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Wieso, weshalb, warum? – Wer nicht fragt…

Wozu die ganze Spielerei? Es ist eine Frage, die im Brettspiel immer wieder mal aufkommt und deren Standardantworten sich in grob zwei Lager aufteilen lassen.

So gibt es die Gruppe der esoterischen und idealistischen Antworten. Es geht im Spiel um das Zusammensein. Es geht darum kulturelle Werte spielen zu erleben. Um sich näher zu kommen oder um spielend Mensch zu sein. Das ist durchaus richtig, aber in manchen Situationen vielleicht doch etwas zu weit gefasst.

Es gibt aber auch das Lager der trivialen und trockenen Antwort. Beim Spielen geht’s um Spaß. Wir spielen um zu Gewinnen oder um letztendlich Nichtiges. Auch diese Antworten haben in bestimmten Situationen ihre Daseinsberechtigung, aber sind oft derart tiefgestapelt, dass man sich fragen muss, warum man der Sache noch nicht entwachsen ist.

Interessanter und meiner Meinung nach viel häufiger sind die pragmatischen und gewissermaßen handfesten Antworten, die gelegentlich in Worte gefasst werden aber meist eher als stillschweigend vorausgesetzt gelten.

In den meisten Spielanleitungen findet man oft die Worte “Ziel des Spiels”. Dort stehen in der Regel so tiefgründige Antworten wie: die meisten Siegpunkte erreichen oder als erster keine Karten auf der Hand haben, etc.

Aber das Ziel einer Sache ist nicht gleichbedeutend mit ihrem Zweck. Wenn dem so wäre, dann würde es beim Herr der Ringe darum gehen ein verloren gegangenes Schmuckstück zu recyclen. Die Mathearbeit würde nur existieren, damit Schüler darin möglichst viele Punkte sammeln können. Ein Ausflug würde lediglich in Angriff genommen werden, um wieder zu Hause anzukommen. Es wäre eine sehr alberne Sicht auf die Dinge.

Klaus Teubers Klassiker ist bekanntermaßen ein Erfolg weil es um Siegpunkte geht

Bei einem Spiel ist es ähnlich. Aus Autorensicht ist das Ziel eines Spiels die Rechtfertigung, um sich mit den mal mehr und mal weniger komplexen Herausforderungen des Designs abzugeben. Die 10 Punkte, die es bei Catan zu holen gilt, sind der Grund weshalb wir unsere Siedlung ausbauen, mit Mitspielern Ressourcen tauschen und uns darüber ärgern, wenn der Räuber zu uns gesetzt wird. Für die Spielerfahrung selbst, sind diese Fragen jedoch lediglich der äußere Rahmen, den wir im Spiel mit Tiefe, Dynamik und auch Leben ausfüllen.

Es ist ein Phänomen, welches Roland Barthes bereits vorgezeichnet hat, als er feststellte, dass der Autor nun mal tot ist. Im Zusammenhang mit Literatur, verteidigte er damit den Standpunkt, dass der Autor eines Werks weder die oberste, noch die einzige Instanz ist, welche entscheidet was das Werk ausdrückt. Ein Umstand, welcher sich im Spiel kaum deutlicher darstellen lässt, als mit der Art wie unterschiedliche Spielgruppen das selbe Spiel spielen.

Die einen stürzen sich auf den Wettbewerbscharakter und ringen um jeden Punkt, jeden Vorteil und jede scharfsinnig gedeutete Regel. Andere richten ihre Aufmerksamkeit eher auf den Akt des Spiels selbst, die einzelnen Herausforderungen und Knobeleien, die sie für sich selbst meistern wollen. Wieder andere behandeln das Spiels als Beschäftigung, die das persönliche Miteinander ergänzt aber nur wenig Auswirkung auf Atmosphäre des gemeinsamen Abends hat. Es ist ein weites und vielfarbiges Spektrum an Spielverhalten, das hier hervortreten kann.

Der Autor hat in jedem dieser Fälle herzlich wenig Mitspracherecht. Es sind die Spieler selbst, die sich auf die Art von Erlebnis einpendeln, die sie praktizieren werden. Faszinierend ist daran, dass dieses Einpendeln meiner Erfahrung nach fast nie im Vorfeld ausdiskutiert wird. Niemand setzt sich hin und erklärt haarklein, wie kompetitiv oder zurückhaltend man spielen will. Niemand formuliert genaue Richtlinien darüber welches Spielerverhalten in welcher Situation angemessen ist und welches gegen den guten Ton verstößt.

Das liegt aber nicht daran, dass man bei Spielenden einen weitläufigen Konsens voraussetzen kann. Es gibt keine Leitkultur des Spiels, welche diese Dinge festlegt. Auch ein Regelwerk kann so etwas nicht leisten. Die meisten Regelwerke sind bereits damit überfordert den Umgang mit dem Spielmaterial vollständig und nachvollziehbar wiederzugeben.

Der Schlüssel dafür liegt bei den Spielern selbst. Sie sind es, welche die Grenzen für ihre Gruppe ziehen, erforschen und in einigen Fällen auch ausloten müssen. Gelingt das nicht, so führt das nicht selten zu Verstimmungen am Spieltisch, welche fernab irgendwelcher Frustration bezüglich Sieg oder Niederlage liegen. Was womöglich als Missverständnis beginnt, steigert sich schnell zu einer tiefen Unzufriedenheit mit einem Mitspieler oder – in besonders argen Fällen – zu einem passiv-aggressiven Hick-Hack, welches das Spielerlebnis nachhaltig färbt.

Worum es in einem Spiel geht, handeln die Spieler aus und nicht das Regelwerk. Das größte Konfliktpotential, das ich in Spielrunden mit unterschiedlichsten Mitspielern erlebt habe, haben dabei nicht unterschiedliche Ansätze, Überzeugungen oder sogar Vorlieben. Schließlich dauern nur wenige Spiele derart lange, dass man nicht auch mal seine Vorlieben für eine Spiel hinten anstellen kann.

Die tatsächliche Schwierigkeit liegt – wie so oft – in den soft skills der Spielenden begraben. Je stärker diese ausgeprägt sind, umso stabiler ist die unausgesprochene Übereinkuft worum es in dem Spiel geht. Man kann sich schnell und einfach an den anderen Spielern orientieren und so den Spielzweck ausloten, der für alle Teilnehmer angenehm und akzeptabel ist. Der Zweck eines Spiels wird erst von den Spielenden gesetzt, aber dafür müssen sie sich nicht nur ihres Einfluß, sondern auch ihrer eigenen Absichten bewusst sein.

Vielleicht hilft es ja doch sich zu fragen, warum man eigentlich spielt und wie man diesem Zweck im Spiel am besten nachkommt.

Georgios Panagiotidis
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