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Ein Tag Berlin-Con

Nachdem die Con-Saison des letzten Jahres durchgehend abgesagt wurde, öffnen sich langsam und zögerlich die Tore für die ersten Spieleveranstaltungen nach der ersten großen Impfwelle. Mit Zertifikat und Maske gewappnet, habe auch ich mich darum für einen Tag auf die Berlin-Con getraut.

Teil I – Berlin-Con: Geht das überhaupt?

Es war abzusehen, dass die ersten Großveranstaltungen stattfinden würden, bevor die Pandemie vollständig aus dem Weg geräumt war. Dementsprechend bewegen wir uns jetzt in der recht riskanten Zwischenperiode, in der geschäftstüchtige Politiker grünes Licht geben und darauf bauen, dass jeder schon sehen wird wo er bleibt. Sei es finanziell oder gesundheitlich. Ein Konzept, das ja bekanntermaßen auch schon beim Arbeitsrecht bestens funktioniert.

Die Veranstalter des Berlin-Cons haben daher das Hygienekonzept so eingereicht und abgesegnet bekommen, wie es gesetzlich verlangt wurde. Das bedeutete in der Praxis, dass man nur Eintritt zum Berlin-Con erhalten hat, wenn man einen Impfnachweis besitzt, als genesen gilt oder einen aktuellen Corona-Test vorlegen kann. So weit, so der landläufige Kompromiss.

Auffällig ist, dass die Veranstaltungshalle sehr viel offener gehalten wurde als vor zwei Jahren. Abstände zwischen den Ständen waren ausreichend gegeben und selbst Schlangen beim Einlass hatten Platz um zu anderen Besuchenden auf Distanz zu gehen. Aus Besuchersicht war das, gekoppelt mit dem Besucherlimit, zu einzelnen Phasen des Cons ein Segen. Man konnte sich sehr frei bewegen und Abstände oft ohne Schwierigkeiten einhalten. Vereinzelt, z.B. an Verkaufsständen, stand man sich etwas näher, aber auch diese Fällte konnte man mit etwas Geduld gut vermeiden. Besuchende, die sich schützen wollten, konnten das bis zu einem gewissen Punkt auch tun.

Ein generelles Unwohlsein – und auch Kritik – zog eher die Angabe nach sich, dass man nach der Registrierung am Spieltisch entscheiden konnte, die Maske abzunehmen. Auch hier richteten sich die Veranstalter des Berlin-Cons nach den rechtlichen Vorgaben des Landes. Im kleinen Rahmen spielt sich dann auch hier wieder das gleiche Prozedere ab, welches wir in der Öffentlichkeit sehen. Wer sich z.B. aufgrund einer Impfung sicher fühlt, empfindet eine geringere Hemmschwelle die Maske in der Gegenwart anderer abzunehmen. Selbst bei einer etwaigen Infektion, kann man darauf spekulieren keinen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden.

Das unterstreicht jedoch in vielerlei Hinsicht, dass das Hobby Brettspiel ein großes Problem damit hat sich der eigenen privilegierten Position bewusst zu werden. Oder um es genauer zu sagen, die gesellschaftlich notwendige Solidarität für die Personen mit weniger Privilegien aufzubringen. Denn wer Teil der Industrie Brettspiele ist, kann nicht unbedingt riskieren durch strenge Auflagen potentielle Besucher auszugrenzen. Wer Teil der Industrie Brettspiele ist, kann nicht darauf verzichten potentielle Käufer und Influencer dadurch zu vergrätzen, auf das Tragen einer Maske am Spieltisch zu bestehen. Beide können nur hoffen, dass die Spielenden genug Solidarität mit denen aufbringen, für die eine solche Teilnahme eben nicht Freizeit und Ablenkungen vom Arbeitsalltag bietet.

Wer mit Brettspielen seinen Lebensunterhalt verdient, hat nicht das Privileg auf Cons zu verzichten, die Vorstellung neuer Spiele einzustellen und oder ihren Verkauf herunterzufahren. Der eine oder andere mag nun anmerken, dass es sehr unpersönlich ist mit Maske zu spielen. Oder dass man schreien muss, wenn man miteinander reden will. Das sind zutreffende Punkte. Aber es gilt auch: Wir. Stecken. Immer. Noch. In. Einer. Pandemie.

COVID ist nicht vorbei. Herdenimmunität ist noch nicht erreicht. Die Impfstoffe sind noch immer nicht dauerhaft wirksam. Die Varianten des Virus entwickeln sich noch immer weiter.

Zu den besten Momenten war die Anwesenheit auf der Berlin-Con vergleichbar mit dem Fahren in der S-Bahn. Alle tragen eine Maske. Manchen sitzt sie etwas schief oder sie ziehen sie kurz runter um einen Schluck zu trinken oder von ihrem Müsliriegel abzubeißen. In den beunruhigenderen Momenten war es wie beim Warten auf eine S-Bahn. Viele Leute haben ihre Maske abgenommen, quatschen und lachen gemeinsam und ziehen dann lässig ihre Maske auf nachdem sie in die Bahn gestiegen sind.

Nach diesem einen Tag gehe ich mit gemischten Gefühle aus der Berlin-Con. Als reine Spielveranstaltung fand ich sie – in Anbetracht der derzeitigen Situation – gut und einen kurzen Besuch wert. Als öffentliche Veranstaltung, die auch immer befürchten muss zu einem Superspreader-Event zu eskalieren, war ich von den Besuchenden und ihrer Maskendisziplin enttäuscht. Ich bin nicht so verbohrt zu erwarten, dass alle Teilnehmenden zu jeder Zeit eine Maske auf dem Gesicht tragen können und müssen. Aber das heißt nicht, dass das wiederholte Abnehmen der Maske bei der erstbesten Sitzgelegenheit etwas ist, über das ich hinweg schauen will.

Zum Abschluss… Spieleindrücke. Denn auch dafür geht man ja auf eine solche Veranstaltung.

Teil II – Berlin-Con: Was hab ich eigentlich alles gesehen?

Shablam! – Ein Brettspiel welches in der Welt der Drag Shows angesiedelt ist. Wem das nichts sagt, es handelt sich um die sehr humorvolle Mischung aus Travestie und Vaudeville, die seit jeher Teil der Queer-Community ist. Durch Thema und Aufmachung weiß das Spiel sofort zu punkten und diese Inhalte in die Welt des Brettspiels aufzunehmen. Das Regelwerk in dem Drafting, Ressourcen-Management und ähnliches vorkommt scheint solide zu sein, aber der Charme, die Exzentrik und das schelmische Spiel mit Geschlechterrollen wird dadurch nicht ganz eingefangen. (NACHTRAG: Dies ist lediglich ein Ersteindruck, keine tiefschürfende Spielekritik. Das Thema allein verdient es das Spiel auf dem Radar zu behalten.)

World Changers – Ein kurzweiliges Kartenspiel mit sympathischen Illustrationen und sehr viel Dynamik. Der Vergleich mit Fantastische Reiche ist wohl schon mehrfach gefallen, aber während man dort schon eine große Toleranzschwelle fürs Kopfrechnen benötigt, bietet World Changers chaotische Kombos und überraschende Wendungen.

City Chase – Ein koreanisches Spiel, welches noch nicht erschienen ist. Die Aufmachung ist ein Hingucker mit einem Spielfeld voller Hochhäuser aus Plastik und drei Helikoptern mit Suchscheinwerfern (transparente Plastikkegel), welche man über das Spielfeld zieht. Damit zieht es jedoch eher Familien mit Kindern an, als hart gesottene Brettspiel-Cliquen. Da passt es gut, dass man sich hier an den Klassiker Scotland Yard erinnert fühlt. Von drei Polizei-Hubschraubern gesucht, flüchtet sich ein Sportwagen von einem Haus zu anderen. Dabei werden Spuren hinterlassen, die es zu finden gilt. Das Bluff-Element scheint hier deutlicher ausgeprägt als bei Scotland Yard, aber ist dadurch vielleicht gerade für Brettspiel-Familien interessant.

Nirvana – Das mittlerweile gut abgegraste Feld des Roll & Write-Genres hat einen neuen Eintrag erhalten. Der Kniff äußert sich diesmal dadurch, dass es zum Spielende statt einer Punkteabrechnung eine Art Mini-Spiel gibt. Erwürfelte Werte werden so auf den Zettel eingetragen, dass möglichst oft die gleichen Summen resultieren. Diese spielt man zu Spielende als virtuelle Karten aus und es hat gewonnen, wer seine Hand zuerst heruntergespielt hat. Das gibt dem Spielende noch einen kleinen Spannungsschub, was es deutlich einfacher macht noch eine Partie anzuhängen.

Regicide – Dank Peer hatte ich auf diesem Berlin-Con erneut die Möglichkeit Regicide in der offiziellen Ausgabe zu spielen, statt mir mit meinem privaten Nachbau zu behelfen. Es ist ein überraschend elegantes Spiel, welches da von drei Neuseeländern aus einem Standard-Kartensatz gezaubert wurde. Mit einfachen Zusatzregeln kooperiert man hier auf interessante und herausfordernde Art gegen 12 mächtige Regenten (und bringt diese mit Waffengewalt um die Ecke). Es gilt die unterschiedlichen Spielfarben geschickt einzusetzen und den mächtigen Angriffen der Regenten stand zu halten. Die Partie führte auch zu meinem persönlichen Highlight des Tages: nachdem wir erstmals einen Sieg erringen konnten, wollten Peer und ich das natürlich stilecht mit einem Abklatschen feiern. Da wir aber durch und durch Nerds sind, haben wir natürlich unsere Hände dabei verfehlt. Denn Grobmotorik ist doch nur was für Sportler und Tänzer.

Georgios Panagiotidis
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