Zufällig habe ich gemerkt, dass dieses Jahr mein persönliches 24jähriges Messejubiläum darstellt: Seit 2000 komme ich regelmäßig, nur 2004 habe ich verpasst (damals habe ich in Thailand gearbeitet) und 2020 fiel die Messe ja aus. Auch wenn sich meine Prioritäten und Bedürfnisse geändert haben: Die Spiel bleibt etwas besonderes. Es ist toll Spiele aus aller Welt zu spielen, Spielende aus aller Welt zu treffen, es ist toll Leute zu sehen, wie sie Spaß haben. Man mag sich darüber lustig machen, wie die Leute nach dem Öffnen der Hallen plötzlich immer schneller werden, um zu spielen. Doch der Ausdruck der Emotionen, der sich dadurch wiederspielt hat etwas grundsätzlich positives. Spielen in Essen, das heißt auch Teil einer Community zu sein.
Es gab viele Änderungen in den 24 Jahren: Neue Verlage, neue Hallen, neue Konzepte und Ideen (wie den Educators day), eine virtuelle Messe und und und. Dieses Jahr ist die Messe gänzlich in neuen Händen. Gab es letztes Jahr so eine Art sanfter Übergabe, war Dominique Metzler (meines Wissens nicht mehr an Planungen beteiligt. Gleichzeitig verkündete die Messe das dieses Jahr erstmals alle Hallen voll ausgereizt wurden: Keine abgehängten Bereiche oder gar verschlossene Hallen mehr. Das klingt nach einem vielfältigem Angebot, aber auch nach einer natürlichen Wachstumsgrenze.

Tatsächlich sind es dieses Jahr ein paar Messestände weniger als in den Vorjahren. Der Grund für die Vollauslastung liegt an der Anhebung der Mindestgröße der Stände. Begründet wurde diese Änderung mit dem Sicherheitskonzept, es sollen Stände vermieder werden, die in den Gang hineinragen und so Fluchtwege versperren. Das kommt mir als Besucher sehr entgegen, denn auch wenn es voll war, konnte man deutlich entspannter durch die Hallen wandern, als es in vergangenen Jahren oft der Fall war. Für kleine Verlage war dies allerdings mit höheren Kosten verbunden, auch weil die Standgebühren allgemein höher waren. Zwar wurden laut Carol Rapp Kleinverlage dazu animiert, sich einen Stand zu teilen, aber es wurden „Teilungspauschalen“ verlangt. So rechnet es sich insbesondere für Verlage ohne Neuheiten schlicht nicht mehr. Natürlich: je wichtiger und internationaler die Messe wird, desto knapper der Platz und damit sind immer Preissteigerungen verbunden. Man darf auch nicht vergessen, dass jetzt eine eine Firma mit im Boot ist, die auch schon die Nürnberger Messe gewinnoptimiert hat. Es spricht nichts dagegen die Messe weiter zu professionalisieren – aber sie zu kommerzialisieren birgt das Risiko, dass es zu einer „Messe für die Großen“ wird und das ist dann für einen Teil der Szene weniger interessant. Ich bin nicht einmal sicher, ob das eine clevere Gangart wäre, denn mit der Internationalisierung der Szene steigt auch die Anzahl der Großveranstaltungen in aller Welt. Wenn die Spieletage gerade für die Internationalen Gäste zu teuer werden (und deren Kosten sind ja schon durch Transport und Anreise sehr hoch), dann können die Spieletage langfristig auch ihren Mekka-Charakter verlieren. Große Videospielmessen sind diesen Weg bereits gegangen, die Games In fördern jetzt (zumindest in Asien) auch gezielt Brettspiele…. Es ist da sicherlich ein Balanceakt vonnöten und man wird weiter beobachten müssen, wie sich die Sache entwickelt. Es ist kein Zufall, dass die großen Verlage mehrere Stände in mehreren Hallen haben.

Das hängt aber auch mit dem neuen Hallenkonzept zusammen, das letztes Jahr schon angedeutet und jetzt endgültig vollzogen wurde. Halle 3 ist jetzt zur Hälfte nach Halle 6 gewandert, wo alle Europäischen Familienverlage zu finden waren (und Origame als einziger Asiatischer Verlag). Halle 3 ist jetzt vormalig die Halle für die Expertenspiele. Halle 1 sind Rollenspiele und CCG, was gut passt. Prinzipiell kam mir die Hallenaufteilung gerade recht. Ich hatte insgesamt sehr viel weniger Wege, da praktisch alle Verlage, die mich interessierten in den Hallen 2 und 5 konzentriert waren.
Was neu war: Die Messe war ausverkauft. Es sind immer wieder Spiele nicht mehr im Programm gewesen -und das war natürlich auch dieses Mal so – aber dass es keine Messetickets mehr gab, war neu. Nur der Sonntag war nicht ausverkauft, an den anderen Tagen sah man vor Ort an den Kassen lange Gesichter. Das wird auch an dem Feier-/Brückentag gelegen haben, aber auch daran, dass es diesmal eben ein maximales Kontingent gab. Das ist mMn absolut sinnvoll und hilft die Massenaufläufe der Vergangenheit zu vermeiden (wie gesagt: Es fühlte sich voll, aber nicht supervoll an) und erhöht vermutlich sogar die Sicherheit, zumindest war diesmal glücklicherweise nichts von Raubüberfallen zu hören. Banden bestellen ungern im Internet. ABER: Natürlich, ich bin auch immer überrascht wie viele Leute sich im Zug die Reservierungsgebühr sparen und sich dann wundern, dass sie mit ihrer Gruppe von acht Leuten keinen Platz mehr bekommen, insofern wäre es einfach die Schuld ausschließlich bei denjenigen zu suchen, die sich nicht rechtzeitig um Tickets gekümmert haben. Dennoch war die Kommunikation seitens der Messe nicht optimal. Allein, dass kein kleines Kontingent für die Kassen zurückgehalten wurde, wäre eine größere Meldung wert gewesen. Die App hätte helfen können, aber auch da wurde -wenn ich mich nicht sehr irre – immer nur am jeweiligen Tag angezeigt, dass es keine Tickets mehr gibt. Eine Vorwarnung hätte geholfen (und bitte, bitte: In Zukunft keine Pop-up Werbung mehr, die sich als erstes öffnet. Habe nichts dagegen, dass es Werbung gibt, aber so ist das nervig).
Ein neues Konzept gibt es für den Educators Day. Dass der dieses Jahr auf einem Samstag fällt, ist wegen des Brückentages kein Problem. Viele Lehrer:innen haben den aber auch genutzt, um Sonderurlaub zu bekommen. Vermutlich will dass die Messeleitung nicht mehr, denn so kommen potentiell nur Leute, die wirklich wegen des Educators Day kommen. Aber die Option, mal kurz vorbeizuschauen wird man eher weniger wählen, wenn man nur am Samstag auf die Messe kommt. Außerdem kommen Pressevertreter nur mit einer gekauften Tageskarte auf den Educators Day. Ein kaufbares Zusatzticket gibt es nicht. Ich vermute das wäre zu aufwendig? Immerhin konnten Aussteller auf den Educators Day ohne ein Ticket erwerben zu müssen. Das wurde aber nirgendwo kommuniziert. Solche Informationen gehören auf die Webseite! Ich mache mir ein bisschen Sorgen um diese Veranstaltung, die durch die neuen Regeln etwas losgelöst von der Messe erscheint. Das wäre schade.

Apropos Informationen: Es wäre schon gut, wenn man den Pressevertretern sagt, wo sie wann in die Hallen kommen. Auf so einer Pressekonferenz z.B. wäre das möglich gewesen. Oder bei der Akkrediterungsbenachrichtigung. Oder auf der Webseite. So habe ich das zwei Amerikanischen Kollegen erklärt, wusste es aber selbst erst von anderen Beeple-Kollegen, die das noch vom letzten Jahr wussten (wo mich die Ordner an den falschen Eingang geschickt haben, weil sie das auch nicht wussten). Das ist alles Privileg, sicher, aber auch ein Zeichen, dass eine Professionalisierung durchaus auch Vorteile hätte…
Aber wo wir schon in die persönlichen Befindlichkeiten kommen: Nichts davon kann verhindern, dass die Messe immer noch ein Highlight darstellt, auf dass ich mich jedes Jahr von neuem freue. Aus immer anderen Gründen, aber jedes jahr aufs neue.
Messesplitter:
– Trefl und Rita Modl haben ein Spiel zu ihrem Lieblingspodcast herausgebracht. Georgios und ich sind sehr geehrt! Gespielt haben wir das allerdings nicht, Lizenzprodukte sind ja meistens nicht so dolle.
– Zwei Spielecover haben diesmal vor der Messe für Aufsehen gesorgt: Das Cover von Asian Tigers wurde nicht nur mit einer KI erstellt (mit der üblichen Begründung, dass dies ja billiger sei), es zeigt auch einen Turm, der in China steht. Die Volksrepublik ist nicht Bestandteil der „Tigerstaaten“. Es spricht nicht unbedingt etwas dagegen, wenn ein Portugiesischer Verlag ein Spiel über Asien macht, aber Hausaufgaben gehören dann schon dazu. Viel Arbeit wurde offenkundig nicht ins Cover gesteckt. Eine fatale Botschaft! Anderer Fall: Der Polnische Verlag Granna hat mit Takoyaki versucht ein Cover mit verschiedenen ethnischen Gruppen zu produzieren. Leider hat man gleichzeitig alle Klischees in den Japaner gesteckt, der zudem einen „Bleistift-Schnurbart“ trägt. Das ist etwa so, als würde man Deutsche mit Hitlerbärtchen oder im Colonel-Klink-Look mit Monokel darstellen.
– Apropos schlechter Geschmack: Bei NAC Wargames gab es für Backer von The other side of the hill (ein mindestens kontroverses Spiel über Nazis) als Messebonus kleine Replika des eisernen Kreuzes.
– Messtrends waren dieses jahr vielleicht Kooperative Deduktionsspiele (Secret Flower, Infiltraitors, Bomb Busters) im speziellen und kooperative Spiele im allgemeinen. Kaum ein Genre ohne Kooperation, auch z.T. sehr spezifische. So fand man ein „kooperatives Poker“ (The Gang) genauso wie ein „kooperatives Mau-Mau“ (The Crew Family). Wann kommt ein kooperatives Blackjack? Oder Tichu/Big Two?
– Meine zwei Favoriten soweit: Yubibo ein kooperatives Geschicklichkeitsspiel, was mich an ein umgedrehtes Mikado erinnert und Catch the Bomber, das zwar thematisch sicherlich auch leicht im unangenehmeren Bereich liegen kann (nicht zuletzt durch die Sin City – mäßige düstere Graphik), aber ein spannendes Social Deduction – Spiel mit echter Deduktion und Taktik ist.

ciao
peer
#spiel24
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