Im Dezember 2012 ging eine Ära zu Ende und wir haben nicht darüber gesprochen. Zu unserer Verteidigung: Generell war die Reaktion der Spieleszene ein kollektives Achselzucken. Was war (nicht?) passiert? Die Edition Spielbox wurde in der Spiel-im-Heft-Form eingestellt. Seitdem beschränkt sich die Spielbox in diesem Segment auf Goodies und Mini-Erweiterungen. Das ist verständlich: Ein Goodie ist mittlerweile eher ein Grund sich eine Zeitschrift anzuschaffen als noch ein weiteres Spiel, das man nicht spielt.
Ginge es nicht um die Spielbox, würde man bei „Spiel im Heft“ an die unsäglichen Roll&Moves denken, Laufpfade mit Ereignissfeldern, wie sie z.T. immer noch als Gag zu bestimmten Ereignissen, etwa eine Wahl oder Fussballmeisterschaft in anderen Medien erscheinen. Doch als Fachzeitschrift hatte man durchaus einen Ruf zu verlieren: Namhafte Autoren wie Günter Cornett, Karl-Heinz Schmiel, aber auch Sid Sackson oder Alex Randolph hatten Spiele im Heft, die u.a. von Franz Vohwinkel , Doris Mattthäus oder Christoph Tisch gestaltet wurden. Besonders einer war aber aktiv: Reiner Knizia zeichnete sich für praktisch alle Spiele der
ersten Hälfte der 90er Jahre verantwortlich. Liest man sich die Liste der Spiele durch (was nicht einfach ist, denn eine vollständige Liste konnte ich tatsächlich nirgendwo finden (diese hier geht bis 2003) – bei BGG kann man aber immerhin die Spiele sehen, wenn man die Goodies rausfilter) ist man ob der Spieleprominenz
überrascht. Warum sind diese Spiele so wenig bekannt?
Natürlich gab es starke Einschränkungen im Material: Nach dem der Merz-Verlag die Spielbox übernahm bestand das Spiel im Heft auf einem Spielplan und Regeln, weiteres Material musste man selbst stellen (Es gab gelegentliche Ausnahmen, so gab es für Martin Wallace Spieletriologie einen Stanzbogen mit Countern, die man für alle drei Teile verwenden konnte). Beim Nostheide-Verlag Anfang der 90er waren noch Karten erlaubt, ob das vor der Verbreitung von Copyshops und Laminiergeräten sinnvoll war, sei dahingestellt. Diese Materialenschränkung sorgte natürlich für eine hohe Anzahl an abstrakten Zweipersonenspielen, da überrascht es mich doch, wie viele Mehrpersonenspielen in dieser Reihe erschienen sind. Qualitativ waren die Spiel ordentlich, meistens solide Hausmannskost, auch wenn es durchaus einige Ausreißer nach oben gab. Das zum Spiel des Jahres nominierte Just 4 Fun basierte etwa auf einem Spiel im Heft („Mach 4“). Dass diese Spiele letztlich immer weniger gespielt wurden, hatte vermutlich mehrere Gründe: Einmal ist der Aufwand, sich das Material für ein nettes, kurzes Spiel (die meisten Spiele waren für eine halbe Stunde oder weniger angelegt) zusammenzusuchen zu müssen etwas hoch. Zumal die Regel „Aus den Augen aus den Sinn“ gilt: Eine Spielschachtel fällt eher ins Auge als eine dünne Heftbeilage. Vor allem aber stieg die Anzahl der verfügbaren Spiele enorm: Einerseits die Anzahl der verfügbaren „kommerziellen“ Spiele, also Spiele die im Handel erschienen sind, aber auch die Spiele, die für wenig oder gar kein Geld im Internet zu besorgen waren. Wenn ich schon ein Spiel spiele, das ich vorher basteln und für das ich Spielsteine zusammensuchen muss, dann doch lieber gleich ein Spiel, dass mich auch interessiert. Also eines, das ich gezielt herunterlade, weil mich Autor:in, Thema oder Mechanismus reizen. Print&Plays haben dann auch nicht mehr die Materialbeschränkung sondern können fröhlich Karten, Counter oder Wertungsblöcke enthalten. Spiele im Heft können da nicht mithalten. Auch heute noch würde ich vor die Wahl gestellt lieber die ungespielten Spiele in meinem Pile of opportunity spielen, als den Ordner mit den Spielen-im-Heft durchgehen. Letzteres reizt halt eher aus historischem Interesse, denn weil ich denke, dass dort die Mega-Kleinode liegen würden (aber wer weiß….).
Was für die Spiele im Heft gilt, gilt mit etwas Einschränkungen auch für Spielebücher. Heutzutage ist es schwer vortsellbar, welche Rolle Spielbücher bis in die 80er Jahre gehabt haben. Ohne Internet waren Bücher eine der wenigen Quellen Spiele zu lernen, die niemand im eigenen Umfeld kannte. Bücher wie „Das große Hausbuch der Spiele“ erklärten Spiele wie Scharade,Sackhüpfen oder Wer bin ich? Wollte man neue Kartenspiele kennen lernen oder nochmal nachlesen wie genau bei Canasta gezählt wird oder mit wie vielen Karten Doppelkopf gespielt wird (Antwort: Das weiß keiner), gab es nur die Möglichkeit, in entsprechenden Nachschlagewerken nachzusehen. Heutzutage gibt es zwar immer noch Sammlungen von Würfelspielen, aber vor allem auf den Grabbeltischen der Thalias und Weltbilds; Bücher in denen „600 Würfel- und Kartenspiele“ beschrieben sind mit dem Internet schließlich ziemlich obsolet geworden. Wer ein Spiel sucht, wird es auch online finden und zwar schneller, als in einem Buch und kann zudem gleich Regelunklarheiten abklären. Zumal die Wahrscheinlichkeit, dass man unter den 600 beschriebenen Spielen auf ein unbekanntes trifft, das man jetzt aber wirklich unbedingt ausprobieren will, eher gering ausfällt.
Vor allem aber bietet das Internet auch Spieleschaffenden eine breitere Plattform. Sid Sackson hatte noch eine Reihe von Büchern herausgebracht, in denen er eine Reihe neuartiger Spiele beschrieb (einige davon sind später in kommerzieller Form erschienen), auch Robert Abbott und natürlich Reiner Knizia haben Spielebücher geschrieben. Das Buch Spiele zur Schatzinsel von Reinhold Wittig gilt als Klassiker (auch weil dort besonders viele Spiele beschrieben waren, die später als „Schachtelspiel“ zu kaufen waren). Auch wenn gelegentlich noch Spielebücher auf Kickstarter erscheinen: Die große Ära ist vorbei. Wer ein kleines Spiel erfindet, dass er mit der Welt teilen möchte, stellt es ins Internet, nicht in ein Buch.
Der einzige Bereich, wo das Genre lebt ist der Bereich der Jugend- und Kindergruppen. Hier gibt es noch zahlreiche Spiele mit mehr oder minder pädagogischen Anspruch für mehr oder minder große Gruppen. Auch diese Spiele findet man in großer Zahl im Internet, aber gebündelt als Buch sind die von entsprechenden Einrichtungen durchaus gefragt. Herder Spiele, in unserer Blase vor allem durch die kooperativen Spiele der 70 bis 90er Jahre bekannt, ist hier z.B. immer noch aktiv.
Immer wenn ich mich mit Spielen dieser Art beschäftige, werde ich ein bisschen wehmütig und denke: Jetzt musst du doch auch einmal ein paar Spiele aus den Tiefen deines Bücherregales ausprobieren, vielleicht findet man ja doch die Perle, auf die man immer hofft. Doch ich weiß auch: Aus den Augen, aus dem Sinn. Eigentlich schade.
ciao
peer
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