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Why so serious?

Unter den verschiedenen Ausprägungen des Spiels gibt es einige Genres die in der Szene mehr Aufmerksamkeit bekommen als andere. Manche haben leidenschaftliche (oder zumindest redefreudige) Verfechter, während andere nur in Kreisen Anklang finden, die in der Szene weniger präsent scheinen. Darunter fallen zum Beispiel die sogenannten „serious games“. Eine Art von Spiel mit der ich mich nicht richtig anfreunden kann. Wie so oft bei mir, sind die Gründe dafür nicht ganz einfach.

Aber zuvor ein paar Worte um den Begriff, zumindest für diesen Artikel, etwas zu präzisieren. Mit Serious Game meine ich ein Spiel, welches sich vor allem dadurch auszeichnet, dass es ein ernstes Thema auf eine ernste Art behandelt. Sowohl Themenwahl als auch Umsetzung kann sehr weit gefasst sein, aber was jedes Serious Game gemeinsam hat, ist die Didaktik darin. Ein Serious Game will die Spielenden etwas lehren. Manche Spiele dieser Art wollen Mißstände (sozial, kulturell, politisch, etc.) bewusst machen. Es sind Spiele die ihr Publikum bilden wollen. Man soll zum Nachdenken und gelegentlich Handeln angeregt werden. Aber auch Serious Games ohne derartige Ambitionen wollen ein Bewusstsein für das Thema erschaffen, welches im Spiel behandelt wird.

Das entlockt mir zugegebenermaßen nur ein Schulterzucken. Doch das halte ich für keinen Grund weshalb man solche Spiele nicht machen, spielen und schätzen sollte. Ich glaube gerne, dass es Spiele des Genres gibt, die ich noch nicht kenne und welche mir sehr zusagen würden.

In der Regeln wird ein Serious Game mit einem bestimmten Selbstverständnis und einer bestimmten Herangehensweise gespielt. Diese äußert sich zum Teil darin, dass man sich kritisch damit beschäftigt was das Serious Game eigentlich genau tut. Man schaut sich genau an wie es funktioniert, welche Mittel es benutzt und wie es seine Inhalte aufbereitet. Kurz gesagt man setzt sich mit dem Spiel ähnlich sorgfältig und kritisch auseinander wie man es aus anderen kulturellen Medien kennt.

Das finde ich großartig. Es ist genau diese Art von Beschäftigung mit einem Spiel, die in die Tiefe geht und Fragen stellt, welche in meinen Augen für alle Spiele üblich sein sollte. So wie es üblich ist, dass man sich bei einem Serious Game fragt was man genau tut, warum man es tut und was das über uns oder über die Situation sagt, in der wir uns befinden; so sollte man diese Fragen auch ganz selbstverständlich in anderen Spielarten stellen können. Es sollte normal sein.

Es ist genau an diesem Punkt, an dem ich das Konzept der Serious Game als großes Hindernis sehe. Die kritische und anspruchsvolle Herangehensweise wird hier mit der Themenwahl verschmolzen. Schnell entsteht der Eindruck, dass lediglich schwierige, bedrückende und unangenehme Inhalte eines Spiels eine tiefere Beschäftigung mit dem Medium zulassen. Ein kritischer Blick ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Spielinhalt ein bestimmtes Niveau erreicht.

In meinen Augen wird das Spiel so als Kulturgut entwertet. Film ist und bleibt auch dann noch Kulturgut, wenn es sich nicht im Bereich des Arthouse oder der Avantgarde bewegt. Ein Buch ist auch denn noch Kulturgut, wenn es rein unterhaltend ist und nicht die Klassifikation der „ernsthaften Literatur“ erreicht. Ein Kulturgut definiert sich eben nicht über den eigenen Anspruch und die eigenen Ziele, sondern über seine Wirkung.

Ist doch nur Spaß!

Sich dieser Wirkung bewusst zu werden und zu sein, zeichnet Medienkompetenz aus. Eine kritische Analyse eines Spiels beantwortet eben nicht primär die Frage: „was will man uns damit sagen?“; sondern beobachtet genau was das Spiel tatsächlich bewirkt. Welche Werte werden bei der Spielgruppe vorausgesetzt? Welche Werte werden durch das Spielen normalisiert? Welche Ideen und Ansichten werden hier in Spielspaß und guter Laune verpackt, so dass wir fast nicht merken dass wir sie zumindest zeitweise übernehmen?

Anders gesagt: es sind gerade die Werke auf die wir nicht genau hinschauen, deren Anschauungen wir akzeptieren und oft aus dem Spiel mitnehmen. Genau darum ist die kritische Auseinandersetzung mit der gesamten Bandbreite eines Mediums so wichtig für ein Kulturgut.

Es sollte eben nicht der Genrebegriff darüber entscheiden, ob wir uns mit einem Spiel tiefer beschäftigen und seine Wirkung analysieren. Die Art wie Mechanismen, Setting und Regelanweisungen kombiniert werden, um ein gemeinsames Spielerlebnis zu ermöglichen, sollten unabhängig von Thema und Intention der Schaffenden durchleuchtet werden. Denn egal in welches Genre man ein Spiel steckt, nutzt es doch die selben Werkzeuge und Strukturen, um spielbar zu sein.

Eine kritische Analyse und umfassendere Wertschätzung sollte darum nicht allein den Spielen vorenthalten sein, die ihre Ambitionen durch ihre Themenwahl oder den Titel „Serious Game“ herausposaunen. Darum begrüße ich zwar den Ansatz ernste Themen in einem Spiel zu behandeln, aber ich möchte den damit verbundenen kritischen Blick auf sämtliche Spiele des Kulturguts erweitern.

Georgios Panagiotidis
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