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Erwartungspsychologie

Wie stark doch Erwartungen den Spielspass beeinflussen können! Ein schönes Beispiel: Fussball-Ligretto. Das gabs im Bergedorfer Karstadt für unglaubliche 50 Cents und da die Kritiken sehr positiv waren (und wir früher gerne Ligretto gespielt haben) nahm ichs mit. Sagen wir mal so: Ich hatte mehr erwartet. Z.B. den Spielspaß und die Leichtigkeit von Ligretto. Aber darum solls hier gar nicht gehen: Interessant sind die unterschiedlichen Erwartungshaltungen: Die Rezis die ich gelesen habe, waren nicht nur überwiegend positiv, vielmehr hieß es, das Spiel sei viel besser, als sie erwartet hatten. Klar, wer vor einem großen Fussballturnier (der EM z.B.) ein Spiel wie „Fussball-Ligretto“ zugeschickt bekommt, wird sich um das Recht es zu rezensieren nicht gerade reißen. Wenns dann wider erwarten doch recht ordentlich und eigenständig ist, wird man positiv überrascht und bewertet es vermutlich besser, als ein ansonsten vergleichbares Spiel, an dass der Rezensent vorher keinerlei Erwartungen geknüpft hatte. Umgekehrt wird man nach positiven Besprechungen etwas Besseres erwarten und enttäuscht. Hier wirkt sich die Erwartungshaltung negativ auf eine objektive Beurteilung aus. Ähnliches gilt, wenn im Vorfeld ein Spiel bereits hochgelobt wurde – Kleopatra und die Baumeister oder Tempus lassen grüßen. Diese Form der Beeinflussung ist Rezensenten nicht unbekannt, aber es gibt noch andere lustige Effekte, die eine Wahrnehmung stören können und die weniger offensichtlich sind:

So haben Psychologen herausgefunden, dass Menschen dazu neigen  im nachhinein ihre Meinung zu rechtfertigen – auch wenn sie ganz zufällig zustande kam! Insbesondere wird eine Entscheidung, die mit sehr kostspieligen oder mühseligen Folgen verknüpft war, im Nachhinein grundsätzlich positiver eingeschätzt, als eine andere mit weniger weitreichenden Folgen. Im Fall von Spielen erklärt dies, warum teure oder seltene Spiele oft als überdurchschnittlich gut bewertet werden. Wer Jahre gebraucht hat um z.B. ein „Schwimmende Inseln“ zu bekommen, wird das Spiel (im Schnitt) besser bewerten, als jemand, der die Neuauflage in Essen probespielen konnte: Der erste rechtfertigt (unbewusst) seine lange Suchphase im Nachhinein (*). Das Phänomen erklärt auch, warum Neuauflagen von „Klassikern“ nicht selten enttäuschen: Ohne den „Seltenheitsfaktor“ fehlt ein Teil der Motivation. Lernen können wir daraus, dass Bewertungen von überdurchschnittlich teuren Spielen mit Vorsicht zu genießen sind… Vielleicht erklärt dieser Effekt gar die Diskussion um die Greed-Bewertung der letzten Spielbox? Von der Bewertung der Yvio bei den Käufern ganz zu schweigen… (Ich habs sie jetzt übrigens auch. Naja. Vielleicht hätte ich mehr bezahlen müssen, um sie toll zu finden). Als besonders gravierend hab ich diesen Effekt damals bei „Meine Schafe, deine Schafe“ wahrgenommen: Als es nur als französischer Import erhältlich war, galt es als absoluter Geheimtipp, als Superspiel, als „das bessere Carcassonne“. Dann brachte Goldsieber eine deutsche Ausgabe heraus… und Ernüchterung machte sich schnell breit.

Noch ein nettes Experiment: Ein Probant sollte die Länge eines Papierstreifens einschätzen. War eine leichte Aufgabe, aber alle anderen im Raum (Schauspieler, aber der Probant dachte, es wären ebenfalls Probanten) schätzten den Streifen offensichtlich falsch ein. War es an der Reihe des armen echten Probanten seine Meinung kund zu tun, so bestätigte er in der Mehrheit der Fälle die (falsche) Einschätzung seiner Mitstreiter – wider besseren Wissens! Der Effekt ist allerdings sehr viel kleiner, wenn die anderen nicht physisch anwesend waren. Was folgt daraus für die Einschätzung von Spielen? Was Rezis und Diskussionen im Internet betrifft: Eher wenig. Wie erwähnt ist der Effekt hier recht klein (und das kann jeder, der schon mal Spielbox oder BGG genutzt hat, gerne bestätigen). Interessant ist es aber für Spieleautoren: Mögen drei Tester einen Mechanismus überhaupt nicht, schließt sich der vierte eher an, auch wenn er eine abseitige Meinung vertritt (und umgekehrt). Das gilt es bei den Testrunden zu berücksichtigen. Abschwächen kann man den Effekt durch eine schriftliche Auswertung, die der mündlichen Auswertung vorgeschaltet ist.

ciao

peer

(*) Natürlich können Leute das Spiel „auch so“ toll finden, es geht um den Durchschnitt. Und Schwimmende Inseln war nur ein Beispiel und kann durch jedes vergleichbare Spiel ersetzt werden.

Peer Sylvester
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