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Die Tücken mit dem Tutorial

Eine Hürde, die gerade Vielspieler*innen mit zunehmender Erfahrung aus den Augen verlieren, ist der Einstieg in ein neues Spiel. Mit ausreichend Übung lassen sich die meisten neu erscheinenden Spiele innerhalb eines Abends oft erschließen. Besonders hartnäckige Fälle brauchen schon mal zwei, aber nicht viel mehr. Hat man diese Erfahrungen nicht, ist man darauf angewiesen, dass die Spielanleitung den Weg in das Spielerlebnis ebnet und vereinfacht. Eine Methode dafür lautet: ein Tutorial anbieten.

Wenn es um Spiele geht, versteht man darunter meist einen begleitenden Einstieg in das Spiel selbst. Dabei orientieren sich Tutorials oft am vermeintlichen Gespräch, welches man sich zwischen Erklärende*r und Neuling vorstellt. Entsprechend wird man in Tutorials oft direkt angesprochen (und umgeht zur Freude vieler Redaktionen damit geschickt die Gender-Frage).

Die Idee leuchtet ein. Ein Tutorial erklärt ein Spiel beim Spielen und man kann Erkenntnisse aus dem ableiten was vor einem geschieht. Theoretisch ist das auch zielführend. Aber theoretisch gibt es auch keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis.

Das Tutorial in Earthborne Rangers zeigt dabei die erste Schwierigkeit des Ansatzes auf. Hier beginnt das Tutorial mit der Einschränkung, dass eine Person am Tisch die Regeln bereits gelesen haben sollte. Das stellt natürlich den Anspruch auf den Kopf, das Spiel mit Hilfe des Tutorials zu erlernen; wenn dafür erst eine andere Person das Spiel bereits erlernt haben muss.

Diese Person ist gerade deshalb notwendig, da sie Zusammenhänge erläutern kann und so das Spielverständnis festigt. Was jedoch noch wichtiger ist – und das wird im offiziellen Vorstellungsvideo von Earthborne Rangers deutlich – es braucht eine Person, die Irrtümer und falsche Schlüsse korrigiert. Es ist nicht genug die Form eines begleitenden Einstiegs in das Spiel zu imitieren. Neue Spieler*innen benötigen auch die Bestätigung, ob sie bestimmte Inhalte richtig erfasst haben.

Aber einem Video kann man keine Fragen stellen. Manche Textanleitungen beinhalten stattdessen ein paar Seiten mit einem FAQ (frequently asked questions – häufig gestellte Fragen). Ein Indiz, dass hier zumindest mitgedacht wurde. Ein anderer Ansatz besteht darin Regelbeispiele zu wählen, in denen möglichst viele Sonderfälle und potentielle Regelkonflikte abgedeckt werden. Das scheint mir ein oft riskanter Weg zu sein, da nicht alle Anleitungen dem gleichen Modell folgen. Lernende geraten schnell in Versuchung ein Beispiel zu interpretieren, um Regelerläuterung daraus abzuleiten. Das ist ein Problem, da Interpretationen generell fehleranfällig sind.
Dennoch ist dieser Reflex unvermeidlich. Lernende beginnen in dem Moment Beispiele oder auch Regeln zu interpretieren, wenn es zu viele Leerstellen oder unspezifische Aussagen darin gibt. Entsprechend ist der Aufruf eines (in der Szene sehr hoch angesehenen) Designers, die Regeln nicht zu interpretieren, sondern nur auszuführen, ein zutiefst ignoranter Appell an die Spielenden.

Eine Regelinterpretation geht immer auf einen unklaren Textinhalt zurück. Sie ist schwer zu vermeiden, da nie zu 100% sicher gestellt werden kann, was eine Spielgruppe sofort begreift und womit sie Schwierigkeiten haben wird. Eine Anekdote, die in meinem Umfeld die Runde macht, erzählt von einer Spielgruppe, die ein Spiel umtauschte, weil die in der Anleitung erwähnten Siegpunkte, welche man im Laufe des Spiels erhalten kann, dem Spiel nicht beilagen. Die Interpretation der Spielgruppe war offensichtlich, dass es sich bei diesen Siegpunkten um Spielmaterial handeln musste.

Aufbau ist nicht selbsterklärend

Offensichtlich ist es absurd zu versuchen jedes vorstellbare Missverständnis in einer Anleitung abfangen zu wollen. Man kommt nie zu einem Ende, wenn man sämtliche Dinge ausdrücklich beschreibt, die man selbst als selbstverständlich sieht. „Legt das Spielbrett in die Mitte des Spieltisches, so dass alle es gut erreichen können.“ ist in seiner Aussage derart banal, dass die Annahme es ausschreiben zu müssen beinahe beleidigend ist. Andererseits gibt es auch gestandene Kritiker, die einem Spiel schwere redaktionelle Mängel vorwerfen, weil das Entfernen gesetzter Spielsteine zu Beginn einer neuen Runde nicht ausdrücklich in der Anleitung steht. Die Grenze des Selbstverständlichen ist selten klar erkennbar.

Beim Schreiben eines Tutorials rücken derartige Abwägungen in den Mittelpunkt. Dabei geht es weniger darum was Lesende bereits wissen, sondern ob klar ist wo sie mögliche Wissenslücken füllen können. Gibt es spiel-spezifische Fachbegriffe, die zum Beispiel in einem Glossar in einfacher Sprache erklärt werden? Gibt es Illustrationen in denen Spielaufbau oder bestimmte Spielsituationen nachgestellt werden können? Vor allem, ist den Spielenden klar welche Kriterien sie in bestimmten Entscheidungsmomenten einbeziehen sollen?

Als positives Beispiel sei hier das Playbook von Cuba Libre genannt. Darin werden die ersten Runden einer Partie mit vier Personen festgehalten. Die Entscheidungen der Spieler*innen werden oft in „eigenen Worten“ erklärt. Zusätzlich haben auch die Designer vereinzelt Kommentare hinzugegeben. Das hilft Lernenden zu ermitteln aus welcher Perspektive sie das Spiel betrachten sollen. Es wird gezeigt, dass man als Spieler*in sowohl die Auswirkungen auf die eigenen Situation betrachten soll, aber auch die Einschränkungen und Möglichkeiten, welche man anderen Spielern eröffnet. Für erfahrene Spieler*innen mag das eine Selbstverständlichkeit sein. Aber es gelingt so bereits beim Erlernen des Spiels zu umreißen, dass der Fokus nicht nur auf den eigenen Fortschritt, sondern auch auf die (oft unliebsam hilfreiche) Auswirkung auf die Konkurrenz liegt.

Das Tutorial in diesem Spiel ist auch dahingehend klug entwickelt, da es die Abläufe immer wieder unterbricht, um auf bestimmte Regelpassagen im zweiten Regelheft zu verweisen. So wird man gebeten, die Regelgrundlage für eine bestimmte Aktion zu lesen, bevor man sich weiter mit dem Spielverlauf beschäftigt. Diese Unterbrechungen sind zwar ungewohnt, aber helfen beim Erlernen des Spiels, da sie so Regeln und Anwendung in einen direkten Zusammenhang stellen. Es ist ein Kniff, der übrigens auch beim Erklären am Spieltisch sehr zu empfehlen ist.

Der eigentliche Grund weshalb dieses Tutorial größtenteils funktioniert, und viele andere es nicht tun, ist die direkte Aufforderung an die Lesenden die Spielsituation am Tisch nachzustellen. Das heißt, das Spiel aufzubauen, um die Züge nachzuvollziehen. Allerdings ist dieser Ansatz kein Allheilmittel für die Hürden eines Brettspiel-Tutorials. Im Mittelpunkt eines jeden Spiels steht immer das Versprechen der aktiven Teilnahme am Spielgeschehen. Ein Spiel zu spielen, heißt selbst Entscheidungen zu fällen und auf den Spielverlauf Einfluss zu nehmen. Ein Brettspiel zu spielen bedeutet zusätzlich auf ein konkretes, mehr oder minder selbst gewähltes Ziel hinzusteuern.

Ein begleitender Einstieg kann hier zünden

Ein Tutorial läuft beiden Ansätzen zuwider. Statt einer aktiven Teilnahme, ist man lediglich ausführender Arm eines vorgegebenen Spielablaufs. Statt ein Ziel zu wählen und es zu verfolgen, müssen wir Entscheidungen anderer imitieren. Kurz gesagt: wenn Spiele von „eigenen Entscheidungen“ leben, so werden sie uns im Tutorial vorenthalten. Das führt unweigerlich zu Frust. Man hat sich zum Spielen zusammengefunden hat und muss dann doch passiv bleiben. Übrigens ist das auch der Grund, weshalb der Satz „Lasst uns einfach mal los spielen“ Menschen so leicht über die Lippen kommt. Man will aus dem Nichtstun ausbrechen.

Ein Tutorial muss nun versuchen eben diese Gegensätze zusammenzubringen. Auf der einen Seite müssen Regeln und Abläufe deutlich genug vermittelt werden, während Spieler*innen gleichzeitig aktiv am Geschehen beteiligt sind. Ganz einfach also.

Obwohl das Tutorial als Einstieg in das Spiel seine Probleme hat, scheint es mir dennoch der richtige Weg zu sein, um Spiele zugänglicher zu machen. Es ist näher am tatsächlichen Spielgeschehen als das Lesen kontextfreier Regeln. Ironischerweise ist das vorhin gelobte Cuba Libre – und einige andere Spiele des Verlags – hier auch das warnende Gegenbeispiel. Das Regelheft besteht aus einer nummerierten Liste einzelner Regeln. Das Erlernen des Spiels ist hier in etwa so einladend (und einfach) wie es das Erlernen gesetzlicher Vorgaben zur Einrichtung einer Bezirksverwaltung ist. Die Gruppe der Vielspieler*innen hat sich mit den Tücken und Schwierigkeiten ein neues Spiel zu lernen oftmals schon arrangiert. Aber gerade für neue Spieler*innen sollte man versuchen weiter an Tutorials zu feilen.

In Ermangelung guter Tutorials sind viele Spiele darauf angewiesen von fähigen Erklärer*innen der Spielgruppe vorgestellt zu werden. Eine schlechte, verwirrende oder auch einfach nur falsch aufgezogene Einführung in ein Spiel kann das Spielerlebnis schon verdammen, bevor die erste Entscheidung überhaupt getroffen wurde. So bleibt es mehr oder weniger den Erklärer*innen überlassen aus dem vorhandenen Regelheft ein auf die eigenen Gruppe abgestimmtes Tutorial zu entwerfen. Vielleicht war der Ansatz den Earthborne Rangers hatte dann doch nicht ganz verkehrt.

Georgios Panagiotidis
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