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Tucano, Fruit Picking und Artischocken

Ein Trend, ein Trend! Spieleverlage haben Obst& Gemüse als nettes, unverfängliches Thema entdeckt. Das begann bereits mit Punktesalat und wird mit dem angekündigten Juicy Fruits von Deep Print sicherlich nicht enden. Obst und Gemüse lassen sich schick in Szene setzen und es ist jedem klar: Eigentlich ist das Thema egal!

Heute in unserer Obstschale: Tucano, Fruit Picking und Artischoken!

 

Tucano

Verlag: Helvetiq
Autor: Théo Rivère
Spielerzahl: 2-4
Alter: ab 6 Jahren
Dauer: 15 Minuten

 

In seiner Rezension zu Punktesalat hat Georgios die niedrige Einstiegshürde gelobt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Leichtfertigkeit eben auch etwas substanzlos ist.

Tucano ist durchaus mit Punktesalat vergleichbar, nur ist die Einstiegshürde hier  noch niedriger: Während bei ersterem am Ende Auftragskarten mit Gemüsekarten querverglichen werden, steht die Wertung bei Tucano bereits auf jeder Karte: Manche der abgebildeten Obstsorten zählen einfach pro Karte 1 Punkt, andere zählen besonders viele Punkte, wenn man mehrere davon hat, bei anderen nimmt der Wert mit jeder zusätzlichen Karte ab. Andere zählen immer negativ. Wieder andere zählen nur dann positiv, wenn man die Mehrheit an dieser Sorte hält. Usw – alles was man so an Punktwertungen kennt, aber gerade dadurch leicht erfassbar, zudem gut dargestellt.

 

Aus „es gibt auch schlechte Karten“ folgt sofort „Es muss einen Grund geben, warum man die abbekommt“ und ja, der ist da: Es darf immer nur eine von drei Reihen genommen werden und die dann komplett mit allem Grind, der sich dort angesammelt hat. Dann bekommt jede Reihe eine neue Karte. Auch das ist einfach und schnell zu durchschauen und hat man prinzipiell auch schon mal gesehen. Selten allerdings so schön auf den Punkt wie hier.

 

In der zweiten Hälfte des Spieles kommen dann noch Tukane dazu, die es erlauben Karten zu verschenken bzw. zu stehlen oder sich gegen das Klauen abzusichern. Nein, wirklich originelle Sonderaktionen sind auch nicht darunter. Aber wieder: Auch das führt dazu, dass sich Tucano schnell runterspielt und wirklich praktisch ohne Erklärung auskommt.  Hier liegt der große Reiz – Tucano belastet überhaupt nicht. Es bietet im Gegenzug natürlich auch keine nie dagewesenen Dilemmas: Nehme ich Stapel 1 oder 2? Stehle ich eine Feige oder eine Mango? Und von wem? Das sind die Kernpunkte des Spieles. Tucano hat die Substanz eines leichten Obstsalates. Ideal für den Snack zwischendurch, weniger ideal, wenn es einen ausgehungert nach anspruchsvollerem dürstet.

 

Fruit Picking

Verlag: Korea Boardgames
Autor: Jun-ichi Shinde
Spielerzahl: 1-4
Alter: ab 8 Jahren
Dauer: 15-30 Minuten

 

Ich mag mich täuschen, aber meine Hypothese ist, dass Jun-Ichi Shinde ein Fan des Stefan Feld Spieles Trajan ist und sich gesagt habe: Ich nutze den Zentralmechanismus für ein Familienspiel! Auch bei Fruit Picking hat jeder Spieler sein eigenes Brett mit kleinen Steinen drauf und nimmt als Spielzug alle dieser Steine hoch und legt sie wie bei Mancala einzeln auf die nächsten Felder. Das letzte Feld bestimmt die Aktion.  Wo Trajan jedem Feld eine andere Aktion zuweist (und jede Aktion für ein Minispiel mit eigenen Regeln steht), ist es hier fast immer dieselbe. Die Aktion, die ausgelöst wird ist wahlweise „bewässern“ (: Es kommen neue Steine in das Mancala-Rondell) oder „ernten“: (Man darf eine Marktkarte kaufen, aber nur eine, die dieselbe Frucht zeigt, wie das Feld, dass ausgelöst wird).

Ziel des ganzen ist es einfach Pokerkombinationen aus Marktkarten zu kaufen. Bezahlt werden die mit Steinen, die von einem Sonderfeld stammen, dem keine Frucht zugeordnet ist. Eine Regel, die leicht verwirrend ist – Die Art der Frucht und der Preis der Karte richtig sich nach dem aktuellen Feld, bezahlt wird aber mit einem gänzlich anderen Feld. Das muss man erst einmal verinnerlichen – insbesondere bemerkenswert, weil sich das Spiel ja auch eher an Familien richtet.

Nun macht man spielerisch nicht sehr viel mehr als mit seinen Steinchen im Kreis zu laufen und gelegentlich eine Karte zu kaufen. Das beschäftigt mehr als dass es unterhalten würde, zumindest bist man feststellt, dass alle Steine irgendwo im Rondell liegen und man noch nichts erreicht hat. Jetzt versteht man, dass es hier auf Effizienz ankommt – das „Bezahlfeld“, von dem die Preise bezahlt werden erlaubt, wenn dort der letzte Stein zu liegen kommt, einen weiteren Zug – auch mehrfach hintereinander, wenn das glücken sollte. So sind Kombis möglich – und ein bisschen Geknobel. Immerhin möchte man ja möglichst, schnell die Kombis zusammen bekommen, denn dann hat man gewonnen. Theoretisch könnte jeder übrigens genau dieselben Züge durchführen, aber das wird spätestens dann albern, wenn der erste Spieler, seine Markkarte gekauft hat und nur Karten mit anderen Früchten gekauft werden können. Daher bricht die Symmetrie meist schon deutlich schneller: Ein anderes Feld zu Beginn und schon sind die Auslagen komplett unterschiedlich.

Fruit Picking könnte auch „Rosinen picken“ heißen, denn es lebt davon, sich die optimalen Zügen herauszupicken. Gleichzeitig will es aber schnell gespielt werden, denn viel Substanz ist hinter der Jagd nach den Kombis auch wiederrum nicht. Wie alle drei hier vorgestellten Spiele ist auch Fruit Picking eher leichte, harmlose Kost, durchaus Wenigspielerkompatibel. Es ist aber auch sehr mechanisch und wirkt nicht zuletzt dadurch etwas unterkühlt – die coolen gelegentlichen Kombis gehen in den zum Teil langen Anläufen, dem mechanisch wirkenden Füttern der Felder, etwas unter.

 

Artischocken

Verlag: Amigo (meine Version von Gamewright)
Autorin: Emma Larkins
Spielerzahl: 2-4
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: 20 Minuten

 

Da sitzt die kleine zarte Artischocke
In ihrem wunderschönen Schockenrocke.
Und bebt vor Reisefieber.
Der Mensch beugt sich darüber
Und schneidet ihr schnippschnapp
Die grünen Blätter ab.
Und schneidet ihr schnippschnapp
Die grünen Blätter ab.


Dann wird ihr jäh das Herz herausgerissen,
Dann wird sie in was Heißes reingeschmissen,
Dann wird sie zerkaut
Und dann wird sie verdaut.
Hör zu, du Pflanzenfresser,
Du bist ja auch nicht besser.
Hör zu, du Pflanzenfresser,
Du bist ja auch nicht besser.“

  • Joint Venture: „Die zarte Artischocke“

 

Kommen wir mal vom Obst zu etwas handfestem: Gemüse nämlich.

Artischocken ist die deutsche Ausgabe von Abandon all artichokes , erschienen bei Gamewright. Der Verlag macht durch Aufmachung deutlich, dass er dieses Kartenspiel in der Tradition von Sushi Go sieht: Sushi Go war außerhalb Deutschlands international enorm erfolgreich – es handelte sich dabei um ein Draftspiel, dass auf den absoluten Kern reduziert wurde, aber durch Thema und Lockerheit und gerade genügend Komplexität in den verschiedenen Karten und Wertungsmethoden insbesondere Wenigspieler ideal anzusprechen vermochte.

Es ist jetzt deutlich zu sehen, dass Artischocken dasselbe im Deckbaubereich versucht. Dabei wird aber schnell klar: Deckbau ist bereits ein sehr viel abstrakteres Konzept als „Drafting“: Die „besten“ Karten immer für sich selbst zu behalten und den Rest weiterzugeben ist ein so einfaches Konzept, dass es jeder sofort versteht. Sich aber Karten ins Deck zu holen, um es später einfacher zu haben, sich weitere Karten ins Deck zu holen, ist bereits sehr viel technischer. In diesem Fall geht es darum dafür zu sorgen, dass man zu Beginn seines Zuges nur Karten zeigt, die keine Artischocken sind (der einzige Kartentyp, mit dem nix anzufangen ist und die einzigen Karten, die man zu Beginn hat). Das ist eine originelle Umkehr vom normalen Deckbau – was einem aber nur bewusst ist, wenn man „normalen Deckbau“ kennt. Dennoch: Das Ziel ist leicht zu erfassen. Und jedem ist klar, dass das Ziel dann näher rückt, wenn man Artischockenkarten aus dem Deck entfernen kann. Es gibt einige Karten, die das erlauben, also wird man sich eine solche Karte ins Deck holen, wenn diese auf dem ständig wechselnden Markr erscheint.

Es ist aber bereits deutlich weniger intuitiv – insbesondere für jüngere Spielende . was für ein Vorteil es hat, wenn man eine Nicht-Artischocke oben aufs Deck legt (also mit Sicherheit nachzieht – dass ich das hier nochmal betone, deutet auf der Metaebene auf das Problem hin). Und dass das Ziel „Keine Artischocken ziehen“ auch erreicht werden kann, in dem ich mir besonders viele Nicht-Artischocken-Karten ins Deck hole, wissen vor der ersten Partie nur Leute, die Deckbauerfahrung haben.

Ein weiteres Problem: Artischocken will schnell gespielt werden, wird aber immer wieder dadurch ausgebremst, dass der Markt gelesen werden will, wenn man dran ist – und auch die eigenen Handkarten müssen noch einmal vergegenwärtigt werden, denn man darf prinzipiell alle Karten spielen (auch die neu gezogene). Nun gibt das Thema nicht allzu viele narrative Anker her, was die Funktionen der einzelnen Kartensorten betrifft und was nun die Kartoffel oder die Zwiebel macht, muss ich fast jedes Mal nachsehen, wenn sie auftaucht. Das liegt auch daran, dass Artischocken halt so minimal ist, dass die Unterschiede zwischen den Karten eher subtil sind – mal zieht man zwei hier, mal dort…

Das alles sorgt dafür, dass ich Artischocken durchaus als interessant empfinde, aber nicht als clever genug designend, um wirklich zu gefallen. Es ist immer ein bisschen zu lang (etwas, was sogar meine Tochter anmerkt), wenn nicht jemand sehr viel Nachziehglück hat, insbesondere dafür, dass man viele Züge recht mechanisch runterarbeitet, weil es nicht viel zu tun gibt, wenn die Karten nicht wollen. Ich mag das Konzept, bin aber vom Spiel etwas enttäuscht.

Peer Sylvester
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