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Im Brettspiel wird Geschichte noch selbst gemacht

Es gibt ein Brettspiel-Thema, welches bei mir oft starke Reaktionen auslöst. Als kürzlich wieder über Narrativen und Geschichten im Brettspiel gesprochen wurde, war es nicht anders. Um zu versuchen mir klar zu machen warum ich immer so leidenschaftlich reagiere, habe ich meine Gedanken dazu mal aufgeschrieben. Ich hoffe, dass mein Versuch meine eigenen Überlegungen zu ordnen für andere hilfreich oder zumindest interessant ist.

Definitiv kein Spielautor

Am Besten fange ich mit einer einfachen Eröffnung an: ich denke nicht, dass Spiele darauf ausgelegt sind Geschichten zu erzählen. Mehr noch, ein Spiel das ausdrücklich dafür konzipiert wird Geschichten zu erzählen, wird bestenfalls ein durchschnittliches Spielerlebnis bieten. Andererseits, denke ich auch, dass ein großartiges Spiel und auch manche guten, zu einer Spielerfahrung führen, welches sich wie das Erleben einer Geschichte anfühlen.

Das ist auch recht schnell erklärt. Geschichten sind eine Folge unserer biologischen Veranlagung in unserer Umgebung einen Sinn festzumachen. Wenn wir spielen, springen sofort die kognitiven Reflexe an, die in dem was wir wahrnehmen eine hintergründige, angedeutete Logik suchen, oder Ereignissen eine Bedeutung beimessen wollen. Wir können nicht anders als Muster zu suchen und einen Sinnzusammenhang festzustellen. In gewisser Weise basiert sämtliche Fiktion (Buch, Film etc.) darauf, dass dieser Reflex in uns steckt und gezielt angesprochen wird.

Man stelle sich einen Film vor in der die erste Kameraeinstellung zeigt wie ein Mann von links nach rechts geht. In der nächsten Einstellung sehen wir eine Frau, die von rechts nach links geht. Unser Verstand wird annehmen, dass sich diese beiden Figuren aufeinander zu bewegen. Selbst wenn sie nie zur gleichen Zeit im Bild zu sehen sind. Drehen wir die Reihenfolge jedoch um, schließen wir daraus, dass sie sich voneinander entfernen. Die narrative Wirkung des Filmschnitts setzt voraus, dass wir reflexartig Zusammenhänge sehen.

Auch beim Lesen von Romanen wird der gleiche Reflex bedient. Angenommen zwei Figuren, deren Innenleben wir bereits gut kennen, treffen im Rahmen der Geschichte aufeinander. Hat dieses Treffen einen wortkargen und knappen Dialog zur Folge, wird dadurch viel mehr ausgedrückt, als es die benutzten Worte alleine tun. Es wird etwas über ihr Verhältnis gesagt, ihr Auftreten oder vielleicht sogar ihren Gemütszustand. Die narrative Wirkung des Subtexts setzt voraus, dass wir reflexartig Zusammenhänge sehen.

Im gleichen Zug kann man auch ein Spiel betrachten. Wenn wir voll und ganz in das Spielgeschehen eingetaucht sind, unsere Züge ohne Regeln nachzuschlagen planen können, unsere Konkurrenten auszuspielen versuchen oder einschätzen müssen, wie sich die nächsten Runden entwickeln werden, empfinden wir dabei so etwas wie Immersion. Das gemeinsame Spielen fügt sich zu einem runden Erlebnis zusammen, welches seinen eigenen Rhythmus und eine eigene Spannungskurve besitzt. Das Spiel ergibt für uns einen Sinn. Unserem Verstand ist es gelungen, die Ereignisse der Spielrunde in eine verständliche und begreifbare Form zu überführen: eine Geschichte. Die narrative Wirkung eines Spiels, geht davon aus, dass wir reflexartig Zusammenhänge sehen.

Dabei muss diese Narrative keine komplizierte Geschichte ergeben, mit dem ganzen Drumherum, das wir damit in Verbindung bringen. Sie muss noch nicht einmal vollständig sein, oder alle Merkmale aufweisen, die man uns in der Schule beigebracht hat. Antagonisten müssen am Ende nicht ihre gerechte Strafe erfahren. Mutige Underdogs müssen nicht im letzten Moment den Sieg an sich reißen. Niemand muss sich verändern oder irgendwas gelernt haben.

Ein Spiel muss lediglich die Grundlagen liefern, die Spieler benötigen, um Sinn zu stiften und daraus eine Narrative zu machen. Es braucht einen Konflikt, der aus sich widersprechenden Zielen der Protagonisten ensteht und der am Ende aufgelöst wird. Mehr braucht es nicht.

Illustration eines Dreiecks bzw. einer Narrative

Jedes Spiel, das diese Dinge liefert, wird beim Spielen auch eine Narrative zur Folge haben.

Sie ist für jeden, der darauf achten möchte, erkennbar. Dabei ist es egal, ob der Spielautor diese Narrative beabsichtigt hat oder nicht. Die Bausteine dafür liegen im Spiel selbst. Ein Autor kann lediglich versuchen diese Ebene des Spielerlebnis in seiner Arbeit zu berücksichtigen oder sie schlichtweg ignorieren.

Allerdings habe ich zunehmend dein Eindruck, dass die Zeit in der Spielautoren die Narrative eines Spiels lediglich als Vorliebe einer Randgruppe, oder eines “anderen Spielertyps” abtun konnten, schnellen Schrittes zu Ende geht. Wir haben es nicht mehr mit der Spielszene der 90er zu tun, in der ein Thema lediglich dazu diente die Farbpalette des Spielmaterials zu bestimmen. Es ist nicht mehr eine Frage des Schwerpunkts, der Vorliebe oder der Zielgruppe. Wenn das Design die Narrative des Spiels nicht unterstützt, werden Leute bemängeln, dass die Story des Spiels keinen Sinn ergibt.

Dieses Feedback ist jedoch wertvoll und nützlich. Dafür muss man aber auch verstehen, woher diese Kritik stammt. Es geht hier nicht darum das Spielerlebnis unter dramaturgischen Gesichtspunkten neu zu ordnen. Es wird einem Spiel nicht angelastet, dass die Narrative des Spiels nicht den Modellen entspricht, die man im Deutsch-GK durchgekaut hat. Von einem Spiel wird aber erwartet und gefordert, dass es eine erfüllende Spielerfahrung liefert.

Hier ist der Punkt an dem Spieler anfangen über die Geschichte im Brettspiel zu reden. Es wird zu diesem Konzept gegriffen, um die emotionale Erfahrung des Spielerlebnisses greifbar zu machen. Unsere kognitiven Reflexe wurden angesprochen, um dem Gespielten einen Sinn zu verleihen. Es ist das erfüllende Spielerlebnis, welches eine Geschichte zur Folge, nicht umgekehrt.

Wenn also ein Spieler eine Regel ablehnt, einen Mechanismus kritisiert oder ein Konzept anprangert, weil es einer guten Geschichte im Weg steht; dann setzt sich hier jemand mit der emotionalen Erfahrung des Spiels auseinander. Genauer gesagt geht es darum, dass das Spiel nicht das liefert, womit es wirbt: den Spielern mit Hilfe des Schachtelinhalts ein emotional erfüllendes Spielerlebnis zu liefern.

Georgios Panagiotidis
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