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7th Continent

Verlag: Serious Poulp / Pegasus Spiele
Autor: Ludovic Roudy, Bruno Sautter
Spielerzahl: 1-4
Alter: ab 14 Jahren
Dauer: 180+ Minuten

7th Continent ist ein Spiel bei dem es um das Gefühl des Entdeckens geht. In der kompakten Spielschachtel warten Hunderte von quadratischen Karten darauf gezogen zu werden. Diese breitet man im Laufe des Spiels als weitläufige Landschaft auf dem Spieltisch aus. Langsam und beständig deckt man Karten auf und lernt so die Gefahren und Geheimnisse des siebten Kontinents kennen.

Das Design lockt dabei mit der Vorfreude auf Neues. Mit Hilfe der Grafik und beschreibender Texte folgt man Hinweisen und Anspielungen. Man rätselt über Andeutungen und versucht so zu erahnen, welche (bösen) Überraschungen auf die eigene Spielfigur warten. Denn sämtliche Entdeckung und Erforschung dient vor allem dazu, das Ende des Spiels zu erreichen bevor der eigene Kartenstapel aufgebraucht ist.

Erreicht man dieses Ziel mit seiner Figur nicht, erliegt diese einem Fluch, der wie das Schwert das Damokles (Trivial Pursuit-Antwort #136) über ihr hängt. Der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ist damit klar gekennzeichnet. Der Sieg heißt Überleben. Allein die Konsequenzen einer Niederlage lassen sich nicht sofort erfassen.

Erliegt die Spielfigur ihrem Fluch, so wird man an den Spielanfang zurückgesetzt. Sämtliche erspielten Errungenschaften werden zurückgerollt. Lediglich das Wissen über die Geheimnisse der Landschaft lässt nicht aus den Köpfen löschen. Das gehört natürlich dazu. Wie bei einem Buch vergisst man das Gelesene ja nicht, wenn man den Roman zur Seite legt. Aber anders als bei einem Buch setzt man in 7th Continent nicht an exakt der Stelle fort, an der man mit dem Lesen aufgehört hat. Stattdessen fängt man dort an, wo in einem Buch Seite 1 auf die Leserin wartet.

Das Abenteuer ruft!

Das ist die größte Schwäche des Spiels. Vieles an 7th Continent ist immens reizvoll. Man spekuliert beim Spielen. Man stellt Thesen auf. Man versucht zwischen den Zeilen zu lesen, um herauszufinden worauf alles hinauslaufen wird. Es werden Erinnerungen an die Fernsehserie „Lost“ wach. Alles das macht Lust auf mehr. Es entfacht eine Neugier in einem, wie es wohl kein anderes Brettspiel vermag. Es ist nicht die Story oder die taktische Tiefe, die hier mitreißt. Es ist auch nicht das ungewöhnliche Spielkonzept. Es ist allein der Forschungs- und Entdeckungsdrang, den 7th Continent mit einfachen aber hoch effektiven Mitteln anzusprechen weiß.

Umso ärgerlicher ist es wenn man eine Niederlage erleiden muss. Nicht nur weil man verliert, sondern weil sie den nächsten Anlauf mit viel Zeitaufwand verknüpft, der um ein Vielfaches weniger erfüllend sein wird. An manchen Stellen fühlte ich mich an die Graphic Adventures von Sierra Online erinnert. Ein nicht ganz tot zu kriegendes Genre an Computerspielen, welches in den 90ern seine Blütezeit hatte. Die Spiele dieser Software-Schmiede waren berüchtigt dafür, dass die Hauptfiguren auf ungewöhnliche, bizarre und nicht selten urkomische Art den Tod fanden.

„Save early, save often“ wurde zum geflügelten Wort in der Szene. Ein sinnvoller Lehrsatz, der es ermöglichte Fehler oder unerwartete Rückschläge zurückzuspulen. Manchmal nur wenige Sekunden, manchmal weit mehr als das. (So habe ich zum Beispiel gelernt, dass man Mayonnaise nicht auf eine Kreuzfahrt mitnehmen sollte.) Die technischen Möglichkeiten erlaubten es mit wenig Aufwand einen neuen Versuch zu starten, um an das Ende der Geschichte zu gelangen. Oft von unterschiedlichen Punkten des bereits erspielen Spielverlaufs.

Einen ähnlichen Gedanken scheinen auch die Macher von 7th Continent verfolgt zu haben, als sie die Speicherfunktion in ihrem Spiel umsetzten. Im Regelheft wird diese Möglichkeit vor allem als Lösung präsentiert, mit der man die durchaus mehrere Stunden in Anspruch nehmende Spieldauer auf zumutbare Häppchen herunterbricht. Dass es aber nur indirekt erlaubt Fehler oder „unwinnable states“ ungeschehen zu machen, unterstreicht leider wo das Design ins Stolpern gerät.

Während ein PC selbst im Jahr 1993 Spielsituationen schnell aufbauen, zurücksetzen und verändern konnte, muss man hier Karten aus einem Raster heraussuchen, auslegen und zuordnen. Das kostet zwar nur wenige Sekunden, aber beim 7. Mal schon einiges an Geduld.

Bekanntermaßen gehört die Handhabung bei Brettspielen zum Spielerlebnis. So manch eine (Produkt-)Designerin erkennt wie viel vom Spielgefühl davon abhängt, dass es angenehm ist Regeln anzuwenden und Spielaktionen mit eigenen Händen auszuführen. Ob es das Platzieren einer Spielfigur auf ein Aktionsfeld auf der Bauernhof ist, das Werfen von robusten Würfeln in Tokyo oder das Einfügen eines Plättchens in eine dafür vorgesehene Öffnung: Spielen heißt auch Spielmaterial Handhaben.

Ist diese Handhabung jedoch zu langwierig, zu umständlich oder schlicht zu trocken, leidet auch das Spielerlebnis darunter. Spielsteine können die falsche Größe oder das falsche Gewicht besitzen und so das Potential das Spieldesigns nicht richtig ausschöpfen. Schrifttypen können zu unleserlich sein oder Grafiken zu dunkel geraten.

Die Handhabung des Spielmaterials ist bei 7th Continent eine Hürde. Zwar sind die Karten sorgfältig vorsortiert und mit Trennern versehen, aber dadurch wird das Suchen nach der richtigen Karten lediglich erträglich. Es wird aber weder bequem, noch genießt man es.

Man wechselt gezwungenermaßen immer wieder zwischen der intensiven Beschäftigung mit der Spielwelt und intensiver Beschäftigung mit der Frage auf welcher Höhe sich die Karte mit der Nummer 078 befindet.

Das mag kleinlich klingen. Anfangs ist es auch schnell übersehen und ignoriert. Aber mit wiederholter Spielsitzung, merkt man wie sich der getätigte Aufwand summiert. Immer wieder wird man aus den aufregenden, spannenden und mitreißenden Aspekten des Spiels herausgehoben, um die richtige Karte aus dem Schuber zu fischen.

Eine Niederlage muss man auch mal wegstecken können

Das ist mehr als schade. Denn in den Momenten in denen 7th Continent glatt von der Hand geht, etwa weil man sich die Handhabe mit einem oder zwei Mitspielern teilt, zieht es einen mit einer beeindruckenden Intensität in den Bann. Aus den kleinen Erzählfetzen und Andeutungen, die man beim Auslegen des Kartenstapels erhaschen kann, fügt sich in der eigenen Vorstellung ein plastisches Bild dieses geheimnisvollen Orts zusammen. Schnell erspinnt man daraus eine Abenteuergeschichte, die so gruselig, humorvoll oder auch aufregend ist, wie es die eigene Kreativität erlaubt.

Das Resultat ist ein Spielerlebnis, welches begeistert und einen voll und ganz einnimmt. Man will wissen wie es weitergeht. Welche Gefahren und Entdeckungen lauern hinter der nächsten Karte? Die eigene Neugier treibt einen zurück an den Spieltisch. Der spielerische Genuss, der beim Deuten und Auslegen der Hinweise entsteht, macht 7th Continent zu einem Erlebnis.

Spätestens wenn die Figur den Gefahren (bzw. dem Ende des Ziehstapels) zum Opfer fällt, zeigt sich dass das Spielkonzept von 7th Continent ein zweischneidiges Schwert ist. Stirbt die Figur und setzt man alles auf seinen Ursprungszustand zurück, wird klar, dass der Spielgenuss zu großen Teilen einmalig ist. Erreicht man zum wiederholten Mal einen Ort dessen Aufgaben man bereits überwunden hat, ist der reizvolle Teil des Spiels bereits verloschen. Der Entdeckerdrang ist nicht mehr da. Es bleibt nur das Handhaben und Verwalten des Spielmaterials.

Umso tragischer also, dass man diese Aspekte nicht überspringen kann. Anders als in einer Fernsehserie, muss man jedes Mal die ersten Folgen erneut schauen, obwohl man sie schon kennt. Mehr noch, wenn man die Geheimnisse bereits gelüftet hat, so ist das Spiel effektiv leblos. Lediglich neue Abenteuer und Flüche können einen dazu bringen sich erneut auf den 7th Continent zu bewegen.

Damit reiht sich 7th Continent in das recht neue Genre der Einweg-Spiele ein, zu denen auch viele Rätselspiele, Legacy-Spiele oder eben auch Erzähltext-Spiele wie Time Stories zählen. Ähnlich wie bei diesen Spielen geht es darum die Spielerinnen in das Spiel thematisch einzubinden. Das Erlebnis baut auf das Entdecken und Erleben einer Geschichte. Während in Time Stories Figuren und Rätsel ein wichtige Rolle spielen, stehen hier die Geheimnisse der Insel (bzw. des Kontinents) selbst im Mittelpunkt. Beim ersten Anlauf entdeckt man zusammen mit den Spielfiguren die Geheimnisse der Insel.

Auf ein Neues…

7th Continent ist unterm Strich eine lohnenswerte wenn auch kostspielige Spielerfahrung. Wer sich darauf einlässt, sollte sich aber über die Schwächen des Spiels im Klaren sein. Der aufwändige Umgang mit dem Spielmaterial kann dazu führen, dass die Lust am spielerischen Entdecken in kleinen, steten Schritten ausgehöhlt wird.

Die Gefahr der Niederlage, bzw. des Todes einer Figur, fügt dem Spiel eine gewisse Dringlichkeit zu. Man hat das Gefühl, dass mit jeder Entscheidung etwas auf dem Spiel steht. Jede Aktion verringert Karten aus dem Ziehstapel bis dieser aufgebraucht ist und das Spiel verloren.

Aber in letzter Konsequenz entlarvt sich genau dieser Ansatz als veraltet und oft deplatziert. Eine Expedition gewonnen oder verloren zu haben, ergibt erzählerisch keinen Sinn. Damit verläuft sich das Spielerlebnis oft in Sackgassen. Der Forschungsdrang treibt das Spiel voran und die Entdeckungen und neuen Erkenntnisse belohnen uns. Ob unsere Figur lebt oder stirbt, tangiert uns nicht.

Das Bittere einer Niederlage ist nicht, dass unsere Figur nicht mehr an der Expedition teilnimmt. Das Spiel leidet nicht daran, dass wir „verloren“ haben; sondern daran dass jede Niederlage uns noch weiter von dem entfernt was 7th Continent so gut macht. Der Spaß und die Freude einen Kontinent mit Hilfe unserer Vorstellungskraft und Kreativität zu entdecken. Das Spiel endet ohne zufriedenstellende Auflösung und ohne dass man Antworten erhalten hat, was es mit dem Fluch denn nun auf sich hat.

Das eigene Durchhaltevermögen wird so sehr real herausgefordert. Immer wieder muss man sich durch altbekanntes und bereits vertrautes arbeiten, bevor man endlich wieder zu dem kommen kann, was am Spiel begeistert und tatsächlich für Spannung sorgt.

Wer sich hier an Plattitüden wie „Der Weg ist das Ziel“ erinnert fühlt, liegt gar nicht mal so falsch. Ist man den Weg, den 7th Continent bereithält, zu Ende gelaufen und hat die Geschichte so zum Abschluß geführt, so ist das ein uneingeschränkt großartiges Erlebnis. Aber je öfter man sich am Versuch abarbeiten musste, umso unbefriedigender und unnötiger fühlt sich dieser Weg an. Damit befindet sich 7th Continent in der etwas paradoxen Lage, dass der Spielspaß dem eigenen Wiederspielreiz entgegengesetzt ist.

Georgios Panagiotidis
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