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Brettspiele als angewandte Kreativität

Spiele sind ein weit gefasster Begriff und darunter tummeln sich viele unterschiedliche Ausprägungen. Es gibt Kartenspiele, Brettspiele, Videospiele, Rollenspiele und so weiter und so fort. In den meisten Fällen kann man sie recht einfach von einander unterscheiden. Kaum jemand würde Mario Kart 8 eine Verwandtschaft mit Kartenspielen unterstellen. Bei Catan würde das Tauschen, Würfeln und Spielsteine auf das Brett legen, nicht unbedingt Videospiele als erste Assoziation wecken.

Erst wenn Designer versuchen die Eigenheiten der jeweiligen Spielart auf ein anderes Medium zu übertragen, z.B. bei Gloomhaven oder Slay the Spire, wird klar, dass es einige grundlegende Unterschiede gibt, wie Spiele in ihren jeweiligen Umsetzungen funktionieren. Man kann sie zwar nachstellen, aber die archetypischen Karten-, Brett- oder Videospiele besitzen keine deutlichen Überschneidungen.

Bis man anfängt über Rollenspiele zu reden. Hier wird die Sache sehr viel interessanter. Denn Rollenspiele – die sich irgendwie aus einer Verschmelzung von Wargames, Schauspiel und kinderartigen Träumereien ergeben haben – wirken irgendwie überall ein wenig ein.

Im Videospiel ist dieses Wirken deutlich, wenn auch verschachtelt. Das moderne Videospiel-RPG wächst hier aus zwei maßgebliche Traditionen. Zum einen die japanischen Spielreihen wie z.B. Dragonquest und Final Fantasy und die Spielreihen aus den USA wie etwa Ultima, Wizardry und spätere Dungeons & Dragons-Lizenzen wie Baldur’s Gate. Diese beeinflussen sich gegenseitig und schaffen mit der Zeit eine eigene Ausprägung des Rollenspiels in seiner digitalen Form, welches dem Pen & Paper-Rollenspiel nur noch sehr rudimentär ähnelt. (Mir ist bewusst, dass ich hier Jahrzehnte lange Entwicklungen der Technologie, des Spieldesigns und des Marktes in einem kurzen Absatz abdecke. Man möge mir die Oberflächlichkeit der Darstellung nachsehen, da sie nur der Illustration dienen soll.)

Sprechen wir hingegen über Brettspiele, könnte man vermuten, dass sich der Einfluss des Rollenspiels in Form des Dungeoncrawlers umfassend nachzeichnen lässt. Aber hier würde ich widersprechen. Das Rollenspiel oder zumindest einige seiner formgebenden Eigenschaften finden sich im Brettspiel deutlicher wieder als der erste Blick vermuten lässt.

Rollenspiele – ein Nachbau

Dafür muss man sich anschauen was das Rollenspiel ausmacht und wo es sich mit dem Brettspiel überschneidet.

Das landläufige Bild von Rollenspielen ist stark geprägt von Dungeons & Dragons. Das bedeutet (bemalte) Miniaturen, Würfel mit mehr als sechs Seiten und Zettel voller Zahlen und Tabellen. Je stärker man sich von dieser Wargames-geprägten Präsentation löst, was schrittweise mit Spielen wie Das Schwarze Auge, Vampire und später Apocalypse World und seinen vielen Nachfolgern passiert, umso mehr verschiebt sich das Spielgeschehen ins Innere der Spieler*innen: ihre Vorstellung. (Auch hier gilt, diese Liste ist nur exemplarisch gedacht, sie ist weder umfassend noch nach Wichtigkeit gewählt.) Ob das Rollenspiel sich durch diese Verschiebung seiner Kernidee nähert oder sich davon entfernt, mögen bitte Leute entscheiden, die es interessiert.

Relevant scheint mir hier die Festellung zu sein, dass das Geschehen in den Köpfen der Teilnehmer*innen stattfindet und – was noch wichtiger ist – sich dort verändert. Das Rollenspiel ist ein inneres, individuelles Erlebnis, welches wir mit Hilfe von Sprache, Mimik und Gestik versuchen mit den anderen zu teilen. Dadurch entwickeln und verändern wir unsere Vorstellungen dessen was unseren Charakteren zukommt, wie ihre Umwelt damit umgeht usw usf. Schon öfters habe ich darum gehört wie Rollenspiele als verbale Spiele oder Konversationsspiele beschrieben wurden. Das halte ich zwar für reduktiv, aber es wird richtig erkannt, was der wichtigste Kommunikationskanal ist den wir für das gemeinsame Spielen nutzen. Mit Hilfe des Gesprächs gleichen wir unsere individuellen Vorstellungen an und bilden daraus ein gemeinsames Spielerlebnis. Wir reden miteinander, wenden gelegentlich einen Regelmechanismus an, und im Anschluss haben alle eine andere Vorstellung in ihrem Kopf als zuvor.

Betrachtet man Rollenspiele aus diesem Blickwinkel sind die Unterschiede zum Brettspiel schnell umrissen. Das Spiel findet hier auf dem Spieltisch statt. Wenn ein Regelmechanismus angewendet wird, verändert sich dadurch die Situation auf dem Spielbrett. Bei typischen Kommunikationsspielen oder Spielen mit vielen geheimen Informationen kann sich das anders äußern; aber jedes Spiel dessen Brett unverzichtbar ist, erfüllt diese Umschreibung.

Im Gegensatz dazu jedoch, gibt es einen Punkt an dem sich Brettspiele der Funktionsweise von Rollenspielen nähern: ihr Thema.

Wenn wir von einer thematischen Spielerfahrung sprechen, dann meinen wir damit das persönliche Spielerlebnis, die Empfindung und auch das „Kopfkino“ in dem Bilder und Szenen während des Spielens ablaufen. Wie im Rollenspiel auch, sind wir die Autoren unseres Spielerlebnis. Wir setzen es aus dem Input zusammen, der uns gegeben wird. In einer typischen Rollenspielrunde nehmen wir größtenteils die Äußerungen unserer Mitspieler*innen auf und fügen diese zu unserer Vorstellung der Spielwelt. In Brettspielen ist das Spielbrett die Grundlage für unsere Vorstellungswelt. Die thematische Wahrnehmung des Spielverlaufs konstruieren wir aus den Veränderungen, die andere auf dem Spielbrett bewirken.

Alles so schön bunt hier
Übersichtlichkeit, aber zu welchem Preis?

Die Angleichung unserer gemeinsamen Vorstellungswelt findet also nicht über das gesprochene Wort statt, sondern darüber dass der Spielzustand auf dem Spielbrett verändert wird. Wir verschieben, platzieren oder entfernen Spielsteine und setzen damit unseren geistigen Motor in Gang, diese Ereignisse in eine thematische Verkleidung zu übertragen. Je expliziter dabei das Angebot ist, umso einfacher ist die thematische Übersetzung. „Ich gehe mit meinem Käufer zum Markt und kaufe für $20 vier Säcke Weizen.“ braucht weniger kreative Leistung um thematisch übersetzt zu werden, als etwa „Ich setze meinen Stein auf das gelbe Feld und tausche zwei Münzen gegen vier gelbe Würfel.“

Die thematische Auskleidung einer Spielhandlung liegt am Ende in den Händen der Spieler*innen. Ich habe schon so manche Spielrunden erlebt, in denen Mitspieler*innen jegliches thematische Angebot an sich abprallen ließen und weiterhin von Münzen, Würfeln und Farben sprachen. Also von den Dingen, die sie real in den Händen hielten und auf dem Spielbrett sahen. Das mag manchmal Gründe haben. Das Vokabular eines Spiels ist nicht immer eingängig und eindeutig. Dadurch wird das thematische Spiel zu mehr Aufwand als Spielaufwertung.

Aber es kann auch daran liegen, dass eine abstrakte Sicht es einfacher macht taktisch und strategisch auf hohem Niveau zu spielen. Abstraktion läuft zwar dem thematischen Spiel zuwider, aber es kann oft dem Spielsieg dienlich sein.

Wenn man sich diese Verwandtschaft zwischen Rollenspielen und thematischen Brettspielen vor Augen hält, fällt es vielleicht einfacher sich thematische Spiele zu erschließen. Denn auch das Brettspiel lädt dazu ein Kreativität anzuwenden und so den eigenen Spielgenuss zu erhöhen. Der Reflex die Wortmeldung am Spieltisch in eine detailreiche Vorstellungswelt zu überführen, bietet das Fundament des Rollenspiels; aber sie erlaubt es uns auch das mechanische und abstrakte Brettspiel in ein intensives thematisches Erlebnis zu verwandeln. Zumindest wenn wir uns als Spieler*innen dafür entscheiden wollen.

Georgios Panagiotidis
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