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Was soll man über Puerto Rico sagen?

Puerto Rico erfährt eine Neuauflage. Die fünfte diesmal. Der Grund dafür ist der gleiche wegen dem Puerto Rico nach seiner ersten Auflage kritisiert wurde. Trotz oder vielleicht gerade wegen des sehr unterhaltsamen Regeldesigns ist das Thema untragbar.

Puerto Rico ist das Aushängeschild für die gedankenlose und nicht selten pietätlose Bezugnahme auf reale Geschichte in einem Spiel. Diese wenig ruhmreiche Umschreibung teilt es sich mit vielen anderen Spielen (Secret Hitler, Santa Maria, Mombasa, etc.). Aber Puerto Rico wird von Beobachtern außerhalb der Szene deshalb genannt, weil es innerhalb der Szene weit verbreitet ist und weiterhin ein gewisses Ansehen genießt. Es sollte nicht verwundern, dass man Puerto Rico vielleicht für ein Symptom eines größeren, tieferliegenden Problems vermutet.

Das Spielgeschehen verortet die Spieler als Plantagenbesitzer auf Puerto Rico, zu einer Zeit in der Sklaverei ein Mittel von vielen war, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben. Der Umgang mit eben diesem Elefanten im Raum (oder Kuhfladen auf dem Sonntagstisch, für unsere ländlichen Leser) ist der große Makel des Spiels.

Man kann das Thema bei Puerto Rico nicht kommentarlos hinnehmen. Das hat auch die Redaktion bei Ravensburger bzw. Alea eingesehen und steuert darum erneut nach. Die neuste Version von Puerto Rico trägt den Untertitel 1897 und bringt weitere Änderungen mit sich. Die Absicht dahinter ist richtig und lobenswert. Es ist legitim aus Puerto Rico ein Spiel machen zu wollen, welches man auf den Tisch legen kann ohne beteuern zu müssen, dass es trotz seines Themas wirklich, wirklich Spaß macht. Es ist auch völlig richtig ein Spiel daraus machen zu wollen, welches man auch dann genießen kann, wenn man ansatzweise etwas über die Geschichte europäischer Kolonialmächte weiß. Ignoranz ist keine gute Vorbedingung für Spielfreude.

Zu diesem Zweck wurden kulturelle Berater wie auch Künstler mit Wurzeln in Puerto Rico hinzugezogen. Das ist richtig und gut, allerdings deutet das in meinen Augen auf ein oberflächliches Verständnis des eigentlichen Problems hin. In den Diskussionen um angemessene Themen scheint mir eine aufrichtige, leidenschaftliche aber nicht sehr tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Konzept „Thema des Spiels“ vorzuliegen. Diese fußt in meinen Augen auf einer unzutreffenden Überzeugung was ein Thema tatsächlich leistet, wie es auf das Spielerlebnis wirkt und welche Eigenschaften es ausdrücklich nicht besitzt, wenn man ein Spiel auf den Tisch legt und spielt.

Kendo (1989) von Ravensburger

Ein Thema ist keine Narrative. Ein Thema ist auch kein Statement. Es ist keine Weltanschauung, die durch das Spiel verbreitet wird. Ein Thema ist in erster und auch letzter Instanz eine Projektionsfläche für Spieler*innen. Wenn es um Spiele geht, besitzt der Begriff „Projektionsfläche“ jedoch eine wichtige Besonderheit auf die ich eingehen möchte.

Um ein Thema zu schaffen, arbeiten Spiele mit Bildern. Nicht im übertragenen oder metaphorischen Sinne, sondern wortwörtlich. Es werden Zeichner, Illustratoren und Grafiker dafür bezahlt Bilder zu schaffen, welche die visuelle Identität und zu großen Teilen auch das Thema des Spiels ausmachen. Jenseits einfacher Fragen der Gefälligkeit („Ist das schön oder ist das hässlich?“) haben diese Bilder auch eine spieltechnische Relevanz. Sie dienen als Erinnerungshilfe um Spielregeln präsent zu halten. Wenn Vielspieler anmerken, dass das Thema nach einigen Partien verschwindet, dann belegen sie damit nur, dass die Bilder dafür gesorgt haben, dass die Regeln im Kopf gefestigt sind und diese Erinnerungshilfe nicht mehr benötigt wird. Darüber sind diese Bilder eine Bereicherung des Spielerlebnis und laden ein mit Hilfe der eigenen Vorstellungskraft den Spielhandlungen mehr Substanz zu verleihen.

Das Wichtigste ist an dieser Stelle jedoch, was diese Bilder nicht sind: eine Narrative. Der geneigte Kulturwissenschaftler mag an dieser Stelle ein Gesicht ziehen als wäre der monatliche Elternbesuch lautstark von der körperlichen Ertüchtigung des frisch verliebten Nachbarpärchen unterbrochen worden. Aber die Bilder in einem Spiel sind keine Narrative. Sie können Teil einer Narrative sein (oder auch mehrerer gleichzeitig), aber sie stellen für sich genommen keine Narrative dar. *

Ein Bild ist erst mal nur ein Bild. Das Bild eines Schiffs ist nur ein Bild eines Schiffs. So wie das Bild einer Plantage erst mal nur ein Bild einer Plantage ist. Erst wenn wir anfangen diese beiden Bilder in ihrem Umfeld wahrzunehmen, wird ihnen eine weitere Bedeutung verliehen. Ein Schiffsbild, mit dem man Spielsteine („Arbeiter“) zu einem Plantagenbild bringt, hat eine ganz andere Bedeutung als die beiden Bilder für sich allein genommen. Was bzw. wie viel man um das Bild herum selbst wahrnimmt, macht hier den Unterschied. Um die Wirkung und Funktion eines Themas zu betrachten, liegt es nahe zu schauen was um das Thema herum zu finden ist: das restliche Spiel. Allen voran sein Regelwerk.

Wir begreifen die Bilder des Spiels im Bezug auf die Spielregeln. Sie stecken den Rahmen ab und laden die Bilder dadurch mit Bedeutung auf. Die Regeln führen dazu, dass wir Begriffen, Bildern aber auch Personen des Spiels wahlweise positiv oder negativ gegenüber stehen.

Dieses Zusammenspiel lässt sich am einfachsten als Fiktion beschreiben. Es sind Zusammenhänge, die für das Medium erfunden wurden und auch nur innerhalb dieses Mediums gültig sind. Der Mann mit dem grauen Bart und dem leuchtenden Stab im Herr der Ringe-Film ist „Gandalf“ und nicht Sir Ian McKellen in Make-Up und Kostüm. Auch wenn wir alle wissen, dass es in Wirklichkeit Sir Ian McKellen in Make-Up und Kostüm ist. Innerhalb des Films ist es Gandalf. Sobald der Film vorbei ist; ist es Sir Ian McKellen. So lange wir wissen, dass Herr der Ringe kein Dokumentarfilm ist, können wir Realität von Fiktion unterscheiden.

Das Thema eines Spiels beschreibt die Bestandteile aus denen sich die Fiktion des Spiels zusammensetzt. Es sind die Bilder, Begriffe und gelegentlich auch Personen, denen das Regelwerk Funktionen und Eigenschaften zuweist. Im Rahmen unseres Spielerlebnis verknüpfen wir diese mit positiven, negativen oder auch neutralen Empfindungen.

1001 (2016) von Tiki Editions

Ein Narrativ entsteht daraus erst, wenn das Thema mit einer Handlung verbunden wird. Auch dieser Punkt sollte recht offensichtlich sein. Ein Medium erschafft seine Narrative erst, wenn es seine Funktion als Medium ausübt. Die Narrative eines Spiels entfaltet sich darum aus der Spielhandlung, d.h. dem Zusammenwirken zwischen Thema, Regeln und Spieler*innen.

Das Thema eines Spiels ist nicht deshalb Projektionsfläche, weil es „leer“ oder „unbeschrieben“ ist. Es ist eine Projektionsfläche, weil die Spieler*innen erst durch ihr Verhalten und ihrer Wahrnehmung des Kontext, das Thema des Spiels mit Bedeutung aufladen und eine Narrative schaffen. Es ist eine vorbereitete Projektionsfläche, die manche Narrativen stärker in den Vordergrund stellt als andere.

Wenn man sich also mit den Problemen beschäftigen will, die sich durch das Thema eines Spiels ergeben, dann muss man sich die Narrativen anschauen, welche im Spiel entstehen können. Darum hat die farbliche Veränderung der Holzscheiben in Puerto Rico nichts am Narrativ geändert. Darum wird auch eine präzisere Abbildung historischer Umstände meiner Meinung nach kaum zu einer Rehabilitierung des Spiels beitragen. Es sind die Spieler*innen selbst, die den Kontext setzen in dem sie das Spiel wahrnehmen und ein Narrativ aus dem Thema erschaffen, das ihnen das Spiel anbietet.

Das ist in meinen Augen das zentrale Missverständnis in den Diskussionen um angemessene und zumutbare Themen in Spielen: die Narrative eines Spiels wird nicht von Spielenden gedeutet, sondern von ihnen aktiv aus den vorhandenen Bestandteilen des Spiels geformt.

Die Rehabilitierung eines Spiels wie Puerto Rico erreicht man daher nicht allein dadurch, dass man die historischen Verweise präzisiert, die grafischen Elemente mit kulturellen Beratern abspricht oder dem Spiel erklärende Begleittexte beilegt, welche die geschichtliche Hintergründe erläutern. Vielmehr müssen die potentiellen Narrativen, die Spieler*innen aus dem Spiel formen können geprüft und überlegt werden. Die bildliche Darstellung und die Bezugnahme auf die Geschichte des echten Puerto Rico sind dabei nur ein Teil dieser Arbeit. Das Regelwerk muss hier genauso in Betracht gezogen werden, wie auch die Perspektive und der Kontext in dem Spieler*innen das Spiel wahrnehmen.

Auf Thema und Regelwerk kann ein Verlag direkt wirken; aber die Perspektive aus der Spielgruppen Puerto Rico betrachten, ist um einiges schwieriger zu beeinflussen. Für manche wird Puerto Rico darum auch immer ein Spiel sein in dem man sich mit Hilfe der Sklaverei bereichert. Es bleibt abzusehen ob Puerto Rico 1897 eine Narrative anbieten kann, die naheliegender und offensichtlicher ist als diese.


* – Wenn man im kulturwissenschaftlichen Kontext von Narrativen spricht sind damit nicht nur einfache Geschichten gemeint, sondern auch Ideen und Konzepte, mit denen wir unser Verständnis von Gesellschaft, Normen und Werten begründen. Einzelne Bilder in Spielen als Ausdruck solcher Narrativen zu bezeichnen ist schwer beweis- oder widerlegbar. Es ist vor allem vorstellbar.<
Die Narrative eines Spiels lässt sich aber für sich betrachten und bewerten. Sie lässt sich auch aus verschiedenen Perspektiven einordnen. Natürlich sind Spiele immer Produkte größerer Paradigmen, Narrativen und kultureller Diskurse. Aber ein Spiel ist auch dann noch eine sorgfältige Analyse und Beurteilung wert, wenn es keine Frage höherer Größenordnung gibt, die man an das Spiel stellt.
Um den Vergleich mit etablierten Kulturformen zu wählen: jeder Film lässt sich z.B. als Teil eines größeren Umgangs mit Fragen von Geschlechteridentitäten betrachten. Aber nicht jeder Film muss in ein umfassenderes kulturwissenschaftliches Flechtwerk eingeordnet werden, um kulturell beurteilt werden zu können. Ein Film hat auch für sich allein betrachtet genug Substanz um analysiert und beurteilt zu werden. Das gleiche gilt auch für ein Spiel.
Wir müssen nicht über große gesellschaftliche Fragen sprechen, bevor wir Spiele als Kulturobjekte ernst nehmen und auch kritisieren können. Diese Fragen sind wertvoll, weil sie unser Verständnis ergänzen und unsere Auseinandersetzung mit den Inhalten des Spiels vertiefen. Sie sind aber nicht der Kern einer kritischen Auseinandersetzung mit einem Spiel.

Georgios Panagiotidis
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