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Flexible Spielregeln?

Achtung , im nächsten Satz gebe ich einen subtilen Hinweis!

Beim Schreiben der neuen Rezi zu Escape from the Aliens from outer Space frug ich mich: Sind Varianten eigentlich nun prinzipiell gut oder nicht?

Mit „Varianten“ meine ich nicht Hausregeln, sondern die Varianten, die vom Autoren vorgesehen sind und sich meistens in den hinteren Gebieten der Spielregel aufhalten und oft mit „Profiregeln“ oder ähnlichem Unsinn überschrieben sind.

Bislang habe ich immer auf der Seite der Varianten gestanden: Prinzipiell ist es doch schön, wenn man ein Spiel noch seinen Bedürfnissen anpassen kann! Ist einem das Spiel zu einfach, benutzt man die Profiregeln. Ist dem Verlag das Spiel zu schwer, so bietet er die Originalregel als Profiregel an und die geht nicht verloren. Will man zu zweit oder zu zehnt spielen, gibts Sonderaspekte. Usw. Fällt eigentlich alles unter „guter Service“ , bei dem die Spieler nur gewinnen können. Dabei ist die Verwendung der Varianten nur auf eine kleine Zielgruppe zugeschnitten: Mögen die Spieler das Spiel im Grundspiel, brauchen sie keine Varianten. Mögen sie es überhaupt nicht, dann werden sie kaum auch noch die Variante ausprobieren. Wer aber mehr Abwechslung mag oder das Spiel prinzipiell interessant findet, aber nicht so 100%ig glücklich ist, bekommt sinnvolle Anregungen, das Spiel zu verändern, die auf den Erfahrungen des Autoren basieren (*).

Doch dann kam Seeland. Dort gibt es zahlreiche Varianten, welche die Spieler miteinander kombinieren können oder auch nicht. Sicher, es war nicht das erste Spiel mit einer Tonne optionaler Regeln, aber in den meisten Fällen gab es die Varianten entweder in der Erweiterung (wie z.B. bei RoboRally) oder es war ein einfaches Zwischendurchspiel, bei dem man mal wöchentlich ein, zwei Partien wagen kann und so viele Gelegenheiten hat, das eine oder andere zu variieren (Igel ärgern, Verflixt). Bei Seeland jedoch sprechen wir von einem „großen“ Taktikspiel. Hier mal an den Regeln zu drehen, bedeutet eine ganze Stunde Investition. Und der angebotene Service verpufft: Wenn mir Seeland nicht so recht gefällt, ich nun aber nicht genau den Finger darauf legen kann, worauf das liegt – was mache ich da? Ich kann die eine oder andere Variante ausprobieren oder die eine oder andere Kombination und dann eine andere… Letztlich mache ich dann nichts anderes als ein Spiel testzuspielen. Wenn ein Prototyp entwickelt wird macht man nicht anderes: Das Spiel ist zu 95% fertig, aber es fehlt noch ne Kleinigkeit. Also spielt man ein bisschen mit den Variablen herum, bis es einen gefällt- Das gehört zur Autorenarbeit dazu. Das den Spielern zu überlassen ist nun aber nicht mehr unbedingt Service, denn den Spielern fehlt die Führung. Ich will jetzt niemanden unterstellen (und dem Arbeitstier Wolfgang Kramer schon gar nicht), er wäre schlicht zu faul gewesen, ein Spiel fertig zu stellen, aber der Effekt ist derselbe. Wenn mir eine Anleitung sagt: „Man kann das so oder so oder so spielen.“, dann sage ich „Ja, schön, aber wie ists am besten? Welche Unterschiede gibt es für die einzelnen Versionen?“

Letztlich ist  es auch ein psychologisches Problem: Wenn ich ein Spiel kaufe, möchte ich es spielen. Ich möchte keine Zeit dafür opfern, herauszufinden, wie ich es nun am besten spiele. Das ist auch das Problem mit Spielsammlungen á la Stonehenge: Dort werden mir mehrere Spiele angeboten, ohne Hinweis darauf, was ich machen soll. Bei Escape… ist das sogar noch extremer: Gefällt mir das Spiel nicht, liegt es dann am Spiel oder an der gewählten Variante? Welche Varianten geben mir denn dort den besten Eindruck? Das alles wirkt sich kontraproduktiv auf den Eindruck, den das Spiel vermittelt, auf (nicht unbedingt auf das Spiel selbst).

Nein, Autoren und vor allem Verlage sind gut beraten, wenn sie sich auf 1 oder 2 Varianten beschränken und diese zudem gut begründen. Mehr wäre in der Tat weniger. Denn die überzähligen probiert eh kein Mensch aus – ausser jemand, der sie ggf. als Erweiterung gekauft hätte. Wenn es mehr Varianten gibt, so nützen die nur etwas, wenn sie mit etwas Begleittext eingeführt werden: Das und das hat dne Effekt. Ich empfehle das mit der und der zu kombinieren… Dann werden sie nämlich auch gespielt.

Sonst sind sie nur da. Sie stören nicht, sie helfen nicht. Sie sind nur da.

ciao

peer

 

(*) In meinen Prototypen kommen Varianten eigentlich nicht vor, weil ich sie selbst praktisch nie verwende. Eine Ausnahme gibt es: Bei einem Spiel ist das Grundspiel einfacher, auf Kosten einer thematischen „Lücke“. Will man es thematischer haben, wird das Spiel schwieriger – für Anfänger zu schwierig. Daher die Variante.

Peer Sylvester
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4 Kommentare

  • Mein erster Gedanke beim lesen, war Fresko, wo die ganzen kleinen Module als Varianten wirken. Aber es sind Erweiterungen, weil sie das Spiel erweitern. Das Grundspiel macht schon so Spaß, aber die Erweiterungen wollen ausprobiert werden.

    Bei Alhambra habe ich irgendwann aufgegeben, weil es schwer genug war für jede der 20 Module zu entscheiden ob mit ihnen gespielt werden soll oder nicht. Und es waren halt nicht nur Erweiterungen, sondern auch Varianten.

    Seeland mag ich mich nicht äußern, habe ich nie gespielt, aber bei Igel ärgern hat es gut funktioniert. Damals. Es bleibt vielleicht die große Ausnahme.

    Insgesamt muss ich dir recht geben. Die Verlage, Redakteure und Autoren tun sich und ihren Kunden keinen Gefallen mit solchen Varianten. Als letztes Beispiel bleibt mir da Müll & Money in Erinnerung. Ein Super-Spiel. Aber der Autor hat trotz der Meinung des Verlages auf eine Variante als Beilage bestanden, welche mir eher einen Schauder gibt.

  • Ja Bei Fresko funktioniert es und zwar genau weil klar ist, was man bekommt: Mit jedem Modul wird das Spiel eine Stufe komplexer. Das ist eindeutig und da kann man selbst entscheiden, wie weit man gehen will.

  • Na ja, vielleicht will man mit den unterschiedlichen Regeln unterschiedliche Zielgruppen erreichen. Ich würde das nicht so eng sehen und nicht jeder ist gezwungen, sie zu nutzen.