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Darf der das? – Egoismus und das kompetitive Spiel

Jedes kompetitive Spiel basiert auf der Annahme, dass die Spieler*innen eine unausgesprochene Vereinbarung getroffen haben. Diese lautet: „Im Rahmen des Spiels dürfen wir egoistisch handeln.“

Die Erlaubnis für dieses Handeln folgt dabei ausdrücklich nicht aus den Regeln. Weder belohnen noch bestrafen sie egoistisches Handeln. Sie formulieren jedoch ein Ziel und die Mittel, um dieses Ziel zu verfolgen. Dass es ein solches Ziel gibt, heißt jedoch nicht, dass damit auch erlaubt ist, es egoistisch zu verfolgen. Diese Vereinbarung müssen die Spieler*innen unter sich treffen. Man nehme als Vergleich das Beispiel einer Catan-Runde, in denen jeder Handel nur auf Grundlage eines 1:1 Tausches zulässig ist. In einer solchen Gruppe gilt die Übervorteilung als übermäßig egoistisch und wird von der Spielgruppe nicht akzeptiert. Das steht in keinem Widerspruch zu den Regeln des Spiels oder seiner Zielsetzung. Es ist eine Übereinkunft, welche die Spielgruppe selbst getroffen hat.

Der Einwand, dass eine solche Gruppe das Spiel nicht verstanden habe oder es falsch spielt, hat dabei keinen Wert. Es gibt schließlich kein platonisches Ideal wie man Catan spielt. Es gibt lediglich die praktische Anwendung der Regeln am Spieltisch, so wie es die Spielgruppe für angemessen hält. Selbst wenn dabei Regeln nicht im Sinne des Autors interpretiert werden, ist das vorerst egal. Niemand überwacht Spielgruppen, ob sie Catan richtig spielen. Sogar der idealistische Gedanke man spielt das Spiel nicht „so wie es gedacht war“, ist nur dann relevant, wenn die Spielgruppe sich dieses Ziel gesetzt hat. In den meisten Fällen wird das jedoch nicht so sein. In den meisten Fällen ist die beabsichtigte Spielweise für die tatsächliche Spielgruppe erst dann interessant, wenn man keinen Spaß beim Spielen hatte. So lange das nicht passiert, sind Ziele und Absichten der Personen hinter dem Spiel nebensächlich.

Vielleicht ist das kompetitive Spiel als Ort um Egoismus auszuleben einer der Gründe, weshalb es so reizvoll ist. Sowohl für junge Menschen, die das Abwägen zwischen den eigenen Absichten und den Zielen und Absichten der anderen erst erlernen. Aber auch für Jugendliche, deren Geltungszwang und Wunsch nach Eigenbestimmung in diesem Alter vielleicht am Stärksten ist. Kompetitive Spiele erlauben es genau diesen Dingen nachzugehen, ohne dabei schwere Konsequenzen oder Strafen befürchten zu müssen. Im gleichen Maße ist es aber wichtig dieses egoistische Handeln auch als solches zu erkennen und zu begreifen, dass es die Absprache zwischen den Spielenden ist, die diesen Freiraum gewährt.

Darum ist es in meinen Augen wichtig, dass man diese Freiheit nicht an den Regeln des Spiels festmacht. „Es ist nicht verboten, darum ist es gerechtfertigt“ trifft weder in Spielen noch im Leben zu. Gleichermaßen ist es auch nicht die Art des Spiels, die diese Erlaubnis ausspricht. „So macht man das halt“ ist nicht der Grund weshalb wir in Spielen egoistisch handeln dürfen. Der Traditionsappell ist sowohl in realen Diskussionen wie auch am Spieltisch nicht zulässig.

Gerade in Spielen muss man sich vor Augen halten, dass die Verantwortung für das eigene Handeln immer bei einem selbst liegt. Sie wird weder durch Spielregeln, noch durch einen falsch verstanden „magischen Zirkel“ aufgehoben. Wir müssen uns für unser tun immer gegenüber denen verantworten, die die Konsequenzen tragen müssen. In einem kompetitiven Spiel sind das die anderen Mitspieler*innen. Gerade deshalb ist die (meist unausgesprochene) Übereinkunft, dass man anderen egoistisches Handeln zugesteht, so wichtig.

Selbstverständlich ist diese Zustimmung weder bedingungslos, noch unwiderruflich. Wie viel Egoismus wir im Rahmen des Spiels dulden hat Grenzen. Spätestens wenn jemand am Tisch alle anderen warten lässt, um den eigenen Zug bis ins letzte Detail zu optimieren, wird unsere Zustimmung auf die Probe gestellt. Auch sind wir nicht gezwungen diese Erlaubnis bis zum Ende des Spiels aufrecht zu erhalten. Es steht uns jederzeit frei unsere Meinung zu ändern. Wenn die spielerisch ausgelebte Selbstsucht zu viel wird, muss man sich nicht verpflichtet fühlen, es klaglos zu ertragen, bis das Spiel sein Ende gefunden hat.

Jedoch muss auch bedacht werden, dass diese Erlaubnis für die gesamte Spielgruppe gegeben werden muss. Wenn wir einschränken wer egoistisch handeln darf und wem wir das übel nehmen, brechen wir damit eine der Grundannahmen des gemeinsamen Spielens. Diese lautet, dass wir uns im Rahmen des sozialen Miteinanders alle gleichwertig behandeln. Für manche ist dieser Umstand der Hauptgrund, weshalb sie Spiele als ein Demokratie-nahes Medium verstehen. Eine etwas oberflächliche, wenn auch nicht falsche Beobachtung. Eine Hierarchie zwischen den Spieler*innen ist, wenn überhaupt, nur als Teil des Spiels und seiner Regeln akzeptabel. Ein Spiel in dem sich eine Hierarchie zwischen den Spielenden bereits vor dem Spiel abzeichnet, widerspricht dem was wir unter einer guten, kompetitiven Spielrunde verstehen.

Im kompetitiven Spiel können wir uns nicht nur miteinander messen, sondern dürfen auch ganz selbstsüchtig handeln. Vielleicht bietet das kompetitive Spiel ein Ventil für diese Impulse. Vielleicht erfreuen wir uns auch nur an der gefühlten Grenzüberschreitung, so egoistisch zu handeln wie wir es uns selbst vielleicht nicht erlauben würden. Aber ohne einen gehörigen Schuss Egoismus bleiben viele kompetitive Spiele eine blutarme und wenig interessante Angelegenheit.

Georgios Panagiotidis
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