In der griechischen Mythologie gibt es die Figur der Kassandra. Als Wahrsagerin konnte sie zwar die aufkommenden Gefahren erkennen und benennen, musste aber mit ansehen wie ihre Vorhersagen ignoriert wurden und das Unheil trotzdem stattfand. Wer schon mal ein „social deduction“-Spiel wie Der Widerstand, Werwolf oder sogar Battlestar Galactica gespielt hat, wird sicherlich schon mal in einer solchen Situation gesteckt haben. Man weiß genau wer die Bösen sind und versucht die anderen am Tisch davon zu überzeugen. Aber statt Einsicht zu zeigen, stößt man eher auf Misstrauen, Beschwichtigungen und schlichtem Unglauben.
Dabei geht die Gegenseite oft nach einem etablierten Muster vor. Zuerst werden die Tatsachen in Zweifel gezogen. Was man mit eigenen Augen gesehen hat, soll gar nicht passiert sein. Was man gehört hat, wurde lediglich missverstanden. Das reicht anfangs oft, um Unsicherheit zu verursachen. Denn wer sich unsicher ist, fällt keine wichtigen Entscheidungen. Man will ja nicht für die Folgen der eigenen Entscheidungen verantwortlich gemacht werden, sollte sie sich als falsch erweisen. Außerdem will man ja nicht versehentlich der falschen Seite helfen. Also hält man sich raus. Damit ist „Kassandra“ zumindest der Wind aus den Segeln genommen.
Aber sollte es sich abzeichnen, dass die Verunsicherten so langsam der Wahrsagerin Glauben schenken, schaltet man in den nächsten Gang der Manipulation. Wer sagt denn, dass Kassandra wirklich das Gemeinwohl am Herzen liegt? Täuscht sie vielleicht alle mit ihrem Gerede von Wahrheit und Vertrauen, um in Wirklichkeit ihre finsteren Ziele zu verfolgen? Muss man nicht vielmehr vor ihr warnen, um sich und andere zu schützen? Kassandra-Spieler*innen geht oft an diesem Punkt entweder die Geduld oder die Kampflust verloren. Werden sie emotional, kann man so ihr Urteilsvermögen in Frage stellen oder darauf hinweisen, dass dieser Bruch mit dem guten Ton sie eigentlich disqualifiziert. Alternativ, geben sie auf und so kann man weiter die Erzählung spinnen, dass Kassandra das wahre Übel am Tisch ist.
Diese Taktiken funktionieren bei den meisten Social Deduction-Spielen erstaunlich gut. Nicht zuletzt, weil die Konsequenzen einer Niederlage oft wenig mehr als aufbrausende Emotionen und ein leicht gekränktes Ego sind.
Am 23. Februar 2025 ist Bundestagswahl. Hier geht es um sehr viel mehr. Die möglichen Konsequenzen sind dramatisch und können für sehr viele Menschen brandgefährlich werden.
Ich werde mich nicht in den Chor der gemäßigten Stimmen einreihen, die sagen, dass es wichtig ist Wählen zu gehen. Auch wenn es stimmt, dass jede nicht abgegebene Stimme die Anteile der von anderen gewählten Parteien immer erhöht. Es reicht aber nicht einfach nur wählen zu gehen. Man muss auch ausdrücklich keine Partei und keine Parteimitglieder wählen, die für einen radikalen Bruch mit den Werten und der Geschichte dieses Landes stehen.
Vor einem Jahr gingen Hunderttausende auf die Straße, um ein Verbot einer rechtsradikalen Partei zu bewirken. Diese Forderungen wurden abgetan, beschwichtigt und heruntergespielt. Sprecher und Mitglieder etablierter Parteien fanden und finden immer wieder Gründe, weshalb ein solches Vorhaben nicht möglich sei. Genauer gesagt, dass es nicht erfolgreich sein würde und deshalb nicht unternommen werden sollte. Man will ja nicht für die Folgen der eigenen Entscheidungen verantwortlich gemacht werden, sollte sie sich als falsch erweisen.
Zur Zeit gehen erneut täglich Tausende auf die Straße (in München kürzlich mehr als eine Viertelmillionen Menschen), um sich ganz klar gegen jegliche Zusammenarbeit mit einer faschistischen Partei zu positionieren. Gerade nachdem eine ehemals christliche-demokratische Partei ihre Hand zusammen mit ihnen gehoben hat. Für eine Abstimmung, die weder bindend noch wirksam ist. Aber diese Abstimmung hat vor allem gezeigt wer Warnungen von Hunderttausenden von Kassandras nicht ernst nimmt. Sie hat gezeigt wer aus Ignoranz oder offen gelebter Perfidität das Vertrauen der Wählerschaft in Deutschland nicht verdient. Auch zeigt sich wie gelebte Geschichte in Echtzeit verfälscht wird. Von Behauptungen der Bild, dass die Regierung hier finanzielle Anreize zur Teilnahme setzt bis hin zu Berichten, die sowohl Stimmung, Größe als auch Ton der Demonstrationen wissentlich falsch darstellt.
Darum mein offener Aufruf:
Wählt nicht die CDU. Sie ist eine Partei, deren Beteuerungen nicht mit Faschisten zusammenzuarbeiten mit jedem Tag unglaubwürdiger und verlogener klingen.
Wählt nicht die AfD. Und wenn ihr das tut, hört auf meine Texte zu lesen oder Podcasts zu hören. Ich will nicht, dass ihr irgendeinen Nutzen oder Unterhaltung aus dem zieht was ich tue. Es sind Faschisten und jeder einzelne ihrer Programmpunkte wird diesem Land und den Menschen darin schaden.
Radikale Kleinstparteien wie FDP oder BSW sind in ihrer hart-rechten Politik nur Beihelfer zur AfD und entsprechend nicht duldbar.
Ich werde euch nicht auffordern, die SPD zu wählen, die das AFD-Verbot verhindert hat.
Ich werde euch auch nicht auffordern, die Grünen zu wählen, die eine harte Abschiebepolitik für sinnvoll und eine Koalition mit der CDU noch immer für möglich halten.
Für mich sind das Ausschlusskriterien, aber ich muss akzeptieren, dass andere das nicht so sehen. Mein Eindruck ist, dass Die Linke die meisten Positionen vertritt, die ich gutheißen kann. Auch wenn ich nicht mit allen Punkten mitgehe. Ich vermute, dass Wähler der SPD oder der Grünen ihrerseits ebenfalls reif genug sind Kompromisse in ihren Wahlentscheidungen einzugehen.
Aber dieser unerträgliche, extremistische Ruck nach Rechts lässt sich in meinen Augen nicht durch Zusammenarbeit mit Extremisten entkräften. Das sieht man derzeit in den USA und das werden wir, wenn wir nichts dagegen tun, auch hier sehen. Wenn es also nur noch drei demokratische Parteien gibt, die man offenen Auges wählen kann, dann setzt eure Kreuze bitte bei ihnen.
Die wichtigste Demo gegen Rechts findet am 23. Februar an der Wahlurne statt. Setzt ein Zeichen für eine Politik mit denen es Menschen besser geht, statt nur die weiter zu treten, die eh nichts haben.
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