Genau genommen sind alle Spieleautoren Heuchler. Und Redakteure ebenso. Und ich erst recht.
Wird ein Spiel irgendwo negativ rezensiert ist gleich die Frage: „Wie oft hast du es denn gespielt?“ Und wehe der Rezensent antwort mit einer Zahl, die kleiner ist als (sagen wir mal willkürlich) Fünf! Dann kommt natürlich sofort als nächstes: Da hat der Rezensent nicht richtig gearbeitet! Bevor man die Schwächen eines Spieles ausloten kann, muss man es in allen Besetzungen mehrfach gespielt haben! Ansonsten versteht man die Zusamenhänge noch nicht richtig und tut dem Spiel Unrecht.
Ist ja alles richtig.Und doch: Ich habe noch keinen Autoren getroffen, der von seinen Testspielern verlangt, dass sie die Prototypen erst einmal fünf mal spielen, bevor die sich ein Urteil erlauben. Eher im Gegenteil: Ein guter Testspieler sollte die Fähigkeit besitzen, schnell und auf den Punkt genau sagen zu können, was ihm an einem Spiel gefällt und was nicht. Im Grunde also dasselbe was ein Rezensent tut. Und Redakteure lehnen Spiele durchaus auch bereits nach einer halben Partie mit falscher Mitspieleranzahl ab und auch durchaus nicht nur aus Zielgruppengründen. Man könnte jetzt einwenden: Die Redakteure haben Erfahrung, die können das! Aber genauso gut könnte man sagen: Die erfahrenen Rezischreiber haben ebenso Erfahrung, die könnten das auch :-)
Natürlich ist einiges aus der Not geboren: Die Redakteure können nicht anders, als zumindest einige Spiele schnell aussortieren, denn eine tiefergehende Analyse kostet Geld und Zeit, deren Einsatz sich nur lohnt, wenn die Chance, dass etwas brauchbares bei rumkommt vergleichsweise hoch ist. Rezensenten andererseits sollen ja gerade ein einigermaßen verlässliches Urteil fällen. Und dazu muss ein Spiel nunmal mehrfach gespielt werden – schon allein um zwischen verschiedenen Spielertypen und – anzahlen zu differenzieren Und um zu sehen, ob die fünfte Partie immer noch reizvoll ist, oder ob man nach einer Partie schon alles gesehen hat.
Was Testspieler betrifft so ist die Lage etwas diffizieler: Zum einen braucht man gerade in den ersten Tests erst einmal eine Übersicht, ob das Spiel überhaupt funktioniert und wos hakt. Dazu reicht eine Partie. Mit zunehmender Reifung des Protos wäre aber auch eine zunehmende Erfahrung der Testspieler wünschenswert, denn für die letzten Details braucht man schon etwas Erfahrung. Und es ist auch nicht unbedingt hilfreich, wenn noch bei der zehnten Partie von einem Neuling bestimmte Designentscheidungen ausdiskutiert werden müssen (z.B. was Zielgruppe betrifft).
Das schafft aber auch wiederrum neue Probleme: Eine erfahrene Gruppe mag mit Simpelstrategien (Baukran, Geldstrategie, Kappelle um mal ein paar Begriffe zu nennen) kurzen Prozess machen, eine Neulingstruppe dagegen stellt die vielleicht vor Anfangsfrust. Überhaupt: Wenn Redakteure nach einer Partie bereits (manchmal) aussortieren, dann muss das Spiel auch von Anfang an überzeugen. Spiele, die man sich erst erarbeiten muss (Casablanca oder Drumlin fallen mir da ein) haben es heutzutage sehr, sehr schwer. Der einzige Trick wäre eine Mischung aus verschiedenen Testspielgruppen – aber die muss man erst einmal haben.
ciao
peer
P.S.: ganz passend: Eine neue Rezi :-)
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Als erfahrener Brettspieler erkennt man viele mögliche Fehler bereits beim Lesen der Regeln eines neuen Spiels.
Pah, als erfahrener Spieler, erkennt man die Schwächen bereits aus den Regelfragen auf Spielbox.de – da bedarf es keiner Regel ;-)
Und als besonders erfahrener Spieler weiß man, dass man sein eigenes Urteilsvermögen nicht überschätzen sollte. ;-)