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An die Hand oder ans Hirn nehmen?

Ich verstehe dieses Blog ja auch als Service für die Leser („auch“ weil es in erster Linie ja dazu dient meinem Ego zu streicheln). Und einen meiner Leser habe ich letzte Woche auf einer Party getroffen. Dieser Leser macht Umsetzungen von Brettspielen auf Apps und wollte meiner Meinung bezüglich Tutorials hören und ich dachte ich gebe unsere Diskussion etwas zusammengefasst an die Leser weiter.

Disclaimer: Ich bin zwar mit Computern aufgewachsen (mein Vater ist ITler und wir hatten unseren ersten MS-Dos-PC so ca. 1981) aber gar kein Experte für Informatik. Oder auch nur moderne Computerspiele (von Pro Evolution Soccer 2013 (sic)  abgesehen war das letzte Spiel, dass ich ausführlicher gespielt habe Portal 2). Da ist z.B. Jürgen sicherlich der bessere Ratgeber, weil vom Fach. Ich kann da nur die Perspektive eines normalen User bieten, der sich etwas mit Brettspielen auskennt.

Tutorials sollen bei Brettspielen ja den Einstieg in das Spiel erleichtern. Eines der großen Vorteile von Computerspielen ist ja gerade dass man sie auch ohne Regellektüre spielen kann. Bei Brettspielumsetzunge gibt es da aber sogar zwei Ebenen: Einmal die reine Bedienung des Spieles (Wo muss ich clicken, um was zu machen? Wo kann ich welche Informationen einsehen?) und dann sind da noch die eigentlichen Spielregeln des Brettspieles (Worum geht es eigentlich?), die ebenfalls verstanden werden wollen. In den normalen Computerspielen gibt es drei Möglichkeiten: 1) Die Spielregeln sind so intuitiv, dass sie nicht mehr erklärt werden – z.B. bei Egoshootern gilt i.A. die reale Physik 2.) Das Herausfinden der Regeln ist Bestandteil des Spielzieles oder 3) Die Spielregeln werden im Rahmen des Tutorials erklärt.

In Brettspielumsetzungen kann natürlich nur der dritte Punkt gelten, aber dennoch beschränken sich viele Tutorials auf die Bedienung und setzen die Spielregeln vorraus. Oft kann man die Spielregeln extra lesen, sind aber nicht Bestandteil des Tutorials. Die Logik ist, dass die Käufer einer Brettspielumsetzung das Ortiginal bereits kennen und nicht mehr über die Regeln aufgeklärt werden müssen und vielleicht bestenfalls eine kleine Regelauffrischung benötigen, für die eine schriftliche Regel ausreicht.

Ich halte das für eine Fehleinschätzung. Ich benutze z.B. gerne die günstigen Apps um ein Brettspiel kennenzulernen, bevor ich es mir in real kaufe. Und da ist es schon sehr ärgerlich, wenn ich die Regeln und die Bedienung getrennt lernen muss (zumal ich sehr ungern Regeln am Computer oder auf dem Tablet lese). Nun will ich nicht von mir auf die Allgemeinheit schließen, aber ich denke hier geht durchaus eine potentielle Möglichkeit für die Verlage flöten, neue Käufer für die physischen Brettspiele über die Apps zu gewinnen. Ich bin mir aber auch bewusst, dass Leute, die das Original kennen, kein Regeltutorial benötigen. Die Lösung könnte eine gestufte Hilfe sein: Ein ausführliches Tutorial für diejenigen, die auch eine Regelerklärung benötigen und ein Kurztutorial, welches lediglich in die Bedienung einführt. Mir ist allerdings keine App bekannt, die diese gestufte Hilfe bietet (Tutorials dürften zusammen mit einer KI der auffwendigste Teil eines Programmes sein. Vermute ich jetzt einfach mal in den Raum hinein).

Doch die eigentliche Frage des Lesers ging noch weiter: Er war überrascht, dass sein Auftraggeber viel mehr strategische Hinweise haben wollte, mit der Begründung, Neulinge sollten nicht frustriert werden, wenn sie gegen erfahrene Spieler oder die KI haushoch verlieren. Sein Argument war, dass gerade bei Brettspielen ein Teil des Reizes doch darin besteht, die möglichen Strategien auszuloten. Die Frage war auch, ob diese Tipps im Rahmen des Tutorials gegeben werden sollten.

Das ist nun eine ganz allgemeine Philosophiefrage: Selbst am Spieltisch stellt sich die Frage, wie viele Hinweise man Neulingen gibt. Oder ob man Tipps in die Spielregel schreibt. Die Geschmäcker sind da sehr unterschiedlich: Der eine möchte sich ein Spiel möglichst eigenständig erschließen und alles mögliche ausprobieren, der andere liest bereits vielleicht vor seiner ersten Partie alle möglichen Strategiediskussionen, um schon für die erste Partie möglichst gut vorbereitet zu sein. Ich gehöre eher zu denjenigen, die Strategiediskussionen im Vorfeld vermeiden und sich selbst an einer Taktik versuchen wollen. Andererseits bin ich aber durchaus dankbar, wenn es ein paar Erfahrungswerte bezüglich Fußangeln gibt, in die man tunlichst nicht fallen sollte. Wenn ich weiß, dass ich aus einer Schuldenspirale bei Amun Re kaum noch herauskomme, dann achte ich auf mein Einkommen besser, als wenn ich das nicht weiß. Wenn ich weiß dass die Strafen für nichterfüllte Volksplättchen bei Trajan höher sind, als der normale Ertrag, dann kann ich zumindest entscheiden entsprechend zu priorisieren. Und ich denke auf diesem Niveau könnten auch Spieltipps bei Brettspielumsetzungen liegen – im Rahmen des Regelerklärungstutorial. So könnte bei Catan (ich kenne die App nicht) beim ersten Mal, wenn der Spieler mehr als 7 Rohstoffe auf der Hand hat, eine entsprechende „Räuberwarnung“ erscheinen. Das hilft Anfängern das Spiel zu verstehen, auch wenn sie die Regel eigentlich schon kennen, macht aber sonst nicht viel aus.

Zusammengefasst: Ideale Spieltipps sollten sich darauf beschränken vor typischen Fehlern zu warnen und auf wichtige Zusammenhänge hinzuweisen. Eine Strategie vorzugeben oder verschiedene Strategien nebeneinanderzustellen halte ich aber in den meisten Fällen für übertrieben. Ich denke da auch an Schach, die Mutter aller Brettspielumsetzungen. Schachprogramme enthalten oft eine Schachschule, die sich an absolute Anfänger richtet und grobe Patzer vermeiden hilft (wie Springer ohne Grund an den Rand zu stellen oder seine Dame nicht gegen einen Läufer zu tauschen, wenn es dadurch nicht einen enorme Stellungsvorteile gibt). Die Diskussion Königsindisch vs. Damenindisch findet sich dann aber eher in den weiterführenden Schachbüchern (war zumindest früher so).

Aber vielleicht sehe ich das auch falsch? Was meinen meine Leser?

ciao

peer

Peer Sylvester
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1 Kommentar

  • Ich kann schon mal sagen, dass Days of Wonder schon in einigen Interviews gesichert hat, das durch die App die Zahl der verkauften Zug um Zug gestiegen ist. Das ging sogar soweit, das man auf dem Amazon fire, Das Brettspiel aus der App heraus bestellen konnte. Ein sinnvoller Service, den die Verlage nicht unterschätzen sollten.

    In allen anderen Fällen gebe ich dir recht. Erst Text zu lesen, sorgt dafür das ich die App schließe. Mich auch durch ein Tutorial zu quälen, das ich nicht will, ist ebenfalls dämlich. Und Tipps sollten eher allgemeiner Natur sein. Sowas findet sich ja auch öfters in Spielanleitungen. Wer mehr will könnte ja zB eine Beschreibung der Strategien der verschiedenen KI Gegner bekommen. Das ist dann aber in der Hand der Nutzers.