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Jekyll & Hyde vs Scotland Yard

Verlag: Mandoo / Nice Game
Autor: Gaëtan Beaujannot, Olivier Cipière, Geonil
für 2 Spieler*innen
ab 10 Jahren
Dauer: ca. 20 Minuten
#Spiel23

Lange Zeit waren Spiele für 2 Personen in der Nische der Duell-Spiele gefangen. Mit gegensätzlichen Zielen ausgestattet wurde mit dem Sieg belohnt, wer am Ende den klügeren Kopf hatte. Eine perfekte Beschäftigung für Paare, denen noch etwas Antagonismus in der Beziehung fehlte. Erst in den letzten Jahren ist das Spiel für zwei Personen etwas reifer geworden und hat vorsichtige Bewegungen in Richtung Kooperation gemacht. Es gibt zwar schon länger kooperative Spiele, die man auch zu zweit spielen konnte, aber nur wenige wurden für genau 2 Personen konzipiert und angeboten.

Ein sicher geglaubter Stich geht verloren

Jekyll & Hyde vs Scotland Yard wagt sich daher auch nicht zu weit aus dem Fenster, in dem es „nur“ eine kooperative Variante des bereits gut angenommenen Jekyll vs Hyde darstellt. Es sind beides Stichspiele, in denen man durch kluges Ausspielen der eigenen Kartenhand und Auslösen bestimmter Karteneffekte, Stiche gewinnen muss. Ähnlich wie beim Vorgänger muss auch hier verglichen werden, wie viele Stiche die Spieler*innen jeweils gemacht haben. Die gemeinsam kontrollierte Spielfigur bewegt sich jedoch nicht so viele Schritte auf dem Spielbrett wie die Differenz angibt, sondern entsprechend der kleineren Zahl. Das bedeutet, man versucht die Stiche möglichst gleichmäßig zu verteilen. Das erweist sich als gar nicht so einfach, denn es gibt noch einen dritten, virtuellen Spieler am Tisch. Die im Titel erwähnte Polizeibehörde Scotland Yard ist den Spielenden auf der Spur und ihre Figur ist Jekyll & Hyde auf den Fersen. Um das Spiel für sich zu entscheiden müssen die beiden sowohl innerhalb 2 Spielrunden ans Ziel gelangen, als auch der Obrigkeit entkommen. Dass Jekyll & Hyde vs Scotland Yard dabei näher an seiner literarischen Vorlage ist, als das Vorläuferspiel ist vermutlich nur für Literaturstudenten interessant.

Sehr viel bemerkenswerter hingegen ist, dass die Auswertung der erbrachten Stiche fast schon die komplizierteste Regel des Spiels darstellt. Wie bei vielen modernen Stichspielen üblich, werden Variationen des Kernsystems (Farben müssen bedient werden, höchster Zahlenwert gewinnt den Stich, es gibt eine Trumpffarbe) Schritt für Schritt eingeführt. So erschließt man sich in sehr einsteigerfreundlichem Tempo die Feinheiten des Stichspiels.

Wir eilen zu unserem Unterschlupf

Durch das Umschwenken auf Kooperation verändert sich das Spielerlebnis deutlich. Anstatt das Verhalten des Gegenübers zu antizipieren und geschickt auf die eigenen Zwecke umzulenken, erfordert Jekyll & Hyde vs Scotland Yard das eigene Wissen und die eigenen Erkenntnisse zu teilen. Das gemeinsame Spielen deckt sich damit mit dem gemeinsamen Erschließen taktischer und strategischer Tiefen. Jeder Kniff will nach dem Spiel vermittelt werden. Jede neue Erkenntnis miteinander geteilt, denn nur ein gut eingespieltes Team kann sich alle 12 Varianten von Jekyll & Hyde vs Scotland Yard erschließen. Der Schwierigkeitsgrad steigt entlang einer in kurzen Absätzen umrissenen Geschichte an, und weckt schon bald den Ehrgeiz dem langen Arm des Gesetzes immer wieder zu entkommen.

Mehr noch als der erfolgreiche Abschluss einer Partie, wird man vor allem dadurch motiviert, dass man nicht nur das Spiel, sondern auch das Genre gefühlt etwas besser zu fassen bekommt. Es gibt vermutlich kaum ein Stichspiel, welches auf derart elegante und unaufdringliche Weise Spieler*innen Expertise vermittelt. Die Aufmachung mit Zeichnungen von Vincent Dutrait ist gewohnt stimmungsvoll und schön anzuschauen. Auch wenn die düstere Grundstimmung zum Thema passt, wünscht man sich manchmal eine fröhlichere Illustration, um das Versinken in die Grübelei etwas aufzulockern. Aber das sind kaum ins Gewicht fallende Kleinigkeiten.

Mit Jekyll & Hyde vs Scotland Yard fühlen sich Stichspiele frisch und modern an. Während Die Crew durch seine Präsentation Neues versprach, aber spielerisch etablierte Ideen des Genres aufgriff, werden hier neue Impulse gesetzt. Auch wenn das „Neuartige“ schon im kompetitiven Vorläufer in beinahe identischer Form vorhanden war. Dieser Entwurf wird hier perfektioniert und führt zu einem einfach verstandenen Kartenspiel. Durch die reizvolle Knobelei kann man sich ein Spielgenre erschließen, welches gerade in den letzten Jahren immer wieder durch neue und ausgefallene Ideen aufgefallen ist. Dank Jekyll & Hyde vs Scotland Yard ist man nun auch als Neuankömmling dafür bereit.

Georgios Panagiotidis
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