Welche Spieldauer sollte ein Spiel haben?
Spielt das eine Rolle? So lange man nicht merkt, wie lange man schon am Spieltisch sitzt, ist die Spieldauer doch in Ordnung, oder?
Kommt drauf an. Natürlich ist das eine höchst individuelle Frage: Der eine spielt gerne lange, epische Spiele, der andere lieber in derselben Zeit 3 verschiedene (oder auch dreimal dasselbe). Allerdings sollte sich ein Spieleautor (oder ein Rezensent) auch fragen, ob die Spieldauer zum Spiel passt. Auch wenn selten die Spieldauer als solche kritisiert wird – eher der fehlende oder schiefe Spannungsbogen – gehört die Spieldauer doch zu den Dingen, die „passen“ müssen, damit ein Spiel als befriedigend empfunden wird.
Da wäre einmal die reine Meta-Ebene: Das Spiel sollte lang genug sein, damit sich längerfristige Planungen (sofern überhaupt möglich) und Entwicklungen überhaupt entfalten können. Umgekehrt sollte ein Spiel idealerweise enden, wenn es entschieden ist und nicht später. Wenn Spieler alles getan haben, was sie machen wollten, endet das Spiel zu spät. Wenn sich die Entscheidungen wiederholen, endet das Spiel auch zu spät. Irgendwann schleichen sich Wiederholungen ein und das ist kein gutes Zeichen für ein Spiel!
Die Spieldauer ist aber natürlich auch abhängig von den zu treffenden Entscheidungen: Sind die Entscheidungen immer nur taktischer Natur, sollte das Spiel nicht zu lange dauern, da sich dann eben schneller die genannten Wiederholungseffekte einschleichen – das Spiel wirkt repetitiv. Ein steigender Glücksfaktor verringert im Allgemeinen die ideale Spieldauer, da er die strategischen Möglichkeiten verringert und damit in der Regel eher taktisch, für den Moment, angelegt ist – und damit wieder die Wiederholungsgefahr erhöht.
Umgekehrt sollte ein Spiel -auch ein Absacker – nicht schneller gehen als die Erklärungs- und Aufbauzeit. Klingt trivial, doch kenne ich einige Gegenbeispiele. Selbst wenn die Spiele gut sind, kommen die eher selten auf den Tisch, weil sich der Aufwand im Verhältnis nicht lohnt -zumindest so die subjektive Empfidung.
Soweit allgemeine Gedanken, doch wer soweit gelesen hat, interesssiert sich vielleicht auch für meine speziellen Gedanken ;-)
Hier sind drei Thesen – und natürlich gibt es sicherlich zu allen Gegenbeispiele. Und sie sind subjektiv. Deswegen sind es ja Thesen. :-)
Meine erste These ist, dass vollkooperative Spiele nicht viel länger als eine Stunde dauern sollten. Mit „vollkooperativ“ meine ich wirklich die reinen Koops, also wo alle zusammen gegen das System spielen. Bei diesen Spielen ist der Schwierigkeitsgrad wichtig: Sind sie zu leicht, sind sie keine Herausforderung und der Wiederspielreiz sinkt. Man will ja auch was geleistet haben! Sind sie zu schwierig, besteht leicht Frustgefahr. Gute kooperative Spiele geben den Spielern das Gefühl, dass sie immer auf der Kippe stehen: Ein falscher Schritt und sie verlieren, aber ein richtiger Schritt und sie können noch gewinnen! Da es kaum möglich ist, diese Spannung über längere Zeit zu halten wechseln sich oft Phasen relativer Ruhe und extremer Bedrohung ab (Besonders schön ist das bei Pandemie zu sehen). Das funktioniert aber nur eine begrenzte Zeit lang, sonst kann sich das Gefühl einstellen, alles entscheidet sich eh am Ende und der Rest ist Anhängsel. Zudem kann ein Spannungsgefühl auch nur eine begrenzte Zeit lang aufrecht erhalten werden, danach stellt sich Gewöhnung ein.
Vor allem aber enthalten die meisten kooperativen Spiele Zufallselemente, um nicht vollständig lösbar zu sein. Zufallselemente bedingen gelegentliche schiefe Partien. Da alle gemeinsam Verlieren oder Gewinnen ist das kein großes Problem – im ersten Fall beginnt man einfach von vorne. Verliert man aber nach 2 Stunden aufgrund des maximal möglichen Negativergebnisses ist das frustrierender als wenn das nach 30 Minuten passiert. Da viele kooperative Spiele Risikomanagement sind, greift hier zudem was ich oben bereits über glücksabhängige Partien schrieb. Vielleicht ist es sogar so: Wenn jemand anders nach 120 Minuten gewinnt, dann hat der besser gespielt. Wenn aber alle nach 120 Minuten verlieren, haben alle schlecht gespielt und das über einen so langen Zeitraum? Ich kann das nicht so richtig begründen – ist halt mehr „Bauchgefühl“ – aber ich denke irgendwann kommt der Punkt, an dem eine Niederlage nicht mehr als Herausforderung angesehen wird, sondern als verlorene Zeit und damit als Frust.
Kooperative Spiele mit sehr geringem Glücksfaktor sind eher Suchen nach idealer Lösung und auch da ist fraglich, wie lange man auf hohem Niveau durchhalten möchte. Das sind die Gründe warum mir bislang kürzere Koops im Schnitt besser gefallen als längere. Sonderfälle/Ausnahme sind sicherlich Spiele, wo Spieler unterschiedliche Agendas verfolgen (Gloomhaven), also andere Schwerpunkt haben, die über das bloße „gemeinsam gewinnen“ hinausgehen.
Meine zweite These ist dass die Suche nach einem „Civilization light“ müßig ist: Immer wieder kommen „Hypes“ auf, weil ein Spiel als „Civi light“ bezeichnet wird. Meistens ist dann die Enttäauschung groß, dass diese Bezeichnung dann doch nicht zutrifft. Und das ist in meinen Augen auch kein Wunder – ich halte „kurzes Civi“ für ein Oxymoron. Gleich ein Disclaimer: Natürlich gibt es kurze Aufbauspiele: Guns & Steel, Flow of History, IWDZ-Das Würfelspiel… Doch als „Civi light“ werden die im allgemeinen nicht bezeichnet, da sie sich nur auf einen Teilaspekt beziehen (meistens den Technologiestammbaum). In der Originalbedeutung bezog sich „Civi light“ auf das Originalcivilization von Francis Tresham. Das hat das Auf und Ab der Zivilisationen mit regeltechnisch sehr einfachen und eleganten Mitteln sehr gut umgesetzt und bot alles, was ein gutes Brettspiel ausmacht (imho). Nur war die Spieldauer eben recht lang, inbsesondere bei mehreren Spielern (man kann Civi durchaus auch recht ordentlich zu dritt oder zu viert spielen, dann ist die Spieldauer auch noch so ausufernd – aber ich persönlich mag gerade die Dynamik der vielen Zivilisationen) – und noch länger bei Advanced Civi, dass von vielen Leuten bevorzugt wurde (und das ich aufgrund der Mondpreise dafür nicht aus eigener Anschauung kenne). Immer wieder kamen Spiele raus, von denen es hieß, sie könnten das leisten, was Civi leistete, aber eben in kürzerer Spielzeit. Geklappt hat das nie. Prominent war in dieser Hinsicht wohl Tempus, bei dem die Erwartungshaltung enorm war, das Spiel dann extrem verspätet kam und dann so enttäuschte, dass es regelrecht in der Luft zerrissen wurde. Zu Unrecht meine ich übrigens, das Spiel ist gar nicht übel (von den Problemen im Endspiel abgesehen) und z.T. recht pfiffig. Ein „Civi Light“ indes, ist es nicht. Und das kann es in dieser Form m.E. auch gar nicht geben, denn um das Auf und Ab großer Zivilisationen umsetzen zu können ist eine gewisse Epik vonnöten. Dehnt sich ein Reich nur aus, passt das nicht – es muss auch schwanken. Es musss sich aber auch entwickeln. Und es muss interagieren – all das kostet Zeit. Mehr noch: Ich würde argumentieren, dass die Spieldauer hier schon ein integraler Bestandteil des Spieles ist! Am Anfang fiebert man noch mit jedem Counter nach, erst nach einer Stunde oder so, entwickelt man eine gewisse Entspannung seinem Reich gegenüber – es gilt nur noch die lange Sicht („the long game“, wie es schön im Englischen heißt). Das lässt sich aber nun einmal nicht in kürzerer Zeit erreichen. Es bedarf Zeit. Und damit ist „Civi light“ ein Oxymoron.
Meine dritte These: Geschicklichkeitsspiele sollten nicht länger als 30 Minuten dauern. Und das ist schon lang. Zugegeben: Das ist weniger eine These als mein persönlicher Geschmack. Ich mag Geschicklichkeitsspiele. Aber ich weiß nicht, wie lange man am Stück konzentriert Leistungen bringen kann, wenn Geschicklichkeit alles ist. Nun könnte man einwenden, dass Videospiele ja nun auch Geschicklichkeitsspiele sind und ich durchaus auch stundenlang Bubble Bobble oder Counterstrike spielen konnte. Aber da ist das enmtscheidene Wort „ununterbrochen“ – man spielt am Stück, man ist „im Spiel“. Selbst bei Computerspielen wie Galaga, wo man abwechselnd an der Reihe ist, bringt man (oder zumindest ich) deutlich schlechtere Leistung als alleine, einfach weil man minutenlang zwischendrin nichts macht, weil man „kalt“ wird und immer wieder neu reingeworfen wird. Bei Brettspielen ist das nicht anders: Immer wieder muss man Geschicklichkeit bringen, aber immer wieder neu. Da lässt die Leistung nach und das kann dann wieder frustrieren, wenn man nichts auf die Reihe kriegt. Daher sind epische Geschicklichkeitsspiele selten.
Was haltet ihr von den Thesen? Eher wahr oder eher nicht?
ciao
peer
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Ich mach’s mal kurz:
Egal welche Art Spiele (Koops, Geschicklichkeit usw.), wenn ein Spiel ALLEN Beteiligten Spaß macht, ist die Spieldauer egal. Wenn dann noch die gefühlte Spieldauer deutlich unter der realen liegt, umso besser.
Spielen soll Spaß machen.
„Umgekehrt sollte ein Spiel – auch ein Absacker – nicht länger dauern als die Erklärungs- und Aufbauzeit. “ wie willst du z. B. ‚Déjà Vu‘ spielen? Ein Absacker dessen Aufbauzeit bei gerade einmal 47 Sekunden liegt (inkl. 2x mischen) und die Erklärzeit bei 24 Sekunden.
OOps, bei Absackern da habe ich mich verschrieben, habs korrigiert…
Zum Rest: Gerade bei Koops habe ich es schon gehabt, dass das Ende den Rest des Spieles etwas „versauert“ hat, wenn das nicht gestimmt hat. Letztlich bleibt das Ende im Kopf und bestimmt mein Empfinden über das Spiel nicht unerheblich. „Schlechte“ Enden können viel kaputt machen – und das gilt ja nicht nur für Spiele…
Mein Lieblingsspiel Eldritch Horror bricht mit These 1. Dauert gerne mal 3-4 Stunden, ist dabei völlig zufällig und unerbittlich grausam. Was ein gutes Koop Spiel für mich ausmacht: Es ist ein Höllenritt, alles geht den Bach runter, aber es besteht immer noch ein bisschen Resthoffnung. Die Spieldauer ist mir da fast egal. Les Poilus / the Grizzled ist zum Beispiel ein grandioses Koop, hier ist die Spieldauer aber recht kurz.
Bei These 2 stimme ich Dir zu. Wenn ein Spiel sich „episch“ anfühlen soll, muss es auch eine eine „epische“ Spieldauer haben. Ich muss mit meiner Stadt/Rasse/Nation/Fraktion zusammenwachsen, will beobachten, wie sie sich Herausforderungen und Krisen stellt, diese meistert und daran wächst, und das braucht Zeit.
These 3: Ich wäre da glaubich eher bei 15 Minuten, aber ich mag solche Spiele auch nicht besonders.
These 1) Robinson Crusoe dauert sehr oft länger als 60 Minuten. Stört aber gar nicht. Wäre für mich auch die Ausnahme, die bestätigt was du sagst. Auf der anderen Seite das alte Herr der Ringe von Knizia von 2000, hat auch immer minimum 2 Stunden gedauert. Hat auch nie gestört.
These 2) Ich mag Nations, aber vermutlich ist es keine Civ.
These 3) Ich mag 95% aller Geschicklichkeitsspiele eh nicht. Da ist mir oft auch 5 Minuten zu viel. Und was ich mag, Carabande, würde ich auch nicht mit mehr als 4 spielen wollen. Keine Ahnung mehr wie lange das dauert.