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Helfen und Hitlern

Auch wenn ich hier zwei Crowdfunding-Projekte vorstellen will, bitte ich ums Weiterlesen – denn ich benutze die mehr so als Aufhänger um meinen Senf über ganz andere Dinge abzusondern, wie ich das sonst auch so gerne tue.

Als erstes ist da Give me Five – eine Spielesammlung für Flüchtlinge. Natürlich brauchen Flüchtlinge so viel mehr als nur Spiele, aber Spiele helfen eben auch, sich in einer unbekannten Umgebung, fernab der Heimat einigermaßen Wohlzufühlen und sich zurecht zu finden. Insbesondere in den nicht gerade optimalen Bedingungen einer Flüchtlingsunterkunft kann Spielen durchaus auch deeskalierend gegenüber Konflikten wirken. Ein sehr positives Projekt und ein schönes Zeichen der Willkommenskultur. Nicht zuletzt heißt es so schön auf der Webseite:

„Eines der akuten Probleme in den Unterkünften ist der Leerlauf. Die meiste Zeit des Tages verbringen die Menschen dort mit Warten. Kaum etwas aber kann Wartezeiten besser verkürzen als ein Spiel!Das gemeinsame Spiel ist eine der ältesten kulturellen Handlungen der Menschheit. Gerade im Mittelmeerraum gehören Brettspiele wie Backgammon und Domino bis heute zum täglichen Zeitvertreib.Spiele bringen Menschen der unterschiedlichsten Kulturkreise und Nationen an einen Tisch und können uns erkennen lassen, dass wir einander oft gar nicht so fremd sind, wie wir denken.“

(„Die meiste Zeit verbringen die Menschen mit Warten“  – ähnliches  schreibt auch die Jury. Insofern hoffe ich, dass die sich bei den Flüchtlingen ebenso beteiligt wie das Steffen-Spiele mit dem Projekt macht. Oder wie die Jury es mit der Bundeswehr macht. Ich habe gar nichts gegen deren Aktionen in der Aremee per se – auch wenn die Bundeswehr bei mir sicherlich nicht ganz oben auf der Liste der förderungswürdigen Gruppierungen steht. Aber ich stelle mir schon die Frage, ob Jury und Bundeswehr nicht noch aus ganz anderen Gründen zusammengehen – Die PR der Jury schadet der Bundeswehr sicherlich nicht und stimmt mit dem eigenen Selbstbild überein. Und der Artikel in der Spielbox, der mich fast schon an „embedded Journalism“ erinnerte, zeigt dass sich zumindest Felber umgekehrt auch gerne mit der Bundeswehr schmückt. Wie gesagt, da ist per se nichts gegen einzuwenden, aber für mich bleibt die Frage: Gibt es auch entsprechende Aktionen mit Feuerwehrleuten, die ja auch den meisten Tag warten? Passt das zu dem Verein, der keine Spiele mit Kriegsthema prämiert? Aber davon ab: Ich hoffe mal, dass die Jury die Flüchtlingsidee aufgreift und unterstützt! (Wobei Tric-Trac-Guido ja da durchaus schon aktiv ist).

Das zweite Projekt könnte kaum weiter von diesem ersten entfernt sein und es geht auch nicht um eine gute Sache, sondern um stinknormales Crowdfunding, damit ein Spiel produziert wird. Und dieses Spiel heißt Secret Hitler. Nun muss ich sagen, dass ich niemals gedacht hätte, dieses Spiel zu empfehlen, denn der Autor ist Max Temkin, der Autor von Cards against Humanity. Und das mag ich gar nicht.Ich hatte daher auch gedacht: „Und jetzt provoziert er eben mit Hitler“. Aber tatsächlich ist das Spiel anscheinend viel mehr: Es handelt sich um ein Spiel mit geheimen Rollen: Die Demokratischen Parteien und die Faschisten. Die Faschisten müssen versuchen sich wählen zu lassen und Faschisten-Gesetze durchzudrücken. Tatsächlich sind die Demokraten in der Mehrheit und könnten das verhindern, aber da sie nicht wissen, wer wer ist, blockieren sie sich gegenseitig. Oder schränken ihre eigenen Rechte ein, um die Faschisten besser aussortieren zu können – ein Spiel mit dem Feuer.

Was mir daran gefällt, ist dass es tatsächlich eine spielerische Interpretation der Geschehnisse der Weimaer Republik ist. Und das ist etwas, dass uns in letzter Zeit häufiger begegnet: Spiele über ernste Themen. Da war Freedom – The underground Railroad, dass sich mit dem Sklavenhandel auseinandersetzt, da sind die beiden Antikriegsspiele The Grizzled und This war of mine (Das 2016 erscheint) und da ist Bycatch , dass Dronenkriege thematisiert. Spielen kann so auch eine Möglichkeit sein, sich auch mit solchen Thematiken auseinanderzusetzen. Im Computerspielbereich läuft sowas schon länger (man denke an Papers Please ) und das nicht ohne Grund: Medien sind eine Ausdrucksform und sie dürfen durchaus auch mal mehr ausdrücken außer „Ich kann besonders effizient Schafe handeln“. Nun ist Secret Hitler ein paar Meilen von den anderen genannten entfernt – der Titel ist natürlich reines Marketing und wie ernsthaft die Sache jetzt ist (im Vergleich z.B. zu Churchill, bei dem auch Entscheidungen nachvollziehbar gemacht werden) kann ich auch nicht beurteilen. Ganz kann Temkin seine Cards-against-Humanity-Wurzeln eben nicht leugnen. Aber wenn ein solches zumindest ansatzweise ernstes Spiel einen solchen Crowdfundingerfolg feiert, wie es das derzeit tut, dann bedeutet das, dass es einen Markt für ernsthafte Beschäftigungen gibt. Und das ist  in meinen Augen ein gutes Zeichen.

Peer Sylvester
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