die Spielkultur selbst zu erfassen und zu benennen. Kritik ist nicht allein die Bewertung eines Gegenstandes, sondern auch das Ausarbeiten und Hervorstreichen der Ideen und Werte, die diesem Gegenstand zu Grunde liegen. Kritik ist immer die Frage nach dem Warum. Die Antworten, die wir darauf finden und geben, sind ein Spiegel der Wertschätzung und Bedeutung, die wir der Sache beimessen. Kritik muss sich verändern, damit das was wir über Spiele sagen auch dem entspricht, was wir von ihnen halten und was sie uns bedeuten.
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