spielbar.com

Aus alt mach neu

Letzte Woche ging es zum die Schwierigkeiten die sich ergeben, wenn man den „Erfinder“ eines Mechanismus benennen will. Eines der Probleme ist es imho, dass ein „alter“ Mechanismus in neuer Umgebung schon u.U. (meiner Ansicht nach jedenfalls) als neue Erfindung gelten könnte. Oder umgekehrt: Genügend Abstraktion vorrausgesetzt  ist ein Telefon auch nichts anderes als „Laut rufen“ …

Heute möchte ich von einem ähnlichen Startpunkt ausgehen, aber eine andere Richtung einschlagen: Das absichtliche Modifizieren bekannter Spiele. Das klingt in  nach Ideendiebstahl (*), ist es jedoch nicht unbedingt. Viele gute Spiele sind sichtlich von anderen Spielen inspiriert. Der Ansatz muss es in diesem Fall sein, ein bestehendes Spiel zu verbessern, neu zu beleben, eine neue Seite abzugewinnen. Besonders reizvoll ist dabei das modifizieren von Public Domain – Spielen. Denn die kennt ja jeder. Doch gleichzeitig ist das auch verdammt schwer. Denn man möchte ja schließlich mehr bieten, als nur eine kleine Variante eines eh frei verfügbaren Spieles.

Ein Beispiel: Ein bekanntes Spiel in Jugendgruppenkreisen funktioniert folgendermaßen: Alle Spieler schreiben einen Begriff auf ein Blatt Papier und ein Spieler muss nun eine Geschichte aus dem Stegreif erfinden, in der er alle diese Begriffe einbaut. Manchmal ist dies reiner Selbstzweck, meistens müssen die anderen Spieler die Pflichtbegriffe erraten.

Professionelle Versionen dieses Spieles gibt es schon relativ lange: Carabistouille z.B. oder auch (verknüpft mit „Koffer packen“) Die Story vom Pferd von Max Kobbert. Doch alle fühlen sich mehr oder weniger wie das Original an. Und dafür bedarf es nunmmal eigentlich kein eigenständiges Spiel. Jetzt ist gerade Ein bisschen Mord muss sein bei Asmodee erschienen und hier wird das Spielprinzip wirklich erweitert: Die Storys sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Ermittelung des Mörders. Der hat nämlich andere Begriffe einzubauen als die Unverdächtigen. Und alle wollen den Komissar mit ihren Geschichten verwirren. Die Grundidee wird also nicht blos erweitert, sondern benutzt um ein wirklich anderes Spiel zu gestalten – Herrlich!

Aus künstlerischer Sicht ist das Bearbeiten „klassischer“ Spiele sehr reizvoll. Ich hab mal gelesen, dass so ziemlich jeder Möbeldesigner mindestens einmal versucht hat ein völlig neues Stuhl-Design zu kreiieren. So ist das mit klassischen Spielen und Spieleautoren auch (nicht umsonst kam es zu einer Renaissance der Würfelspiele, nun der kooperativen Spiele und der Rennspiele). Doch wie es auch Müllhalden unbrauchbarer Stuhl-Ideen geben dürfte, ist auch eine sinnvolle Neuerfindung eines klassischen Spieles wirklich oberste Königsklasse. Der Grund dafür ist die Tücke, die eine solche Bearbeitung in sich trägt: In aller Regel ist das Grundspiel eben schon recht gut. Jede Variante wird also ebenso recht gut (aber eben nicht bemerekenswert) sein. Zudem besteht immer die Gefahr, dass man sich nicht traut, sich wirklich von den Regeln und Prinzipien des Urspieles zu lösen. Dabei ist gerade das Verwenden eines alten Mechanismus in neuer Umgebung das Rezept für etwas wirklich künstlerisch und spielerisch wertvolles!

Eine einfache Variante eines Urspieles ist dabei eher überflüssig, es sei denn das Urspiel ist sehr unbekannt – wie es z.B. bei Die Werwölfe von Düsterwald der Fall war oder auch bei Uno (Mau-Mau ist/war in den USA nahezu unbekannt). Hier kann eine Variante durchaus sinnvoll sein (Haim Shafir setzt bei Amigo erfolgreich Variationen von traditionellen israelischen Kartenspielen um) – inwieweit das dem eigenen künstlerischen Anspruch genügt muss aber jeder für sich selbst enstscheiden!

ciao

peer

(*) Ja ich weiß. Bloße Ideen sind nicht geschützt und daher gibt es auch keinen Ideendiebstahl. Wäre auch blöd, weil dann Fortschritt nicht möglich wäre. Von der Beweisbarkeit mal abgesehen. Aber der Begriff klingt nun einmal schön knackig und treffend.

Peer Sylvester
Letzte Artikel von Peer Sylvester (Alle anzeigen)