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Das fiese Spiel und das bunte Spiel

Manchen Spielen eilt ein Ruf voraus, dass sie ganz besonders gemein sind. Es sind Spiele, die mit ihrer als destruktiv bezeichneten Art der Interaktion für große Gefühlsregungen sorgen. Am Tisch schimpft oder flucht man deshalb schon mal. Meistens ist eine solche Reputation verdient. Haben doch viele verschiedene Gruppen dieses „fiese Spiel“ schon gespielt und berichten von vergleichbaren Erfahrungen. Das fiese Spiel ist ein Hauen und Stechen um die Führung, bis jemand den Sieg davon tragen kann.

Ein eben solches „fieses Spiel“ durfte ich kürzlich wieder spielen. Ich kannte es bereits und wusste daher was mich erwartete. Umso überraschter war ich, als das Spiel dann vergleichsweise zurückhaltend und ruhig verlief. Vereinzelte Momente der Anspannung waren nichts im Vergleich zu dem wie ich das Spiel bisher erlebt hatte. Die übliche und gängige Erklärung für so eine Situation ist häufig, dass die Gruppe halt weniger fies spielen wollte. Ein Argument, dass ich in vielen Fällen auch als erste Begründung zu Rate ziehen würde, wäre da nicht das Spielerlebnis gewesen, welches nur eine Stunde vorher stattfand.

Da hatten wir ein Spiel zusammengespielt, welches ich hier als „buntes Spiel“ benennen möchte. Es war ein Spiel, welches leicht und beinahe belanglos wirkt. Auch hier hatte ich das Spiel schon einige Male gespielt. Die schlichten Regeln und kurze Spieldauer schienen ein gutes Argument dafür zu sein, den Spielabend mit diesem „bunten Spiel“ zu beginnen. Zu meiner Überraschung wurde das Spiel als deutlich gemeiner und fieser wahrgenommen als ich es bis zu diesem Zeitpunkt jemals erlebt hatte.

Dieser Gegensatz hat mich beschäftigt. Warum verlief das „fiese Spiel“ so entspannt und gemütlich, während das „bunte Spiel“ nach nur wenigen Zügen deutlich viel Ärger und Anspannung verursachte? Es lag augenscheinlich nicht an den Vorlieben der Spielenden selbst, die sich am gleichen Abend bereits ein Hauen und Stechen lieferten. Aber es lag auch nicht allein an den Spielen selbst, denn sonst wäre das „fiese Spiel“ auch wirklich fies geworden und das „bunte Spiel“ eben nur ein zahnloser Zeitvertreib.

Augenscheinlich kamen hier zwei Dinge zusammen. Auf der einen Seite war es das Spielverhalten der Gruppe und auf der anderen der Entscheidungsraum, der durch die jeweiligen Spielregeln geschaffen wurde. In Kombination entsprach das Spielerlebnis der beiden Spiele nicht meinen Erwartungen.

Es schien naheliegend anzunehmen, dass sich das Spielverhalten und Spielbedürfnis meiner Mitspieler sich am gleichen Abend nicht grundlegend verschieben würde. Was sie an Spielen mochten und wie sie an diesem Abend spielen wollten, würde sich kaum so drastisch verändert haben, dass derart unterschiedliche Spielerlebnisse die Folge wären.

Also versuchte ich mir näher anzuschauen was das „fiese Spiel“ eigentlich tat, um sich seinen Ruf zu verdienen. Das „fiese Spiel“ ist, wie zu erwarten, ein kompetitives Spiel. Ein einfaches Bietspiel bei dem der Wert eines erworbenen Objekts sich im Laufe des Spiels sehr stark verändern kann. So kann eine verloren gegangen Auktion dazuführen, dass teuer erworbene Punkte aus vorherigen Runden, schnell einem Kontrahenten gehören. Es kann sogar passieren, dass sich mühsam errungene Punktesummen in schmerzhafte Punktabzüge verwandeln, wenn das Spiel nicht so zu Ende geht, wie man es sich wünscht. Es steht also viel auf dem Spiel, und diese schnellen und unabwendbaren Veränderungen der eigenen Position auf der Rangliste, sorgen für Anspannung. Das Fiese des Spiels liegt zu einem gewissen Grad sicherlich in der Hilflosigkeit mit der die eigenen Gewinnchancen zum Spielball anderer Interessen werden. Anderen vorsätzlich Punkte zu nehmen oder sie ihnen zu verweigern, ist unverkennbarer Kern der Spielinteraktion. Darum muss man oft bangen, dass die Interessen eines Auktionsgewinners den eigenen nicht zuwider laufen.

Das „bunte Spiel“ hingegen war mir in sämtlichen Runden bis dato nicht als sonderlich fies aufgefallen. Im Gegenteil, es schien ein leichtfüßiges aber dennoch klug verpacktes Spiel zu sein, bei dem die eigenen Handlungen offensichtliche aber auch subtile Folgen nach sich ziehen konnten. Man nahm sich durch das Ausspielen einer Karte Objekte aus der Auslage und erhielt für Karte und Objekt(e) Siegpunkte. Das Spiel ist zu Ende sobald die Auslage leergeräumt ist. Dabei engte die Karte ein welche Objekte man aus der Auslage entfernen durfte, und die gewählten Objekte lösten ihrerseits Effekte aus. Darunter auch die Möglichkeit die Objekte und Karten anderer Spieler zu verringern. Anders gesagt, ein Mal errungene Punkte, können einem wieder genommen werden. Gerade FDP-Wähler werden sich bei einer solchen Regel im 8. Ring der Hölle wähnen.

Aber dieses Wegnehmen von Erworbenem war sowohl beim „fiesen“ wie auch beim „bunten“ Spiel stark präsent. Obwohl die Spielgruppe beiden Spielen eine latente „Gemeinheit“ zusprach, war sie im „bunten“ Spiel weit stärker ausgeprägt.

Es schien plausibel anzunehmen, dass die Art wie die Spielinteraktion ausgeführt wurde, hier ausschlaggebend für das Spielgefühl war. An diesem Punkt trat ein deutlicher Unterschied zwischen dem „fiesen Spiel“ und dem „bunten Spiel“ auf. Das „fiese Spiel“ wurde bereits mit dem Verweis auf angespannte und konfrontative Punktehatz auf den Tisch gebracht. Die Gruppe konnte sich mental und auch emotional darauf einstellen, dass man sich hier nichts schenken würde. Auch die Spielmechanismen stellten genau diese Wirkung auf die Mitspieler in den Vordergrund. Die Objekte auf die man bot, wurden mit taktischen Blick auf ihre Wirkung auf andere ausgesucht. Man wirkte wissentlich emotionalen Druck auf andere aus, in dem man ihnen wichtige Objekte zur Versteigerung anbot, um sie so zum Handeln zu bewegen. Das war deutlich im Spiel zu erkennen und wurde auch ähnlich deutlich so oft wie möglich vermieden.

Im Gegensatz dazu, fand das Wegnehmen von Punkten im „bunten Spiel“ eher als Nebensache statt. Man suchte sich das wertvollste Objekt aus der Auslage aus, welches man mit Hilfe der Karten ergattern konnte und führte die damit verbundenen Aktionen fast schon mit Widerwillen aus. Ein notwendiges Übel, welches man so schnell wie möglich über die Bühne bringen wollte, um sich anderen Dingen zu widmen.

Ich denke, dass es genau dieser Punkt und diese Einstellung war, die das „bunte Spiel“ zu einer gemeinen und fiesen Spielerfahrung gemacht hat. Die Aufmerksamkeit lag nicht darauf wie die eigenen Spielzüge auf andere wirkten, sondern allein auf den eigenen Vorteil. Das dadurch jemand beeinträchtigt oder benachteiligt wurde, schien eher eine lästige Nebensächlichkeit zu sein statt etwas, dass nähere Beachtung benötigt.

In seiner tragischerweise letzten Filmrolle sagt Raul Julia so etwas wie „Der Tag an dem [ich] in ihr Dorf kam [und ihren Vater tötete] war für sie bestimmt der wichtigste Tag ihres Lebens. Für mich was es einfach nur Dienstag.“ Diese Sätze sorgen noch immer für schockierte Lacher, gerade weil sie so verächtlich und demütigend sind. Natürlich ist die Szene überzeichnet und hoch stilisiert, aber diese Interaktion veranschaulicht dank der Überspitzung warum derartige Momente am Spieltisch für so viel Unmut und Verärgerung sorgen.

Der Teil der Spielaktion, die emotional die größte (negative) Wirkung auf das Spielerlebnis hat, findet nebenher statt. Der Unmut, den die verlorenen Punkte oder die spielerische Benachteiligung auslösen, sind für die handelnde Person irrelevant und nebensächlich. Das kratzt deutlich mehr am eigenen Ego, als die Tatsache, dass man nun ein paar Punkte ärmer ist. Es ist eben diese Mischung aus Gleichgültigkeit und zur Schau gestellter Belanglosigkeit, die einen so sehr verärgert.

Während man im „fiesen Spiel“ noch als Konkurrent wahrgenommen und berücksichtigt wurde und gerade auch die emotionale Wirkung bei Entscheidungen eine Rolle spielte, bekam man das Gefühl beim „bunten Spiel“ nur als belangloses Anhängsel zu existieren. Interessant und wertvoll waren allein die Auslage und die eigenen Karten. Was mit den anderen am Tisch passierte war – auch wenn man selbst darüber entscheiden musste – egal.

Unweigerlich musste ich mich fragen, was der Grund für dieses Spielverhalten war. Was bewegte die Gruppe dazu, im „bunten Spiel“ nach unpersönlichen Kriterien, zu entscheiden wer Objekte oder Karten verlieren musste? Ich kann hier lediglich vermuten und spekulieren. Plausibel erscheint mir, dass die Gruppe Konflikte unbedingt vermeiden wollte. Insbesondere wollte man keine Verantwortung dafür übernehmen, dass das eigene Handeln negative Folgen für andere nach sich zieht.

Womöglich wird geglaubt, dass eine teilnahmslos ausgeführte Regel, die gerechteste und fairste Form ist, um unangenehme Entscheidungen zu treffen. Wie kann man mir vorwerfen ungerecht zu handeln, wenn meine Entscheidung beliebig und fast zufällig getroffen wurde? Statt negative Folgen mit Vorsatz zu wählen und bewusst auf einen Spieler abzuzielen, beschränkt man sich allein auf sich und greift zu einfachen Entscheidungshilfen, die weder die aktuelle Situation noch den bisherigen Spielverlauf berücksichtigen. Denn letzteres zu tun, wäre ja persönlich. Dabei ist ein Spiel nichts persönliches, es ist nur Business. (Zur Erinnerung, in dieser Szene aus Der Pate zeigt Michael Corleone nicht, wie gerecht er ist; sondern wie soziopathisch er handeln kann.)

Das nun ist meine vorläufige Erkenntnis aus dem vergangenen Spieleabend: es gibt keine unpersönliche Konkurrenz bei einem Brettspiel. Je mehr man versucht die negativen Auswirkungen des eigenen Handelns von sich zu weisen, umso stärker ist der Ärger und Unmut bei denen, die diese Auswirkungen zu spüren bekommen. Statt sich an einem gemeinsamen Wettstreit unter Gleichgesinnten zu erfreuen, hat das Spielgefühl etwas von praktizierter Mitleidlosigkeit. Das empört und verärgert nicht nur zur Adventszeit.

Georgios Panagiotidis
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