Eine Kritik muss immer fragen, warum eine Designentscheidung getroffen wurde. Spiele entstehen nicht aus sich selbst heraus. Ihre Regeln werden bewusst zusammengestellt, um eine bestimmte Wirkung zu erreichen. Das gilt nicht nur für Brettspiele, sondern auch für digitale Spiele. Entsprechend habe ich mir beim Spielen von Slay the Spire kürzlich die Frage gestellt: warum präsentiert sich Slay the Spire eigentlich als Kartenspiel?
Die naheliegendsten Erklärungen greifen alle nicht. Es basiert nicht auf einem bereits existierenden Kartenspiel. Auch handelt es sich nicht um ein Spiel mit Intellectual Property Lizenz, in dem Karten eine besondere Rolle spielen würden. Ich würde behaupten, dass der Grund weshalb Slay the Spire ein Kartenspiel „ist“, hat mit der gleichen Funktion zu tun, die auch Themen zu einem Brettspiel beitragen.

Mit Hilfe der Metapher des Kartenspiels fällt es Spieler*innen einfacher schnell die Zusammenhänge und Abläufe des Spiels zu begreifen. Die Kartenhand mit der wir bei Slay the Spire vorrangig zu tun haben, ist nichts anderes als ein Aktionsmenü wie man es aus vielen Adventure-Spielen, Strategiespielen oder auch nur dem Rechtsklick auf einem Windows-Desktop kennt.
Wir entscheiden uns für eine der Möglichkeiten, um den Gegner in irgendeiner Form zu schwächen. Ziel des Spiels ist es den Gegner auf null Lebenspunkte zu prügeln. Derart abstrakt umschrieben, könnte man Slay the Spire auch mit Street Fighter II vergleichen. Letzteres setzt uns durch einen in Echtzeit handelnden Computergegner unter Zeitdruck. Wir werden gezwungen schnell und instinktiv Entscheidungen zu fällen. Slay the Spire ist dahingehend deutlich gelassener.
In Street Fighter II wird die Interaktion mit der Maschine (ob Automat, Konsole oder Computer) als Prügelei präsentiert. Mit Hilfe dieser grafischen Metapher ergibt das was wir tun, und wie das Programm auf unseren Input reagiert, einen Sinn. Slay the Spire nutzt macht sich dabei eine weitere Metapher zu Nutze. Wir haben es grafisch mit einem Kampf zu tun, aber unsere Interaktion in diesem Kampf wird über ein Kartenspiel abgewickelt. Diese Kartenspiel-Metapher präsentiert uns eine einfach zu begreifende Übersicht der Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.
Als Gedankenspiel könnte man sich eine alternative Präsentation vorstellen, in denen Slay the Spire stattdessen ein text-basiertes Spiel wäre. Aus einer feststehenden Liste werden einige Aktionen zufällig gewählt und angeboten. Das wäre nicht nur ein visuell tristes Erlebnis. Es wäre auch um einiges schwieriger nachzuvollziehen wie und warum bestimmte Aktionen seltener angeboten werden als andere. Eine vergleichbare Richtung gehen Spiele aus dem Visual Novel-Genre. Hier werden die verfügbaren Aktionen daran gekoppelt, welches Bild einem gerade präsentiert wird. Wenn ich mit einem Bäcker „spreche“, werden mir andere Dinge angeboten als wenn ich mit einer Agentin oder einem Onkel spreche.

Es ist die grafische Darstellung des Spiels wodurch unsere Handlungen verständlich und nachvollziehbar werden. Sind Darstellung und Handlungen auf einander abgestimmt und in sich schlüssig, präsentiert sich auf dem Bildschirm vor uns eine Erzählung. Wobei es natürlich genauso möglich ist, sich erst die Erzählung zu überlegen und danach die grafische Darstellung zu wählen, welche die spielerische Interaktion einkleidet.
Was hat dieser Exkurs nun mit Slay the Spire zu tun?
Slay the Spire ist ein Videospiel. Es nutzt die Metapher des Kartenspiels, um seine Interaktion zu präsentieren. Ähnlich wie auch andere Videospiele sich die Metapher des Karten- oder Brettspiels annehmen, um ihre spielerische Interaktion zu präsentieren. Dabei ist es unerheblich, ob diese Metapher bereits als eigenes Karten- oder Brettspiel existiert, welches man am Tisch spielen kann.
So wird Slay the Spire auch nicht zu einem Brettspiel am PC, nur weil man mittlerweile auch ein Brettspiel mit dem gleichen Namen und Konzepten spielen kann.
Damit ist Slay the Spire aber nicht nur ein Beispiel dafür, dass ein Kartenspiel in einer digitalen Spielumgebung weiterhin ein Computerspiel ist. Es lässt sich auch eine schöne Parallele zu Brettspielen im Allgemeinen ziehen. Hier wird ein Thema wie eine Metapher auf die spielerische Interaktion übertragen. Es dient den Spieler*innen primär dazu, die Zusammenhänge und Abläufe des Spielerlebnis zu begreifen.
Slay the Spire ist keine Simulation eines Brettspiel. Genauso wenig wie die meisten Brettspiele Simulationen ihrer Themen sind. Es sind Spiele, deren oft abstrahierte Spieler*innen-Interaktion mit Hilfe ihrer grafischen Präsentation nachvollziehbar gemacht werden. Manchen Spielen gelingt das natürlich besser als anderen. Aber die Hauptaufgabe eines Brettspiel-Themas liegt darin das Abstrakte greifbar zu machen. So wie auch Videospielgrafik aus repetitivem Knöpfchen-drücken ein spielerisches Erlebnis schafft. Diese Spielerlebnisse mögen dabei ähnliche Metaphern nutzen, aber sie bleiben im Kern doch grundverschieden.
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