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Die Säulen von Venedig

Verlag: Goldsieber Spiele
Autor: Christian Fiore und Knut Happel
Spieleranzahl: 2-6 (besser: 4-6)
Alter: ab 10 Jahre
Spieldauer: 45-60 Minuten

Es gab mal eine Zeit da standen die Spiele von Goldsieber im Mittelpunkt der Spielewelt: Ob „Entdecker“ oder „Löwenherz“ – wer Spielen wollte, fand qualitativ hochwertiges bei den Fürthern. Dann kamen einige Verlagsverschmelzungen und Umstrukturierungen und damit eine etwas schlingernde und wenig konsequente Veröffentlichungspolitik. Goldsieber verschwand etwas aus dem Fokus der Szene. Nicht zuletzt seit „Kreta“ drängt Goldsieber nun aber wieder zurück.

Und hat Pech. Kann man mehr Pech mit der Titelauswahl haben als mit „Säulen von Venedig“? In Essen erschien „Die Säulen der Erde“ bei Kosmos und bekam jede Menge Lob und verdrängte das andere Säulenspiel aus dem Blickpunkt. Zu allem Überfluss erscheint dann in Nürnberg ein Spiel von SdJ-Gewinner Wrede bei Amigo mit dem Titel „Venedig“. Kein Wunder, dass man auf den einschlägigen Seiten wenig über dieses Spiel findet.
Ich hole es hier einmal nach.

Zuerst: Ja, es ist YAVG (Yet another Venedig-Game). Allerdings unterscheidet es sich in einem entscheidenden Detail von anderen Venedig-Spielen: Die Lagunenstadt steht hier bei Spielbeginn noch nicht. Vielmehr sollen wir sie erst erschaffen. Oder, genauer gesagt, wir sollen den Bau organisieren, denn die eigentliche Drecksarbeit übernehmen Handwerker – im Spiel durch handliche Karten dargestellt. Diese Organisation ist dabei einfach: Jeder Spieler wählt gleichzeitig einen Handwerker aus, alle decken gleichzeitig auf und dann werden die im Uhrzeigersinn nacheinander tätig und zwar so wie der Spieler es will. Und weil sich die Handwerker nicht nur in Berufung sondern auch in Qualität unterscheiden, Italien aber ein faires Land ist, geben wir die verwendete Karte anschließend unserem linken Nachbar. So sollte sich der Bauherr nicht nur überlegen, was er spielen will, sondern auch aufpassen, dass er nicht mit Handwerkern auf der Hand verbleibt, die er gar nicht verwenden kann.

Am Bau so einer Lagunenstadt sind zahlreiche Handwerker beteiligt: Der Ratsherr z.B. besorgt dem Spieler fertige Stadtteile verschiedener Größe und Form. Der Baumeister kann die dann an die entstehende Stadt anbauen. Doch da Stadtteile nicht schwimmen können, müssen erst einmal Pfähle gebaut werden. Das macht der Pechtunker. Also: der Ratsherr besorgt mir die Stadtteile, der Pechtunker baut die Säulen und der Baumeister die ersteren auf letzteren.

Und wo bleibe ich als Spieler? Ich bekomme Siegpunkte auf vielfältige Weise: Wenn ich Stadtteile anbaue, bekomme ich je nach Größe Siegpunkte, zudem kann ich Extrapunkte durch passendes Anlegen gewinnen. Baut jemand auf meinen Pfählen, bekomme ich ebenfalls meinen Anteil. Außerdem ist die Einwohnerschaft des entstehenden Venedigs nicht auf Pechtunker, Ratsherren und Baumeister beschränkt (auch wenn diese die größte Bevölkerungstruppe stellen): Der Gondoliere gibt mir Punkte, wenn jemand am Kanal baut (und er wird durch eine ziemlich überflüssige und vor allem extrem unpraktische, weil zu große Figur repräsentiert). Erfinder, Spekulanten und Händler machen nichts spielbedeutendes, geben ihrem Spieler aber Siegpunkte, wenn andere Spieler bestimmte Handwerker angeheuert haben. Die dunkle Seite Venedigs wird durch den Spion (klaut Karten) und den Saboteur (sprengt Stadtteile) repräsentiert, die zwar keine Siegpunkte bringen, aber für Unbill sorgen.

Alle Charaktere sind liebevoll illustriert und ihre Funktion ist weitestgehend intuitiv – so intuitiv wie der ganze Spielablauf (Karte spielen – ausführen – weitergeben). Ist das Amigo-Venedig eher abstrakt so dient bei der Goldsiebervariante Venedig nicht nur als Graphikvorlage sondern sorgt für Stimmung und das Thema durchdringt das Spiel. Das ist angenehm und erleichtert den Einstieg ungemein.

Gebaut wird an Venedig bis die Säulen ausgehen. Das ist m.E. der einzige Kritikpunkt an dem Spiel, denn das Spielende wirkt ziemlich abrupt und willkürlich. Gerne würde man noch weiterbauen – aber vor allem sorgt es für etwas merkwürdige Endspiele: Da jeder sieht wie viele Säulen noch im Spiel sind und auch die Siegpunkte per Leiste immer sofort abgetragen werden (geheime Siegpunkte gibt es nicht), wird der Führende immer versuchen den Rest zu verbauen, während die anderen das Säulenbauen vermeiden. Leider kann man ohne Säulen nicht viel Sinnvolles tun und so sind die letzten Runden etwas unrund. Doch das ist auch so ziemlich der einzige Kritikpunkt an diesem ansonsten recht runden Spiel.

Gewiss, das Spiel ist keine hochgeistige Angelegenheit – dafür sorgt schon die Regel, dass in jeder Runde der Startspieler einem Mitspieler blind eine Karte zieht – aber das macht nichts. Es spielt sich locker runter und ist damit ein idealer Absacker und natürlich auch ein Familienspiel. Den Reiz bezieht es vor allem durch das Wechselspiel der Charaktere und das kommt natürlich erst bei steigender Mitspieleranzahl zum tragen, weswegen ich das Spiel erst ab 4 Personen empfehlen kann. Dafür ist es gut zu sechst spielbar, eine Seltenheit heutzutage.

Abschließend muss ich feststellen, dass „Die Säulen von Venedig“ zu Unrecht übersehen wird: Es ist ein richtig gutes Familienspiel. Ich wäre nicht überrascht, wenn dieses Spiel eine Nominierung von der Jury bekäme.
Verdient hätte das Spiel es jedenfalls.

Peer Sylvester
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