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Das ist der Weg

Immer wieder kommt in der Szene die Frage auf, wie man sich am Tisch richtig zu verhalten habe. Sei es, wie und ob man noch weiterspielt, wenn man bereits weiß, dass man das Spiel nicht gewinnen kann. Oder welche Züge nicht im Sinne des Spiels sind, auch wenn sie von den Regeln erlaubt sind. Oder viele andere Ansätze, die fragen wie man sich beim Spielen korrekt verhält. Darf ich die geheimen Pläne anderer hinausposaunen, um sie angreifbar zu machen? Darf ich mich über nicht optimale Züge anderer lustig machen? Darf ich meinen Unmut darüber laut äußern, dass ich in meinem Zug immer Pech hatte und das ich es blöd finde, wenn alle „gegen mich“ spielen? Usw. usf. Was davon ist erlaubt? Was geht zu weit? Wo zieht man die Grenze?

Eine Idee, um damit umzugehen, wäre einen groben Abriss über die richtigen Verhaltens- bzw. Benimmregeln (für dieses Spiel) ins Regelheft zu setzen. Manche Spiele machen das in einzelnen Sonderfällen, z.B. wenn es um die Geheimhaltung von Informationen geht. Viele Spiele mit Deduktionselement schreiben vor, dass man nicht alles preisgeben darf (oder soll), was man im Laufe des Spiels in Erfahrung bringt. Hanabi deutet an, dass Kommunikation begrenzt ist. The Mind untersagt jede systematische Kommunikation prinzipiell.

Aber wie würden vergleichbare Regeln in Verhandlungsspielen aussehen? Wie steht es um Spiele, in denen man kurzfristige Allianzen eingeht? Wie formuliert man solche Regeln in vollständig kooperativen Spielen?

Wie man sich die „richtigen“ Regeln für solche Spiele vorstellt, ist dabei gar nicht so wichtig. Der eigentlich Gewinn eines solchen Ansatz ergibt sich daraus, dass man Spiele sofort in den Rahmen der sozialen Interaktion setzen würde. Wie wir das Spiel spielen, würde nicht nur die Spielmechanismen, sondern auch den Umgang untereinander einbeziehen. Anders gesagt, man könnte nicht mehr die Augen davor verschließen, dass wir auch im Spiel den gleichen sozialen Dynamiken und Zwängen unterliegen, wie wir es in anderen Formen der Interaktion tun. Wir müssten anfangen auf die Dinge zu achten, die wir auch in anderen sozialen Räumen berücksichtigen.

Für manche ist das natürlich ein Problem. Es gibt noch immer viele Menschen, die den Eskapismus im Spiel vor allem als Flucht vor den Folgen des eigenen Verhaltens verstehen. Die Vorstellung hält sich hartnäckig, dass wir im Spiel einen von Konsequenzen befreiten Raum haben und dass unser Tun nur bis zum Ende des Spiels nachwirken darf. Nicht weiter.

Die Folge ist eine gewisse Gedankenlosigkeit, die sich am Spieltisch etabliert hat. Oft zieht man sich auf die Regeln zurück („das ist erlaubt, also darfst du dich nicht beschweren“) oder auf die Art des Spiels („wir spielen gegeneinander also muss ich mich nicht drum scheren welche Folgen mein Verhalten auf dich hat“). Diese akzeptierte Gedankenlosigkeit trägt womöglich dazu bei, dass Brettspiele den Ruf haben einen bestimmten Typ Menschen anzuziehen.

Bestenfalls bilden sich vereinzelt Enklaven von Spielenden, die diesem Typ nicht entsprechen. Diese entdecken dann erst im Spiel mit anderen Gruppen oder in öffentlichen Räumen wie unwirsch und eben gedankenlos andere spielen. Es entsteht eine zunehmende Zersplitterung der Spielgemeinschaft, die sich selbst als normale Spieler und die anderen als Randgruppe verstehen. Seien es nun die „toxisch kompetitiven“ auf der einen Seite oder die „weichgespülten Wohlfühlspieler“ auf der anderen. Richtiges und „echtes“ Spielen ist das was wir machen. Die anderen da sind komisch.

Würde man Verhaltens- und Benimmregeln in einem Regelheft einführen, würde damit zumindest deutlich werden, dass es hier weder allgemeingültige Normen gibt, noch dass dieser Rahmen eine Nebensächlichkeit ist, die mal mehr und mal weniger Auswirkungen auf das Spiel hat. Statt ein positives Spielerlebnis davon abhängig machen zu müssen, dass man „die richtige Gruppe dafür“ hat; könnte man darüber sprechen welche Form der persönlichen Interaktion man diesem Spiel zu Grunde legen muss.

Das Problem an solchen Verhaltens- und Benimmregeln drückt sich aber auch im Namen selbst aus. Es sind Regeln, die unser Verhalten und unsere persönliche Interaktion eingrenzen. Es sind Regeln, die es zu beachten und im Kopf zu halten gilt, während man parallel dazu auch die Spielmechanismen effizient anzuwenden versucht. Für manche mag es zu einer Umstellung führen, das gemeinsame Spielen plötzlich unter Achtung und Beachtung der Gemeinschaft zu betreiben.

Aber Regeln eröffnen auch immer die Möglichkeit Verantwortung abzugeben. Sie erlauben es die Folgen das eigenen Verhaltens nicht weiter abwägen zu müssen, sondern auf das blinde Ausführen externer Anweisungen zurückzufallen. Das ist sowohl eine Funktion von Regeln wie auch der Grund weshalb manche Menschen sie zu schätzen wissen. Sie können Klarheit schaffen, wenn Unsicherheit besteht. Es gibt Situationen in denen das helfen kann. Aber manchmal ist gerade die Auseinandersetzung mit unserer Unsicherheit so wichtig. Insbesondere Vielspieler*innen sollten das nur zu gut kennen.

Die wichtigste und vermutlich wertvollste Funktion derartiger Verhaltens- und Benimmregeln ist das Aufzeigen von Grenzen. Dieses geschieht in der Hoffnung, dass Teilnehmende diese Grenzen wahrnehmen und berücksichtigen. Ob das Erfolg haben wird, wage ich nicht zu beurteilen. Im schlimmsten Fall wecken diese Regeln Trotzreaktionen, die versuchen Lücken aufzuweisen oder sie durch penible Auslegung ad absurdum zu führen. Solche Regeln zeigen aber zumindest, dass sich Menschen Gedanken darüber gemacht haben was es bedeutet, das Spiel als sozialen Raum zu verstehen. Es ist ein Signal, das für die Menschen außerhalb der Szene vielleicht wichtiger ist, als für jene, die bereits mittendrin stehen.

Letztendlich muss das Ziel lauten ein Bewusstsein für die zwischenmenschlichen Aspekte des Spielerlebnis zu besitzen. Wir brauchen meistens keine derartigen Verhaltens- und Benimmregeln, um ins Kino zu gehen, im Restaurant zu essen oder Freunde zu besuchen. Wir haben ein grob umrissenes Grundverständnis, welches Verhalten akzeptabel ist. Nicht zuletzt, weil wir beobachten wie sich andere verhalten und uns daran orientieren. Das ist am Spieltisch nicht anders.

Photo by Jay Johnson from Pexels

Georgios Panagiotidis
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