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The Kings Dilemma

Verlag: Horrible Guild (Vertrieb: Heidelberger)
Autoren: Hjalmar Hach, Lorenzo Silva
Spieleranzahl: 3-5 (eigentlich 4-5) Spieler
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 60 Minuten (+/- 30 Minuten) Die ganze Kampagne etwa 9-12 Stunden

Als Pandemic Legacy die Spitzenposition bei Boardgamegeek übernahm, wurde „Legacy“ nicht für weniger als die Zukunft des Spielens gehandelt. „Spielen“ würde eine neue Dimension bekommen: Mehr Immersion, interessantere Themen, aber auch (ironischerweise) eine höhere Nachhaltigkeit, weil ein Legacy-Titel regelmäßig bis zum Ende gespielt werden will. Seitdem kamen tatsächlich eine Reihe von Legacy-Titeln auf den Markt, aber eine Offenbarung in der Größenordnung von Pandemic Legacy war keiner davon. Die Spielenden reagierten insbesondere den kompetitiven Vertreter gegenüber bestenfalls mit einem „solide“ (Queensdale) und schlimmstenfalls mit Enttäuschung (Seafall).

The Kings Dilemma ist nun genau das Legacy-Spiel, von dem alle 2015 geträumt haben. Und das hauptsächlich weil es aus den Fehlern der Vorgänger lernt, nicht vom großen Vorbild kopiert, sondern seinen eigenen Weg geht.

Zwei Dinge sorgen bei Legacy-Spielen für großen Spielreiz: Zum einen die Freude am Unbekannten und zum anderen die Bezüge auf vergangene Partien. In Kings Dilemma wird beides angesprochen und beides auf eine andere Art und Weise, als bei anderen Spielen.

Beginnen wir mit dem Entdecken: Die meisten Legacy-Spiele nehmen „Entdecken“ wörtlich und überschütten die Spielenden mehr oder minder regelmäßig mit neuen Spielelementen. Das weckt den Forschergeist und triggert den Ü-Ei-Effekt, hat aber den Nachteil, dass die Regeln immer weiter zunehmen – der größte Nachteil von Betrayal Legacy waren die ganzen Regeln, die durch die ganze Kampagne mitgeschleppt wurde, nur um dann kaum gebraucht zu werden.Bei The Kings Dilemma ist dagegen vor allem die Zukunft das unbekannte Land, dass es zu entdecken gilt: Die Spielenden lenken die Geschicke des fiktiven mittelalterlichen Königreiches Ankist. Als königlicher Rat, der alle Entscheidungen trifft, bekommen sie jede Runde ein Dilemma auf den Tisch über das es zu entscheiden gilt – etwa ob man die Armee aussenden soll, um jemanden zu suchen, ob man den wirren Weissagungen des Hofnarren glauben soll oder ob ein hochranginger General, der Kriegsverbrechen begangen hat, zum Tode verurteilt werden oder begnadigt werden soll (alle Beispiele habe ich mir selbst ausgedacht, sind also keine Spoiler). Entschieden wird per Abstimmung: Man stimmt dafür oder dagegen oder enthält sich und kann seiner Stimme mit Macht mehr Gewicht verleihen – mehr Macht mehr Stimmen. Wer sich enthält kann ausgegebene Macht zurück erlangen oder als „Moderator“ bei Unentschieden entscheiden. Abgestimmt wird so lange, bis keiner mehr Macht einsetzt, als derjenige, der die meiste Macht geboten hat. Die Gewinnerseite verliert die eingesetzte Macht, die Verliererseite behält sie. Das kennt man ganz ähnlich durchaus auch aus anderen Spielen. Je nachdem, was gewählt wurde hat das Ereignis Auswirkungen – vor allem auf die 5 Ressourcen des Königreiches (Macht, Geld, Ehre, Nahrung, Wissen), die auf der Skala nach oben oder unten wandern. Versenkt das Königreich z.B. Reichtümer in ein neues Portrait für den König, so kostet dies der Schatzkammer Reichtümer, erhöht aber die Ehre. Mit den Markern mit wandert immer die Stabilität des Königreiches – Geht ein Marker nach oben, geht er auch nach oben, geht er nach unten wandert er auch runter. Schlägt der Stabilitätsmarker oben oder unten an, endet das Spiel, weil der König hinschmeißt, ansonsten endet es nach einer leicht zufälligen Rundenzahl mit dem Tod des Königs.

Noch ist nicht viel passiert – ein kleiner Machtverlust wird durch eine gefüllte Speisekammer überkompensiert

An diesem einfachen Ablauf ändert sich bis zum Spielende nichts. Allenfalls ein paar kleinere Varianten kommen kurzzeitig ins Spiel – etwa kleine Boni für besonderes Abstimmverhalten – die aber den eigentlichen Spielablauf nicht groß beeinflussen. Sticker für das Regelheft werden hier nicht gebraucht. Was hier entdeckt wird, sind keine neuen Regeln, sondern wortwörtlich die Zukunft des Königreiches. Denn Entscheidungen können auch langfristige Auswirkungen haben – simuliert durch zahlreiche Legacy-Umschläge. Bei vielen Entscheidungen kommen neue Dilemmas ins Spiel – wurde etwa die Armee ausgesandt, könnten Dilemmas ins Spiel kommen, dass die Armee verschollen ist, und ob man eine Suchexpedition losschicken will? Oder vielleicht hat man auch einen Krieg verursacht, wer weiß.

Wissen erhöhen und dem Volk negativ in Erinnerung bleiben oder die Schatzkammer zugunster der Speisekammer füllen. Was für ein Dilemma! Wer passt kann sich potentiell auf 4 Macht freuen – wenn niemand anderes ebenfalls passt

Die ständige Frage „Wie geht es hier weiter?“ treibt die Spieler in jeder Partie weiter. Und damit sind wir auch beim zweiten Punkt: Das Spiel kreiert Geschichte. Eine der Auswirkungen, die ein Dilemma haben kann ist ein Aufkleber, den der Meistbietende der Gewinnerfraktion unterzeichnen muss – er wird in Zukunft mit diesem Ereignis in Verbindung gebracht – das kann spieltechnisch positiv oder negativ sein, je nach Grund. Wer möchte denn schon mit einem fehlgeschlagenem aber kostspieligen Experiment in Verbindung gebracht werden? Diese Auswirkungen bleiben bestehen, bis sie irgendwann wieder in Vergessenheit geraten. Da das Ereignis auf dem Aufkleber kurz zusammengefasst wird, hat man auch in späteren Partien immer wieder vor Augen, was man mal verbockt hat. Und das macht Spaß und erhöht die Immersion.

Und das ist der Punkt, wo Kings Dilemma sich von der Konkurrenz abhebt. Ich mag Pandemic Legacy, aber die Geschichte und das Spiel sind schon ein Stückweit voneinander getrennt – Die Welt versank im Laufe der Kampagne im Chaos und man verteilt immer noch Flugblätter mit Hygienevorschriften. Das fühlte sich leicht unpassend an. Bei Kings Dilemma hingegen ist man schon aufgrund des Spielablaufes immer drin im Spiel – Man stimmt im Rat ab und das ist auch das Spiel. Die Entscheidungen haben realistische Konsequenzen und sind vor allem nicht 100%ig vorhersehbar – Ja das wird der Schatzkammer weh tun – aber wie sehr? Und wird es noch andere Auswirkungen geben? Man weiß es nicht! Wir hatten auch mehrfach den Fall, dass eigentlich niemand am Ausgang einer Abstimmung wirklich interessiert war, aber die Hoffnung auf Ruhm und Ehre (also einen positiven Sticker oder gar einen der seltenen anderen Boni) sorgte für einen wahren Bietkrieg – auf dieselbe Antwort! „Mir ist es egal, aber wenn wir es schon machen müssen, will ICH dafür verantwortlich sein!“ „Nein ICH!“. Wenn es ein Spiel schafft, nur mit der Hoffnung auf eine mögliche Belohnung Emotionen zu erzeugen, haben die Autoren viel richtig gemacht!

Bislang habe ich noch nicht darüber gesprochen, wie man Kings Dilemma gewinnt und das aus gutem Grund.

Ein Problem mit nicht-kooperativen Legacy-Spielen ist, dass wenn ein nicht vorhersehbares Legacy-Ereignis eine bestimmte Spielweise im Nachhinein subventioniert, schnell Frust erzeugt wird: Wenn ich in der ersten Partie mich z.B. auf Wasser konzentriere und mein Gegenüber auf Land und durch die Geschichte in der zweiten Partie zufällig Wasser bevorzugt wird (und ich meine Erfolge mitnehme), habe ich ohne eigenes Zutun einen Vorteil.

Ein Problem mit Verhandlungsspielen ist, dass sobald die Spieler das Spielende im Blick haben, es schwierig sein wird, ein Angebot zu finden, bei dem beide Spieler gleichermaßen profitieren. Natürlich kann man ggf. lügen, aber es wird bei vielen Verhandlungsspielen sukzessive schwerer vernünftige Angebote zu machen.

Kings Dilemma erschlägt beide Probleme mit einer recht ungewöhnlichen Klappe: Man weiß nicht, was die  erzielten Punkte bei Spielende wert sind. Punkte bei Kings Dilemma gibt es in zwei Geschmacksrichtungen: Ansehen und Ambition. Was diese Punkte bei Kampagnenende wert sein werden, weiß man nicht (kann aber natürlich Hypothese aufstellen). Bekommen tut man diese Punkte entweder, in dem bestimmte Zwischenziele (die vom gewählten Haus, also quasi dem verkörperten Charakter abhängen) erreicht werden oder bei der Endauswertung bei Spielende, wobei die erzielten Punkte von Position und der Art abhängen, wie das Spiel geendet hat: Ein erfolgreiches Legislaturperiode produziert mehr Ansehen, ein Land in Verfall und Chaos mehr Ambition. Bemerkenswert ist, dass hier jeder Platz – vom ersten bis zum letzten – Punkte bekommt, nur die Verteilung und Anzahl ist unterschiedlich. Die Platzierung hängt davon ab, wie gut man seine Auftragskarte erfüllen konnte – und das hängt wiederrum davon ab, wie welche Ressourcen bei Spielende vorhanden sind.

Wenig Ansehen und viel Ambition. Sozusagen Friedrich Merz.

Dadurch, dass es zwei Arten von Möglichkeiten gibt (Hausziele und geheimer Auftrag) auf was man spielen kann, kann  man sich Ziele setzen, ist aber auch flexibel genug, zwischendurch zu wechseln, wenn man bemerkt, dass man z.B. das Wissen einfach nicht tief genug gesenkt bekommt oder es dem Land zu gut geht, um ordentlich punkten zu können. Diese Aufträge sind das Salz in der Suppe und sorgen dafür, dass es im Rat auch wirklich was zu entscheiden, zu diskutieren und zu verhandeln gibt: Hilf mir für Ja zu stimmen! Was würde dich umstimmen? Neigst du als Tiebreaker eher zu Ja oder zu Nein und bist du bestechlich?

Dieses Haus lebt für den ehrlosen Krieg

Wie oben schon erwähnt: Das Spiel ist der Rat und das funktioniert, weil jeder seine eigenen, oft leicht konträren Interessen vertritt. Da aber ja niemand genau weiß, wer welche Punkte bekommt und was diese überhaupt wert sein werden, kann auch niemand durchrechnen und feststellen, dass ein möglicher Deal nur dem anderen nützt.

Dass man immer irgendetwas bekommt, auch wenn es mal nicht so läuft, ist aber auch gut, weil man muss schon loslassen können muss – will ich etwa einen bestimmten Marker nach unten bewegen, aber die Dilemmakarten geben diese Bewegung schlicht nicht her, kann ich nichts machen. Und da ich keine Ahnung hat, was die Zukunft bringt (wie im wirklichen Leben), kann ich auch nicht gezielt darauf spielen. Aber ich kann mich auf andere Dinge konzentrieren. Gegen Kampagnenende, wenn die Hausziele (weitestgehend) erfüllt sind, wird eine weitere Sache angeboten, auf die man langfristig als Alternativen zum kurzfristigem Spielsieg spielen kann – sehr schön. Diese Hausziele sind auch der Hauptgrund, warum man bei Kings Dilemma eher regelmäßig mit derselben Runde spielen sollte. Wer häufiger aussetzt, kann die nicht erreichen. Und die Verhandlungen sind der Grund, warum man schon zu viert sein sollte – zu dritt wird zu oft gepasst.

Diese Art der Spielbelohnung sorgt dafür, dass der Fokus vom Spielsieg auf das Spielerlebnis wegbewegt wird. Tatsächlich weiß ich nur, wie oft ich Einzelpartien gewonnen habe, weil der Gewinner den nächsten König benennen darf. Wie ich sonst abgeschnitten habe, müsste ich tatsächlich nachgucken (sie werden in der Spielregel aber festgehalten). Ich erinnere mich deutlich besser an bestimmte Abstimmungen und Geschehnisse als an die Spielergebnisse. Bei Kings Dilemma geht es um das Spielerlebnis, nicht um das reine Gewinnen/Verlieren und das wird durch die Wertung, bei der sich niemand wirklich als Verlierer fühlt, verstärkt. Natürlich wird nicht jeder so sehen – Siegpunktezähler und Zugoptimierer sind aus oben genannten Gründen sicherlich falsch bei Kings Dilemma. Auch muss man schon Freude am Verhandeln und, ja , reden haben – ein bisschen Rollenspiel erhöht den Spielspaß und ich kann jedem nur empfehlen, in jeder Runde vor der „echten“ Abstimmung ein kurzes Meinungsbild zu erstellen – das hilft ins Spiel reinzukommen und bei den Verhandlungen. Ich bin jedenfalls schon lange nicht mehr so von einem Spiel gefesselt worden: Die Story ist vermutlich die beste, die ich im Brettspielbereich kenne. Die Immersion ist gelungen. Das Spiel ist spannend, praktisch jede Karte ist wirklich ein echtes Dilemma. Ich bin immer am planen, intrigieren und immer ist die Spannung da, ob die Pläne und Intrigen aufgehen und wohin die Reise als nächstes geht. Und das alles mit einem bemerkenswert eleganten Regelwerk. Mehr kann kein Spiel leisten. Ich hoffe nur, dass das System (mit anderen Siegpunktwerten, um die Spannung zu erhalten) auch in anderen Szenarien weitergeführt wird – etwa eine Star Trek mässige Weltraumföderation oder ein Haufen Überlebender der Apokalypse.

Peer Sylvester
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