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Spielthema non grata

Jackie Chan und Chris Tucker spielten Ende der 90er Jahre in einer Actionkomödie namens Rush Hour zwei Polizisten, die trotz sprachlicher und kultureller Unterschiede zusammen arbeiten mussten. In einer Szene ist Detective Inspector Lee (Chan) allein in einer Billiardkneipe und versucht den schwarzen Barkeeper mit den gleichen Worten zu begrüßen wie er es bei Detective James Carter (Tucker) gesehen hat. Er nutzt dafür den Satz „What‘s up my n—-a?“. Der Dialog nutzt hier dramatische Ironie, weil Lee hier völlig ahnungslos Worte wiederholt, von denen wir als Publikum wissen wie beleidigend sie sind. Die Pointe setzt voraus, dass der Bartkeeper weder bemerkt noch akzeptiert, dass Lee keine Ahnung hat, was er da eigentlich redet. (Die Szene hat noch einige andere problematische Metaebenen, auf die ich hier aber nicht eingehen kann ohne sehr weit auszuholen.) Aber unabhängig davon was Lee, der Barkeeper oder wir wissen oder nicht wissen, ist und bleibt die Äußerung beleidigend.

Brettspiele bedienen sich gerne dem Thema Kolonialismus. Das liegt unter anderem daran, dass die meisten Spieler völlig ahnungslos sind, was dieses Thema angeht. Im Kontext eines Spiels scheint sie die Möglichkeit zu liefern die Geschichte eines exotischen Orts (oder einer exotischen Zeit) erfahrbar zu machen. Wer zumindest mit den Grundzügen des Kolonialismus vertraut ist, sieht darin etwas anderes. Kolonialismus ist vor allem von Rassismus und Profitgier getriebene Gewalt, welche die Ausbeutung und Zerstörung anderer Kulturen betreibt und in der Regel mit schweren Volksverbrechen einhergeht. In einem Brettspiel zum Thema Kolonialismus gewinnt dann, wer die meisten Siegpunkte hat.

In Rush Hour wird Lee nach seiner unwissenden Äußerung in eine Prügelei hineingezogen, die so gut ist wie man sie in einem Jackie Chan-Film erwarten kann. Der Kampf ist voller körperlicher Dynamik und Einfallsreichtum. Er ist handwerklich gut gemacht und weiß zu unterhalten. Kurz gesagt: die Szene macht Spaß. Am Ende gibt es sogar einen kurzen Gag, als Lee beim Verlassen des Ladens einem Raucher die Zigarette aus dem Mund reißt und etwas fassungslos erklärt, dass Rauchen ungesund ist. Man kann sagen, die Szene schließt mit einer Lektion.

Der Versuch eine vergleichbar hilfreiche Lehre zu vermitteln wird auch manchmal unternommen, wenn es darum geht Themen wie Kolonialismus in einem Spiel duldbarer zu machen. In einem Spiel wie Endeavor – Segelschiffära verliert man etwa Siegpunkte, wenn man sich der Sklaverei bedient hat und diese am Ende des Spiels verboten wurde. Innerhalb des Spiels gibt es also Gründe, weshalb Sklaverei für Spieler unattraktiv ist. Der Vorteil dieses Ansatz ist zumindest, dass diese Praktiken nicht mehr als wirtschaftliche Notwendigkeit dargestellt und schöngeredet werden. Im gleichen Zug werden sie aber auch zu einer reinen Kosten-Nutzen-Frage trivialisiert. Im Rahmen der Spiellogik ist Sklaverei ein Übel, weil es Siegpunkte kostet und so den Spielsieg gefährdet. Wenn man durch solche Regeln auszudrücken versucht, dass bestimmte Handlungen ablehnens- und verachtenswert sind, so reduziert man sie unvermeidlich auf eine reine Kosten-Nutzen-Frage. Jedes Brettspielthema unterwirft sich damit der uneingeschränkten Banalität.

Die Actionkomödien der 90er Jahre waren nicht zimperlich wenn es um Mord und Totschlag ging. In Rush Hour sterben wohl etwa 30 Charaktere. Andere Filme aus der Zeit wie etwa Das Fünfte Element oder True Lies entledigen sich mehr als doppelt so vieler Figuren. Dennoch habe ich mich vor 20 Jahren von Rush Hour gut unterhalten gefühlt. Auch die anfangs erwähnte Szene hat mich amüsiert. Das liegt nicht daran, dass ich und die Millionen an Zuschauern so ignorant waren. Es liegt auch nicht daran, dass Leute gleichgültig gegenüber menschlichem Leid sind oder dass die Gesellschaft so sehr verroht ist.

Jedes Medium, ob Film oder Spiel, dient einem bestimmten Zweck und wird dementsprechend in Anspruch genommen und derart verstanden. Bei Büchern unterscheiden wir zwischen Sachbuch und Belletristik. Auch im Film schauen wir uns Spielfilme anders an als Dokumentarfilme. Von den ganzen Unterkategorien und Genres ganz zu schweigen. Wir nutzen die einen um uns daran zu erfreuen, zu unterhalten und emotional gepackt zu werden. Die anderen betrachten wir als Gelegenheit zu lernen, zu verstehen und uns mit anderen Erfahrungen und Erlebnissen auseinanderzusetzen. Spiele scheinen nicht so richtig in diese Aufteilung zu passen. Machen sie nicht – wie auch so manche Filme oder Bücher – irgendwie beides? Wir lernen und werden unterhalten. Wir bekommen Fakten präsentiert und amüsieren uns dabei.

Das ist häufig das letzte Argument mit dem problematische Themen in einem Spiel gerechtfertigt werden sollen. Ein Spiel dient nicht nur der reinen Unterhaltung, sondern es soll helfen ein Thema mit Hilfe der dafür angelegten Spielmechanismen auszuloten. Geschichte soll vermittelt werden. Größere Zusammenhänge sollen durch das Spiel greifbar und begreifbar gemacht werden.

Aber ein Spiel, in dem man virtuelle Geschichtsschreiber wird, weckt hohe Erwartungen an das Geschichtsbild welches das Spiel zeichnet. Es erhöht auch die Verantwortung der Macher hier gewissenhaft vorzugehen. Mehr noch die schädlichen Überzeugungen, die jeder Epoche der Geschichte innewohnen, dürfen nicht wertfrei reproduziert werden. Der Kolonialismus ist zutiefst rassistisch, aber das heißt nicht, dass diese Ideologien auch im Spiel Gültigkeit haben dürfen. Der Wettbewerbscharakter dieser Kolonialismus-Spiele führt unfreiwillig zu einer Legitimation der Sklaverei, da man ja dadurch die Vorteile erhält, die einem zum Sieg verhelfen.

Geschichte wird trivialisiert, wenn wir sie allein als Hintergrund für unseren persönlichen Spielspaß verstehen. Das wird in dem Moment zu einer Gefahr, wenn dieser Schritt als selbstverständlich und normal gilt. Aber ich glaube auch, dass man einer solchen Entwicklung entgegen wirken kann. Dafür muss man sich vom Gedanken lossagen, dass das Spiel gleichzusetzen ist mit belanglosem und oberflächlichem Spaß. Es muss normal sein, dass man den Inhalt und Kontext eines Spiels immer in Betracht zieht. Es gilt Spiele auf einem Spektrum zwischen Bildungsspiel und gehaltlosem Zeitvertreib zu differenzieren. Es sollte völlig selbstverständlich werden, dass ein Spiel wie Freedom The Underground Railroad nach völlig anderen Maßstäben betrachtet werden muss als etwa Munchkin.

Im gleichen Zug ist es aber auch unverzichtbar, dass wir als Spieler bestimmte Themen auch nur in bestimmten Spielformen zu akzeptieren bereit sind. Nur weil ein Spiel zu unterhalten weiß, heißt das nicht, dass das gewählte Thema zu einer exotischen und sorgenfreien Kulisse umfunktioniert werden darf. Geschichte darf in einem Spiel durchaus ergebnisoffen präsentiert werden, aber sie darf nicht revisionistisch sein. Weder die Konsequenzen, noch die Leidtragenden des Kolonialismus sollten durch Regelabstraktion unsichtbar gemacht werden. Ein Spiel, das sich Geschichte auf die Fahnen schreibt, darf sich nicht nur die bequemste Narrative herauspicken und diese zu einem Spiel machen. Eskapismus ist ein Privileg und wie jedes Privileg muss es mit Umsicht und Verantwortung ausgeübt werden.

Georgios Panagiotidis
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