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Geknackt oder gespielt?

Egal ob mir Friedemann Frieses Spiele gefallen oder nicht: Ohne ihn wäre die Spielelandschaft deutlich ärmer. So wie die Filmszene das Sundance Festival  braucht, braucht die Spieleszene Kleinverlage, die Spiele einfach mal machen, ohne vorher lange zu analysieren, ob der Markt für diese spezielle Idee jetzt groß oder klein ist. Unter dieser Prämisse verfolge ich regelmäßig sein Freitags-Projektblog. Und da gab es neulich einen kleinen Rant:

„Ein Spiel muss gefühlt 1 Millionen verschiedene Plättchen/Karten/o.ä. beinhalten, damit es “ernst” genommen werden kann, um dann einen Monat später das nächste Spiel dieser Art in die Diskussion zu bringen. Es muss also eine theoretische Wiederspielbarkeit für 10.000 Jahre geben damit man das Spiel ein halbes Jahr “lieb” haben kann. Ich hoffe, dass die “”Spieleszene”“ davon mal irgendwann wieder “runter” kommt. Ich finde Spiele immer noch geil, die mit wenig viel erreichen können und habe kein Problem z.B. bei Ave Caesar immer wieder zu wissen wie das Spiel abläuft und es trotzdem immer wieder zu spielen.“

Da spricht Friedemann einen wichtigen Punkt an. Nicht den Wiederspruch zwischen Wiederspielreiz und Halbwertszeit bei Spielen – das betrifft eher eine (sehr laute) Minderheit. Nein, vielmehr den Trend zu groß angelegten Spielen, deren Mechanismen erst einmal so angelegt sind, dass sie verwirren.

Ich weiß nicht, ob es tatsächlich ein neuer Trend ist, aber ein Spiel, dass aus vielen Teilen besteht, ist natürlich erst einmal schwieriger zu erfassen, als ein Spiel, dass aus wenigen Teilen besteht. Viele Vielspieler reizt es ein Spiel erst einmal auszuloten – welche Teile sind wichtig? Auf was muss man sich konzentrieren? Beherrsche ich die Kunst 16 Dinge gleichzeitig zu berücksichtigen? Welche Wertung ist mir am wichtigsten? Was bringt die Option „Reintegration“? Ist das geschafft, kann das nächste Spiel kommen. Insofern hat ein komplexeres Spiel mit verschachtelten Regeln erst einmal einen höheren Entdeckerbonus als ein Spiel, bei dem nach einer Partie bereits alles klar scheint. Das mag der eine oder andere mit einem hohen Wiederspielreiz verwechseln.

Und doch ist das natürlich ein Trugschluss. Schach, Skat, Go oder Backgammon haben keine komplizierten Regeln. Die Zielvorgabe und der Weg ist klar. Und dennoch ist der Wiederspielreiz sicherlich nicht gerade niedrig… Ein hoher Wiederspielreiz ergibt sich für mich dann, wenn es bei jeder Partie zu neuen, überraschenden Situationen kommt, bei denen ich neue Entscheidungen treffen muss. Wiederspielreiz hat für mich (fast) nichts mit Komplexität oder Spielanalyse zu tun. Im Gegenteil: Ich empfinde viele Spiele mit verschachtelten Ebenen oft als „geskriptet“ – meistens muss man eh alles irgendwie machen und daher ähneln sich die Partien oft. Ich will nicht sagen, dass verschachtelte „Alles-ist-wichtig“-Spiele per se einen geringeren Wiederspielreiz besitzen, aber es ist eben deutlich schwieriger viele unterschiedliche Wege in ein System hoher Komplexität so einzubauen, dass es keinen Königsweg gibt, als in ein System, dass von sich aus transparenter ist und so entsprechenden Analysen des Autoren  nicht im Weg steht. Wer sich den Markt der Worker-Placement-Spiele ansieht wird entdecken, dass der Trend tatsächlich immer mehr zur Taktik führt, immer mehr hin zu „Knacke das System“. Ich habe Lew Pulsipher immer dafür kritisiert, dass er Euros als „Puzzles“ bezeichnet, die „mehr Rätsel als Spiel“ sind – aber tatsächlich geht der Trend wohl in diese Richtung.

Nun mag man meinen, meine Trauben wären sauer und ich versuche anderen meinen Spielegeschmack aufzudrücken. Ich frage mich aber ernsthaft: Ist dem so? Als Beispiel möchte ich einmal Hansa Teutonica in den Zeugenstand rufen: Ein regeltechnsich glasklares Spiel. Jeder Zug ist überschaubar. Es gibt wenig Tricks und doppelten Boden. Es gibt keine Regel zu viel. Und doch bietet das Spiel nicht nur höchst unterschiedliche Spielverläufe, sondern war auch bei Erscheinen der Hit von Essen. Auch wird die Knizia-Hochphase Ende der 90er gerne als „Goldene Zeit der Brettspiele“ bezeichnet. Zwar garantiert nicht von mir, aber ich müsste mich schon sehr wundern, wenn ein „Euphrat & Tigris“ heute keinen Erfolg hätte.

ciao

peer

Peer Sylvester
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