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Politikum Brettspiel

In der letzten Woche ist im englisch-sprachigen Brettspielumfeld viel passiert. Ein großer Teil davon fand zwar allein online statt, aber hat und hatte konkrete und auch nachhaltige Auswirkungen auf reale Zusammenarbeiten und geschäftliche Vereinbarungen.

Ein Ereignis betrifft die Vorstandswahl der Game Manufacturers Association (GAMA), die eine Schnittstelle zwischen Händlern und Verlagen in den USA darstellt und u.a. Fachmessen wie Origins organisiert. Mit Änderung der Satzung werden ab diesem Jahr weitere Vertreter der Brettspielindustrie zu Mitgliedern des Vorstands gewählt. Unter den Bewerbenden ist auch T.Caires – vor einigen Jahren als Medienperson aktiv und nun für die Kommunikation bei HABA USA tätig. Das wiederum brachte über Umwege eine derzeit aktive Medienschaffende auf den Plan, die ihrerseits ihren Unmut darüber online äußerte und dafür alte Feindseligkeiten aufwärmte. Es wurden Anschuldigungen abgefeuert und Unterstellungen geäußert, um die charakterliche Tauglichkeit von T.Caires anzugreifen. Diese Kritik zog schnell weitere Kreise und dabei gerieten Personen ins Fadenkreuz, die sich oft und wiederholt für eine inklusive und diverse Brettspielindustrie stark gemacht haben.

Zuspruch erntete diese Medienschaffende, wenig überraschend, von Accounts, die neben Brettspielen auch Trump, Fox News oder die republikanische Partei unterstützen. Kurz die gleiche Art Mensch, die die Black Lives Matter-Bewegung und Antifa als große Gefahr für die moderne Gesellschaft sehen.

Die Details dieser Sache will ich hier nicht weiter aufwärmen. Nicht weil diese Situation sonderlich kompliziert wäre – denn das ist sie nicht. Ich vermeide eine ausdrückliche Nennung der betreffenden Person und der Kontroverse, welche sie umgibt, weil sie für die Sache unerheblich ist. Die Frage wem man glaubt und ob man sich in dieser Situation positionieren muss, spielt keine Rolle. Im Gegenteil es spielt viel mehr den falschen Leuten in die Hände. Wer das ist, wird im zweiten großen Ereignis der Woche deutlich.

Dieses beginnt damit, dass Suzanne Sheldon auf Twitter anmerkte, dass auf einer gut beworbenen Kickstarter-Kampagne eine große Illustration auf der Seite eine Dog Whistle der White Supremacy-Szene beinhaltete. Eine Dog Whistle – für die Leute, die das Konzept noch nicht kennen – ist ein unscheinbares Zeichen, eine bestimmte Wortwahl oder ähnliches, mit der man seine Nähe und Sympathie zu gewissen politischen Lagern deutlich machen kann. Das Unscheinbare daran erlaubt es sowohl jegliche politische Aussage der Dog Whistle zu leugnen, aber auch die Leute ins Lächerliche zu ziehen, die auf solche Dog Whistles hinweisen.

Eine Dog Whistle ist effektiv „hail Hydra“ auszusagen, aber dabei etwas harmloses wie „14 Worte“, die Zahl 88 oder etwa die OK-Handgeste zu nutzen. Gleiches bekennt sich so zu gleichem.

Um eben diese Handgeste ging es auch in der Illustration der Kickstarter-Kampagne. Der verantwortliche Verleger reagierte mit Spott und Hohn auf Twitter. Später tat er ähnliches auf Facebook und unterstellte den Kritikern unlautere Absichten und dass sie aus Neid und Missgunst einen Online-Mob anstachelten. Auch der Designer des Spiels äußerte sich im Boardgame Geek Forum mit ähnlich abwiegelnder und zweifelnder Haltung was die Gründe für die Kritik anging.

Das betreffende Bild wurde jedoch weder zurückgezogen, noch wurde eine Entschuldigung geäußert, dass eine derartige Dog Whistle versehentlich benutzt worden war. Im Gegenteil, es wurde umgehend in die Offensive gegangen. Die DARVO-Methode kam zum Einsatz. Eine Vorgehensweise in der manipulierende, oft narzisstische Personen Vorwürfe erst leugnen (Deny), Kritiker angreifen (Attack) und die Rollen von Angreifer und Opfer umdrehen (Reverse Victim and Offender). Plötzlich war von politisch motivierten und hinter den Kulissen koordinierten Online-Mobs die Rede, welche allein das Ziel verfolgen bestimmte Personen aus der Industrie zu verdrängen. Ein Schelm wer hier psychologische Projektion vermutet.

Der Dialog zwischen Kritikern und den beiden Kickstarter-Beteiligten eskalierte schnell. Die fehlende Einsicht der beiden, sowie Vorgeschichte des Verlegers, trugen dazu bei, dass Verleger und Designer von Boardgame Geek gebannt wurden und das Spiel dort nicht weiter beworben wurde.

Als Folge dieser Eskalation entzog ein anderes Designerteam dem Verleger die US-Vertriebslizenz für ihr Spiel. Ein europäischer Verlag zog kurz darauf gleich und stellte die Kooperation mit dem Verleger ein. Ein bekannter europäischer Designer lässt derzeit prüfen, ob auch er die Vertriebslizenz für sein Spiel dem Verlag entziehen kann.

Was diese beiden Ereignisse gemeinsam haben, ist die bewusste Instrumentalisierung durch politisch motivierte Teilnehmer. Unabhängig der Einzelheiten der beiden Kontroversen oder ihrer Legitimität, machen sich verschiedene Personen die aufgeheizte Stimmung zu Nutze, um einen Keil zwischen den Stimmen zu treiben, die eine progressive, inklusive und offene Brettspielszene anstreben und denen die erst noch davon überzeugt werden müssen, etwas dafür zu tun.

Diese Vorgehensweise ist nicht neu. Sie wurde vor gut 10 Jahren bereits im Rahmen der Gamergate-Bewegung benutzt, welche als private Animosität begann, zu einer Verschwörungstheorie mutierte um als diffuse und unspezifische Kritik an „ethischen Grundsätzen des Videospiel-Journalismus“ zu enden. Spätestens an diesem Punkt gingen immer mehr Leute, den reaktionären, misogynen und rassistischen Antreibern hinter dieser Bewegung auf den Leim. Schlimmer noch, viele merkten erst sehr spät wie schnell und effektiv die Indoktrinierung von Online-Gamer zu Alt-Right Sympathisant bei viel zu vielen Beobachtern stattfand. (Ich empfehle zur näheren Information die gelungene Videoessay-Reihe „The Alt-Right Playbook“ von Innuendo Studios.)

Vieles von dem was passiert ist, läuft natürlich unter dem Deckmantel des „Trollens“: dem vorsätzlichen Provozieren und Reizen von Personen, welche man so lächerlich machen will. Eine bequeme Ausrede, welche jedoch spätestens an dem Punkt an Glaubwürdigkeit verliert, wenn Gewalt- und Morddrohungen versendet werden. Derartige Eskalationen brachten die oben erwähnten T.Caires, Suzanne Sheldon und auch Designer Eric Lang dazu ihre Online-Profile privat zu stellen und die zuständigen Behörden über diese Drohungen zu informieren.

Es wäre natürlich sehr gefällig die große örtliche und kulturelle Distanz zu Nord-Amerika als Erklärung heranzuziehen, weshalb man derartige Probleme in der deutschen Spieleszene nicht befürchten muss. Aber in Anbetracht der Umfragewerte bestimmter Parteien in diesem Land, muss man zumindest feststellen, dass eine reaktionäre, misogyne und rassistische Weltanschauung auch hier nicht nur von unbedeutenden Minderheiten geteilt und geduldet wird.

Die Spaltung und Verdrängung einer inklusiven und diversen Spieleszene wird dadurch ermöglicht, dass man durch gezielte Provokation und das Anzetteln von Kontroversen immer wieder Angriffsflächen für die gleichen Taktiken bietet, mit der die rechte Szene Gamer in großen Zahlen rekrutieren konnte: provozieren, abstreiten, angreifen, Opfer und Täter umdrehen. Immer und immer wieder.

Mit jedem Durchlauf wird es einen Teil der Beobachter geben, die diese Taktik nicht bemerken und versuchen aus Tweets, Posts und Bildern die „Wahrheit“ aufzuspüren und so Schritt-für-Schritt der Normalisierung solcher Stimmen dienen. Denn „irgendwo hat er ja auch Recht“. Oder „es ist ja nicht alles falsch, was der da sagt“. etc. pp.

Die Streithälse bringen sich durch so ein Verhalten selbst nicht in Gefahr. Auf sie wartet Aufmerksamkeit, mehr Klicks und höhere Abonnenten-Zahlen. In den USA bekamen einige Provokateure aus den Gamergate-Kreisen lukrative Jobs auf rechten Plattformen, Buchverträge, Werbeverträge, Merchandising, etc.

Da ist es in letzter Instanz auch vollkommen hinfällig, ob diese Provokateure Teil einer anti-progressiven Schicht sind, oder sich dieser nur bedienen, um die Marketingtrommel zu rühren. Ob sie privat für Akzeptanz und Inklusion stehen und nur für die Öffentlichkeit ein wenig vom Leder ziehen, ändert nichts an dem Schaden, den sie durch ihr Tun verursachen.

Aber dafür braucht es immer zwei Gruppen: eine, die Streit, Konflikte und Kontroversen befeuert und aus billigem Opportunismus lostritt und eine Gruppe, die solche Leute beim Namen nennt und so zur Bekanntheit und mehr Relevanz verhilft.

Georgios Panagiotidis
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