Mit der Ankündigung eines Tages der Brettspielkritik, habe auch ich mich dabei ertappt wieder über Kritiken nachzudenken. Insbesondere habe ich mir erneut den Artikel von Dr. Synes Ernst angeschaut. Mein erster Eindruck damals war, dass ich die Richtung und auch die Geste des Textes begrüßte, aber im Einzelfall dann doch nicht ganz zustimmen konnte. Sprich, im Großen und Ganzen stimme ich dem Anliegen des Autors zu, es sind nur die feineren Punkte, die mir etwas quer liegen.
Das Bedürfnis sich mit dem Themenkomplex Brettspiel kritischer, ambitionierter und anspruchsvoller auseinander zu setzen, teile ich uneingeschränkt. Auch das große Ziel „Bessere Spiele und bessere Spieler“ zu erreichen, kann ich ohne zu zögern unterschreiben.
Aber wie genau sieht das aus? Wie lässt sich der Bogen von der Rezension eines Kaufgegenstandes hin zur Besprechung eines Kulturobjekts genau schlagen? Der Vorschläge gibt es viele, und die meisten scheinen vornehmlich damit beschäftigt zu sein die Unzulänglichkeiten der derzeitigen Situation zu benennen. Allen voran die mit Regelerläuterungen (oder schlimmer noch strategischen Erklärungen) aufgeblähten Rezensionen, die aus der Spielbesprechung bestenfalls eine erweiterte Werbesendung machen.
Denn Spielregeln detailliert zu erläutern macht vor allem dann Sinn, wenn man ein Kaufprodukt vorstellen möchte. Es wird gezeigt wie das Produkt funktioniert, seine vielseitige Anwendbarkeit erklärt und die einzelnen Besonderheiten erläutert. Die Besprechung gleicht hier eher einer Informationsdarbietung, als einer Spielkritik. Das häufig aufgeführte Gegenargument lautet, dass dem Publikum der Spielkontext erläutert werden muss, bevor eine Bewertung möglich ist.
Dieser Einwand ist auch nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Schaut man sich als Vergleich Filmbesprechungen an, findet man auch hier einen kurzen Umriss der Handlung. Aber der erfahrene Cineast weiß hier schnell die Spreu vom Weizen zu trennen, den nuancierten Filmkritiker vom Lückenfüller. Eine gute Besprechung legt den Plot nicht detailliert dar. In vielen Fällen reicht es neben der Grundidee bereits aus nur punktuell Ereignisse anzudeuten. Für eine Spielkritik gilt das Gleiche. Die Grundidee, der Kernmechanismus soll nur kurz umrissen werden und dann ZACK… geht‘s ans Eingemachte!
Ein weiterer Punkt, den der werte Dr. Ernst aufführt, ist die notwendige Kenntnis des Themas, um eine Spielkritik zu verfassen. Das scheint so einleuchtend wie trivial. Wenn man ein Spiel nicht kennt, kann (und sollte) man es auch nicht besprechen. Sicherlich kann ein gewiefter Schreiberling ein Stück Performancekunst daraus zaubern ein Spiel allein aufgrund anderer Kritiken und der allgemein erhältlichen Informationen zu besprechen; aber wenn es darum geht eine gute, ja sogar bessere Spielkritik zu schreiben, muss man das Spiel selbstverständlich gespielt haben. Aber dann kommt die Einschränkung, dass man dieses Spiel mit unterschiedlichen Gruppen gespielt haben muss… und da muss ich den Kopf schütteln.
Nein, man muss ein Spiel nicht in unterschiedlichen Besetzungen spielen, um es fundiert besprechen zu können. Ja, es stimmt man nur eingeschränkt darlegen wie gut das Spiel als Konsumprodukt funktioniert, wenn man es nur mit “seiner” Gruppe kennt. Ja, es ist auch richtig, dass man mit Hilfe unterschiedlicher Spielerfahrungen in verschiedenen Gruppen eher erkennen kann wo sich Besonderheiten oder Eigenarten des Spiels abzeichnen. Man muss sich jedoch fragen, ob eine gute Kritik sich dadurch auszeichnet, dass sie ein Urteil über das Spiel in vielfältigen Variationen fällt.
Legt man an Spielekritiker jedoch einen solchen Maßstab an, werden ein Großteil der Stimmen ausgeschlossen, die lediglich eine Spielgruppe zur Verfügung haben, um Spiele auszuprobieren. Gibt es denn die gleichen Anforderungen bei Filmkritiken? Müssen die Kritiker dort einen Film in unterschiedlichen Situationen schauen, z.B. im Pressescreening, Mitternachtspreviews oder mit ganz normalen Kinogängern? Auf unterschiedliche Spielgruppen zurückgreifen zu können ist ein Luxus. Es ist ein Hilfsmittel auf welches man durchaus zurückgreifen darf und soll, wenn es ein Spiel nahelegt. Aber als notwendige Bedingung, um eine gehobene Spielkritik zu verfassen, bringt sie mehr Schaden als Nutzen. Ein kritischer Diskurs braucht Vielfalt, und nicht Gründe, um Teilnehmer auszugrenzen.
Derzeit scheint mir die noch größte Hürde für Brettspielkritiken vor allem darin zu liegen, dass klare Positionen bereits im Vorfeld als rein subjektiv oder elitär verunglimpft werden. Diese ablehnende Grundhaltung führt dazu, dass die Maßstäbe die Kritiker anlegen oft diffus, schwer artikulierbar und bestenfalls indirekt herleitbar sind. Das hat viel Recherche für das Publikum zur Folge, wenn man herausfinden will, ob und wie fundiert eine Kritik ist. Die meisten Leute suchen sich stattdessen einen Rezensenten, der die gleichen Spiele lobt und ablehnt, wie sie selbst. Das heißt zwar nicht, dass diese Kritiken fundierter sind, aber dass die Kaufentscheidung damit einfacher fällt.
Eine Spielbesprechung hat in der Regel zwei gegensätzliche, aber nicht unvereinbare, Zielsetzungen. Auf einer Seite steht die Rezension und auf der anderen die Kritik. Erstere soll eine Kaufentscheidung leiten bzw. eine Empfehlung für das Publikum aussprechen. Letztere zielt darauf ab den Diskurs voran zu treiben und über die Begrenzungen des einzelnen Spiels hinauszugehen. Wenn vom Wunsch der besseren Spiele für bessere Spieler die Rede ist, dann ist die ambitionierte Spielkritik ein Weg dorthin. Vielen ist die Produktvorstellung und einfache Prüfung auf Funktionstüchtigkeit jedoch genug, um als Brettspielkritik in Form einer Rezension veröffentlicht zu werden.
Eine Rezension stellt immer einen direkten Austausch zwischen Verlag und Rezensent dar. Mit Hilfe eines Rezensionsexemplar wird für das Spiel über das Mittel der Rezension Werbung gemacht. Je mehr Rezensionen im Umlauf sind, umso mehr Spieler werden von dem Spiel hören und um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne sich selbst ein Bild vom Spiel machen wollen. Dabei spielt das Urteil der Rezension nur dann eine nennenswerte Rolle, wenn es sich um einen bekannten Rezensenten handelt. Ein Verriss eines Tom Vasel kann ein Spiel am Englisch-sprachigen Markt schon mal versenken.
Ein enthusiastisches Lob von Shut Up & Sit Down führt schon mal schnell dazu, dass der Lagerbestand verschiedener Läden in wenigen Tagen ausverkauft ist. Am Rande sei hier angemerkt, dass keiner der beiden sich verpflichtet fühlt Rezensionsexemplare als solche zu markieren. Warum sich also Rezensenten mit merklich weniger Marktauswirkung solcher Danksagungsarien und Verlagshuldigungen hingeben sollen, erschließt sich mir nicht. Das ist nicht Transparenz. Vielmehr wird damit suggeriert, dass der Rezensent dem Verlag etwas für seine Marketingarbeit schuldet. Es wird eine Abhängigkeit vom Verlag eingestanden, die den Rezensenten sofort in die Defensive drängt.
Eine Spielbesprechung, die sich vornehmlich damit beschäftigt wie und ob das Spiel funktioniert, wird immer in einer Art der Kaufempfehlung münden. Die Antworten auf “Was macht man in diesem Spiel?” und “Macht das Spaß?” nehmen zwar größtmögliche Rücksicht auf das Publikum als Spielkäufer, aber ignorieren dabei, dass sich in diesem Hobby auch Kultur ausdrückt und manifestiert.
Aber genau das ist es was eine gute Kritik leisten kann. Sie strebt nicht danach dem Publikum zu dienen und deren Spielauswahl aufzubessern. Eine Kritik ist eine Bewertung des Spielerlebnisses und ein Urteil über das Spiel, welches dieses Erlebnis ermöglicht hat. Sie hat als einziges Ziel ehrlich und mit einem deutlichen, wertenden Standpunkt über Spiele zu sprechen. Hier trifft es Synes Ernst genau: keine Wischi-Waschi Aussagen, keine Einschränkungen und keine “wer sowas mag, der wird sowas mögen” Phrasenhülsen.
Damit sich die Spielkritik eines Tages auf einer Augenhöhe mit Film- und Literaturkritik bewegen kann, muss sie über ihre Identität als werbung-treibende Kaufhilfe hinauswachsen. Sie muss über mehr sprechen dürfen als die Frage, ob ein Spiel Spaß macht. Dabei geht es nicht darum die derzeit typischen Rezensionen zu verdrängen oder abzulösen.
Es wird immer Bedarf an Rezensionen geben. Bei der überwaltigenden Zahl an Neuerscheinungen jedes Jahr hilft es eine verlässliche Stimme zu haben, die einen durch die Flut an toll aussehenden Spielen führt. Nicht nur weil unser aller finanziellen Mittel begrenzt sind, sondern weil wir auch nicht genug Zeit haben wirklich jedes Spiel auszuprobieren, dass vielversprechend aussieht. Aber wer will, dass sich Spielkritiken nicht mehr hinter Film- oder Literaturkritiken verstecken müssen, der muss an Spiele auch andere Maßstäbe anlegen als nur die Frage, ob sie Spaß machen oder ob sie ihr Geld wert sind.
Sei es auch nur, um zu zeigen, dass es möglich ist.
Georgios
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