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Hab´ keine Zeit, muss Spiele auspacken

Kaum ist die Messe vorbei, klingelt schon das Telefon: „Hast Du heute Abend Zeit? Wir zocken da und dort…“. Was tun als alter Vielspieler? Es tut zwar weh, aber es geht einfach nicht. Entweder liegt man völlig platt im Bett und muss erst mal wieder Kraft sammeln oder man ist zwar fit, hat aber trotzdem keine Zeit, weil die ganzen Neuheiten ja erst einmal ausgepackt sein wollen, das Material sauber in Tütchen verpackt, und dann ja ach die neuen Besitztümer bei boardgamegeek.com und in private Excel-Listen eingetragen werden müssen.
Da kann man wirklich nicht auch noch einen Spieleabend unterbringen. Überhaupt Spielen… Da fragen einen die lieben Kollegen am Tag nach der Messe sofort, was sie denn der Familie nun zu Weihnachten schenken können. Als ob man da als Vielspieler sofort eine Antwort parat hätte. Geht doch gar nicht. Erst müssen doch die ganzen Messeberichte gelesen werden. Wissen was die anderen denken ist doch unheimlich wichtig. Das fängt ja schon auf der Messe an: „Welches ist denn Dein Highlight?“, „Und, was muss man gespielt haben?“
Da kann man nicht ungeprüft Empfehlungen raushauen…

Ich geb´s ja zu: Ich sitze mitten im Glashaus: Jeden Abend treffen wir uns bei Schluss der Messe und machen unseren berühmten Tütenvergleich. Da steht man zu zehnt am Ausgang und tauscht sich erst mal aus: „Welches ist denn Dein Highlight?“, „Und, was muss man gespielt haben?“. Ja, wir waren das, die den Ausgang in Halle 5 jeden Abend blockieren…
Dennoch: Das ist für mich fast das schönste an der ganzen Messe in Essen. Das Treffen mit Gleichgesinnten, der direkte Austausch und das gemütliche Zusammenstehen (wer Sitzplätze übrig hat, möge sich bei mir melden). Und jedes Jahr verabschieden wir uns sonntagabends mit viel Wehmut und den Worten „Na dann bis zum nächsten Jahr!“.

Am gestrigen Montag haben ich schon die erste Hälfte der Neuheiten ausgepackt, heute soll der zweite Schwung folgen. Toll, die gesamte Wohnung riecht dann immer wie eine Giftküche, vor lauter Lösungsmitteldämpfen. Aber: China-Produktionen sind im Vergleich zum letzten Jahr deutlich seltener in unseren Einkaufsbeutel gewandert. Hoffentlich ein gutes Zeichen dafür, dass wieder in heimischen Gefilden produziert wird – überprüft habe ich das Herstellungsland aber noch nicht.

Nun denn, was ist denn so hängen geblieben von der Messe? Zunächst das Gute.
Cities von EMMA hat uns wirklich gut gefallen. Auch Kaiza von Yun – ja Yun-Games, wir waren auch überrascht – gefiel. Dass meine Liste mit solchen Kleinoden beginnt, mag überraschen, aber die großen Verlage machen wir frühestens am Sonntag und dann schaffen wir nicht alle. Also fehlen uns noch HiG und Kosmos. Immerhin konnten wir Diamonds Club – doofer Name, doofe Schachtel – spielen. Hat uns ausgesprochen gut gefallen.
Außerdem sind wir über das Thema und die Grafik zu locken. Daher war auch Giants von Matagot einen Einkauf wert. Als einziges mehrstündiges Spiel haben wir in Essen LeHavre komplett gespielt. In meinen Augen weniger zugänglich als Agricola, aber dennoch sehr fein verwoben. Durch die Aufmachung haben wir uns zu einem Kauf von Planet Steam verleiten lassen. Eva sagte: „Nachher ärgerst Du Dich, wenn es ausverkauft ist, also nimm´ mit…“. Dafür habe ich mich letztlich bei Leader 1 nicht hinreißen lassen, auch wenn die Erklärerin hinreißend war.
Abstrakte Zweier konnten uns in diesem Jahr auch überzeugen. Genannt seien insbesondere Kamisado (auch wenn ich das Material wirklich häßlich finde) und High 7 (bei dem der Autor plötzlich neben mir stand und mich ob meiner grandiosen Niederlage gegen meine Frau bemitleidete).
Von den thematischen Spielen hat uns Comuni gut gefallen, hier haben wir gemeinsam mit Jost (ja, der berühmte Jost aus dem Forum) ca. ein Viertel der Partie angespielt. Danke für die Erläuterung von dieser Stelle aus. Zurück zu den kleineren Verlagen: Die Händler vom Forum Romanum sprach uns unmittelbar an. Bei dem tollen Preis ein Pflichtkauf. Bei Kartenspielen angekommen ist auch unbedingt noch Sieben zu nennen. Das hat klassisches Absacker-Niveau! Von Absacker ist es sprachlich nicht weit zu Aufsteigern. Gleichnamiges Spiel haben wir uns vom Autor erläutern lassen und dann einer Partie des Paares mit nur einer E-Mail-Adresse zugeschaut. Das führte letztlich zu einem Kauf – auch wenn der Autor überrascht war, dass er die Schachtel nicht mit seinem Namen bekritzeln durfte. ;-) Viele Grüße!

Die mittlere Stufe in der Spielebewertung wird z.B. gefüllt durch Viamala. Ein nettes Würfelspiel, welches leider in keiner Neuheitenliste auftauchte. Aber: Nur nett reicht eben doch nicht. Auch wenn der Stand wunderschön aufgemacht war. Hier sind auch Sator… (den restlichen Namen kennt der geneigte Leser), Strozzi und Powerboats gelandet. Trotz in allen Fällen guter Erklärung sprang der Funke nicht ausreichend heftig für ein Zucken des Portemonnaies über.

Kommen wir auch langsam zu den Negativpunkten auf meiner Liste: Crash by Crash haben wir nach einer Probepartie als Murks eingestuft, schade. Schlecht war auch die Erläuterung zu One more Barrel, wobei das Spiel im Nachhinein vielleicht gar nicht mal so schlecht sein könnte. Zugegebenermaßen waren leider auch die Erklärungen bei den beiden polnischen Verlagen in Halle 4 nicht ausreichend gut. Dadurch hat es nur Mozaika in den Einkaufskorb geschafft.

Bleibt noch Zeit für ein paar allgemeine Betrachtungen? Nun denn, am Sonntag hatte ich das Gefühl, das viele Aussteller insgesamt mit dem Erfolg der Messe nicht zufrieden waren. Ich wüßte keinen anderen Grund dafür, wieso einige Stände sonst schon um 17:30 abgebaut waren. Auch die Händler können eigentlich gar nicht zufrieden sein. Schaut man sich die Einkaufspreise und im Vergleich die Verkaufspreise an, kann selbst mit riesigem Umsatz kaum die Standgebühr erwirtschaftet worden sein. Nun denn, uns Endabnehmer hat´s gefreut.
Auffallend war auch, dass es in diesem Jahr kein Super-Special-Mega-Spitzen-Hype-Spiel gab. Also so eins, was schon am Samstag nicht mehr zu kaufen war, weil tausende Besucher einen Sofortkauf getätigt haben. Ich erinnere mich da z.B. an Carcassonne vor einigen Jahren.

So, genug geschrieben. Jetzt geht´s gleich auf ins Spielbox-Forum. Immerhin muss der geneigte Vielspieler ja auf dem Laufenden bleiben. Immer mehr wissen als der Rest der Spielerunde ist nunmal ein erklärtes Ziel. Und wo sonst erfährt man von den radikal limitierten Spielen die schon bald in Nürnberg erscheinen werden und die man zwingend vorbestellen muss…

Wer sich hier noch ein wenig weiter informieren möchte, dem seien Peers neue Rezensionen zu Táin und GiftTrap ans Herz gelegt.

Jürgen Karla